Werbung

Werbung

Werbung

„Sind Sie geschlossen?“

Der Roman „Die Leiden einer jungen Kassiererin“ von Anna Sam

© Die Berliner Literaturkritik, 05.02.09

 

Von Sabine Glaubitz

Jeder war mal unfreundlich oder hatte es eilig an der Kasse des Supermarkts. Doch das dürfte sich nach dem Lesen dieses Buches ändern. Denn in den „Leiden einer jungen Kassiererin“ beschreibt Anna Sam Typen von Kunden, in denen sich jeder ein Stück weit wiederfinden kann – angefangen vom notorischen Nörgler, Kampfshopper, Schnäppchenjäger bis hin zum „Supernetten“. Von dieser Spezies soll es seit der Veröffentlichung ihres Buches immer mehr geben, denn ihre Botschaft, die Frau oder den Mann hinter der Kasse als menschliches Wesen wahrzunehmen, sei angekommen. „Ich bekomme viele Emails und Briefe, in denen sich die Kunden bei mir bedanken, dass ich ihnen die Augen geöffnet habe“, sagte die 28-jährige Französin der Deutschen Presse-Agentur, dpa.

In dem 170 Seiten umfassenden Buch wird jeder Leser als potentieller Kunde angesprochen. Nie wieder wird er deshalb die Frage stellen: Sind Sie geschlossen? Denn sonst könnte er das nächste Mal zur Antwort bekommen: Ich nicht, aber die Kasse schon. Und wer aus Heißhunger in seiner Mittagspause noch vor dem Bezahlen in ein Sandwich mit Thunfisch und Mayonnaise beißt, wird sich das nächste Mal davor hüten. „Er verzehrt sein Sandwich [...] hörbar und mit weit offenem Mund, so dass Sie sich das Lesen der Zutatenliste auf der Verpackung sparen können“, beschreibt die Autorin von ihrem Logenplatz hinter der Kasse.

Acht Jahre arbeitete die Französin an der Kasse eines großen Supermarkts in Rennes. Zuerst, um sich ihr Studium der Literaturwissenschaft zu finanzieren, dann weil sie nach ihrem Abschluss keinen Job fand. „Und somit bin ich geblieben, was man heute so schön ,Servicemitarbeiterin Kasse’ nennt“, wie die Autorin zu Beginn ihres Buches schreibt.

Anna Sam sah täglich bis zu 300 Kunden, sagte rund 500 mal „Danke“, scannte stündlich 700 bis 800 Artikel ein und hob 96 bis 120 Tonnen Ware pro Woche, rund 800 Kilo stündlich. Zahlen und Beobachtungen, die sie unter dem Pseudonym Miss Pastouche im April 2007 erstmals ins Internet stellte und die sie zur bekanntesten Kassiererin Frankreichs und zum Sprachrohr ihrer Leidensgenossinnen werden ließen. Wie sie auf die Idee des Weblog gekommen ist? „Ich habe gespürt, dass unter den Kassiererinnen ein großes Kommunikationsbedürfnis bestand. Und da ich mich besser schriftlich mitteilen kann als mündlich, habe ich einen Blog geschaffen.“

Der Erfolg blieb nicht aus: Der Blog zog Tausende von Annas an und wurde zur Kultseite Frankreichs. Aus den Anekdoten und Kundenszenen der jungen Französin wurde schließlich ein Bestseller, dem bald eine Fortsetzung folgen wird. Ein zweites Buch ist in Bearbeitung, denn es gibt noch „so viel über den Supermarkt zu erzählen“, wie die Autorin sagt.

Ein Buch, das auf originelle Weise die Missstände unserer Gesellschaft im Kleinen widerspiegelt, auch wenn Humor und Ironie teilweise erzwungen und banal wirken. So zum Beispiel wenn sie schreibt: „Ich nehme mal an, die Schnäppchenjägerin ist eine gute Köchin. Denn wie sonst könnte sie Ölsardinen mit Käsechips, Kaffee und Tomatensauce kombinieren? So ein kulinarischer Spagat Tag für Tag ist sicher nicht einfach hinzukriegen.“ Dennoch ist es der Autorin gelungen, aus Banalitäten eine zumindest originelle Kundentypologie aufzustellen.

Literaturangaben:
SAM, ANNA: Die Leiden einer jungen Kassiererin. Riemann Verlag, München 2009, 180 S., 12,50 €.

Verlag

Mehr von Rezensentin Sabine Glaubitz


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: