„Tomaten im Kopf“ – hinter diesem etwas unorthodoxen Titel verbergen sich dreißig Erzählungen der jungen Autorin Sylja Wichmann. Thematisch drehen sie sich alle um das eine: das Alltägliche. Alltägliches ist die Quelle aus der Wichmann ihre Inspiration zieht. Und das tut sie – glaubt man dem Klappentext – geradezu auf magische Weise: „ Sylja Wichmann zaubert aus unspektakulären Momenten raffinierte literarische Miniaturen.“
Dreißig Miniaturen sollen den Leser von Sylja Wichmanns „Witz, Menschenkenntnis und –liebe sowie [ihrer] gesunden Portion Skepsis“ überzeugen und für „anspruchsvolle Unterhaltung“ sorgen. Nur wird schon nach den ersten Kurzgeschichten klar, dass wenig Zauberhaftes an Wichmanns Erzählungen ist. Alltägliches bleibt einfach nur Alltägliches und das angekündigte Phantasievolle in Sylja Wichmanns Geschichten lässt sich höchstens in den einfallsreich gewählten Überschriften finden.
Ansonsten muss man lange suchen, bis man etwas von ihren „Witz“ oder ihrer „Menschenkenntnis und –liebe“ in den Kurzgeschichten findet. In „Im Land der Kamele“ beweist die Autorin zumindest ein gewisses Maß an Komik, wenn sie vom misslungenen Ausflug „zu Kamel/Dromedar“ stereotyper europäischer Touristen erzählt, der am Ende in einem vermögensträchtigen Gewinn in der Lotterie gipfelt. Besonderes Fingerspitzen- und Feingefühl beweist Sylja Wichmann in Geschichten wie „Postmoderne Dekonstruktion – Kagran“ oder „Kindergeschichten – Das blaue Wunder“.
In Ersterer schreibt Wichmann so: „Der, mit dem der Junge kam, war sein Vater. Der kam jeden Tag und blieb bis spät in die Nacht.“ Da wo er blieb, ist eine Kneipe und die Autorin erzählt auf gefühlvolle Weise von einen Jungen, der sich umgeben von einer Welt aus betrunkenen Kneipenbesuchern und einer versagenden Vaterfigur in eine eigene, innere Welt zurückzieht: „Seine Gedanken waren stets auswärtig, anderorts“ und die Phantasie wird für den Jungen probates Mittel sich der Wirklichkeit zu entziehen.
In Zweiter nimmt sich Sylja Wichmann dem großen Thema „Tod“ an. Sie erzählt eine Geschichte über Marek. Ein außergewöhnlicher Junge, der gerade mal 14 Jahre alt wurde. Die Autorin schreibt auf bewegende Art und Weise, wie dessen Mutter mit dem Tod ihres Sohnes umgeht und wie diese vieles, ihre Gefühle und den Einfluss ihres Kindes auf ihre eigene Sicht der Dinge erst im Nachhinein reflektiert und begreift.
Stößt man dann aber auf Miniaturen wie „Nouvelle language“ bleibt nur ein schlechter Geschmack von völlig übertriebener Sprachakrobatik. Zu gewollt und zu geplant bläst die Autorin ihre Alltagsbeobachtungen auf. Sätze wie:
„Das Leiden, es ging um ein Frauenthema, wäre ein diffiziler, autonomer Vorgang innerer Wahrhaftigkeit, durch Äußeres wirklich werdend, das keineswegs als Auflistung von Stofflichkeit in gesellschaftlich honorierten, wortwahlweise distinguierten und buchstabengedruckt in patriarchalischen Sätzen zum Ausdruck zu kommen hatte, und während das Teelicht unruhig vom stoßenden Atem der Getriebenen flackerte und die Tischdecke, mutmaßlich nach Kriterien der Ästhetik gestickt, versetzt wurde, randweise verschoben [...], setzte die eine, ohne Bezugnahme auf das vorangegangene Gespräch, zum Sprechen an, negierte Aussage um Aussage, deklassierte den letzen Satz und verriet ihr Geheimnis der emanzipatorischen Revolte“ versperren dem Leser nun wirklich den Weg, den Zugang zu Wichmanns „Kunst“, „dem Besonderen des Augenblicks mit fesselnder Ausdruckskraft und dramatisiertem Charme eine Bühne zu bereiten.“
Was die Autorin damit an schreiberischem Können allenfalls demonstriert, ist die Fähigkeit Banalitäten in hochgestochene Sprache zu transkribieren und möglichst sperrig zu formulieren. Was sie damit weiterhin für den Leser greifbar macht, ist die Erkenntnis, dass das Alltägliche zu beschreiben nichts Banales ist und schon einer unabdingbaren Virtuosität bedarf: eine rare Meisterhaftigkeit.
Literaturangabe:
WICHMANN, SYLJA: Tomaten im Kopf. Erzählungen. Frieling-Verlag, Berlin 2009. 204 S., 11 €.
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