Von Angelo Algieri
Panta rhei. Alles fließt. – Nicht nur antiken Philosophen diente die Natur des Wassers zum Erklären des Seins, auch Literaten und Künstler aller Epochen ließen sich oft von diesem Element inspirieren. Nichts bleibt stehen, am allerwenigsten das Leben. Von der schnellen, quirligen Quelle zum größer werdenden Fluss bis hin zu einem Strom, der in das Meer mündet. Doch ist Wasser sowohl Segen als auch Fluch: Zu viel Wasser löscht Leben aus – siehe starke Regenfälle, wie kürzlich auf Madeira oder die zerstörerischen Tsunamiwellen; zu wenig Wasser lässt alles verdorren – wie in den Wüsten oder während der Trockenperioden im südlichen Europa.
Genau um diese Wassermetaphern, -allegorien und -auswirkungen geht es im Debüt „Strom“ von Robert Prosser. Sein Erstling ist im Wiener Klever Verlag erschienen. Der junge Österreicher, Jahrgang 1983, ist in Tirol groß geworden. Als Jugendlicher und junger Erwachsener war er in der Graffitiszene aktiv. Momentan studiert Prosser Komparatistik in Wien und Innsbruck.
Prossers Prosa spiegelt die Innen- und Außenansichten seiner Erlebnisse und Erinnerungen wider. Ankunft und Erlebnisse in dem Tiroler Dorf, wo er aufgewachsen ist, bilden eine Art Binnenerzählung. Er beschreibt sein altes Zimmer, den Tod der Großeltern, trifft sich mit einem Freund, mit dem er Graffitis gesprüht hat, und einen Selbstmordversuch hinter sich hat.
Prosser bedient sich langer Sätze, die verschiedene Gedanken auffassen. Unvermittelt stehen einzelne Wörter oder Satzteile in kursiver Schrift: „Wolkenfetzen an den Fingern Schnappschüsse des Nachspürens und Tintenzungen sprechen den Himmel verkehrt ins Notizbuch, ich leg meine Finger befleckt zwischen die Rippen für Herzmassagen am offenen Leben operiert mit verdrecktem Besteck wie kaputten Kugelschreibern, und die Infektion lässt nicht auf sich warten, drei Tage umfasst die Inkubationszeit der Melancholie, also dreimal rekapituliert und Stunden gezählt im Laufe des zaghaften Abschieds.“
Diese kursiven Wörter liegen wie Steine in diesem Satzfluss und geben dem Schreibfluss eine Richtung, oder lösen eine Assoziation aus, die das Schreiben im Fluss hält.
Die Texte nehmen uns mit aus den Alpen nach Indien zum Ganges, nach Darjeeling im Himalaja, nach China, Marokko, Syrien, die Mongolei, an den Baikalsee und in die Taklamakan Wüste sowie nach Kurdistan und Kairo. Wien und Berlin dürfen ebenso wenig fehlen: Berlin wird als pulsierende Stadt beschrieben, wo Sex, Drogen und Mystik aufeinander prallen.
Prosser hat mit seiner „ausufernden Prosa“ – wie es im Untertitel zu Recht heißt – einen einzigartigen Lebensstrom beschrieben. Auch wenn manche langen Sätze und Assoziationen zunächst sperrig und wirr wirken, die Wörter bilden einen bestimmten Rhythmus. Nach einigen Seiten schwimmt man in dieser Prosa mit und man versteht die Gedankengänge immer besser. Prosser gelingt es, Innen- und Außenansichten zu vermengen und als eine Realität darzustellen. Hinzu kommt, dass er in den einzelnen Ländern sowohl das Schöne als auch das Hässliche wahrnimmt. Am Platz des Himmlischen Friedens in Peking etwa, beschreibt Prosser sehr genau die verkrüppelten Armeeveteranen, die nach Almosen bitten.
Obwohl diese Prosa sehr mystisch (die vier bzw. fünf Elemente: Wasser, Feuer, Luft, Erde, Holz) und religiös (Querverbindungen zu Christentum, Hinduismus und Buddhismus) daherkommt, driftet sie weder zum Kitsch noch zum Esoterischem ab. Mit „Strom“ ist dem jungen Autor eine unerwartet schöne, energiereiche und kräftige Prosa gelungen, die sehr gut in unsere pulsierende Zeit passt!
Literaturangabe:
PROSSER, ROBERT: Strom. Ausufernde Prosa. Klever Verlag, Wien 2009. 128 S., 15,90 €.
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