„Möglicherweise sind die größten Dichter nicht gedruckt. Etwas schreiben, ist vielleicht das gerade Gegenteil davon, es zu träumen“, bemerkte der Romancier Edmond Huot de Goncourt im vorvorigen Jahrhundert. Ein zentrales Motiv des Widerstreits in Handkes Werk ist damit vorweggenommen: Das Angehen gegen den trügerischen Eindruck, das Andere in der Schrift einfrieren und als Wahrheit endgültig verfügbar machen zu können, ohne die Notwendigkeit der sprachlichen Welterschließung zu verraten. „Bedeutung heißt Übersetzbarkeit“, die im Versprachlichen kulminiert; und Übersetzung Erschaffung: „Nur durchs Erfinden wird die erlebte Wirklichkeit auf ihre Wahrheit zurückgezwungen“. Dass Handke ein großer Schriftsteller und Schöpfer in diesem Sinne ist, beweist sein umfangreiches Oeuvre aus nunmehr über 40 Jahren. Dass sein Werk aber nicht nur ästhetische Rezeption von Welt zum Thema hat, trat spätestens mit der Kontroverse um die Verleihung des Heinrich-Heine-Preises 2006 wieder deutlich in den Vordergrund.
Sein Schaffen hat einen größeren Anspruch. Fabjan Hafner zeigt diesen in „Unterwegs ins neunte Land“ auf. Er hilft, Handkes Werk konsequent aus einer zusätzlichen, nämlich autobiographischen Perspektive zu verstehen, ohne es darauf zu minimieren. Aus kleinbürgerlichen Verhältnissen in Südkärnten stammend, mit einer dort ansässigen ausgegrenzten slowenischen Minderheit verbunden, sieht sich Handke früh dem dumpfen Schmerz der Heimatlosigkeit ausgesetzt. Seine Muttersprache wird das Deutsch des ungeliebten Vaters. Das Slowenische der Mutter aber erreicht ihn, obgleich – oder gerade weil – nicht erlernt, tiefer: Als heilige, bloß erahnbare Vorsprache. So sind die ersten Bücher ab den „Hornissen“ geprägt von einer Suche nach dieser unauffindbaren sprachlichen Heimat. Handke lernt slowenisch und übersetzt die Kärntner Slowenen Lipuš und Januš. In der zweiten Schaffensphase, deren Beginn Hafner in „Der Chinese des Schmerzes“ verortet und die ihren Abschluss in der „Abwesenheit“ findet, setzt Handke sich mit der wieder gefundenen sprachlichen Heimat auseinander, um mit der Entstehung des autonomen Staates Slowenien und dem im selben Jahr erscheinenden „Abschied des Träumers vom neunten Land“ 1991 erneut (und letztmalig?) aufzubrechen, diesmal in die Heimatlosigkeit.
Hafner plausibilisiert, wie sich das Slowenische kontinuierlich am Rand des Handkeschen Werkes wieder finden lässt und weist dabei die Parallelität zu einem wesentlichen Erzählmotiv auf: Dem Erwähnen des Nicht-Erwähnbaren insofern, als es sich bildhaft von selbst an den Bedeutungsrändern der Worte zu konstituieren vermag. In seiner äußerst eloquenten und gut lesbaren Analyse bleibt Hafner nicht dem literaturwissenschaftlichen Bereich verhaftet, sondern zieht auch relevante Philosophen wie Levinas oder Žižek zu Rate. Obgleich manche Passagen inhaltlich schier mantrahaft wiederholt werden, um die zentrale These zu unterlegen, leistet die Ausarbeitung einen erhellenden Beitrag zur Handkerezeption. Das Buch eignet sich darüber hinaus auch als Einstieg in Handkes Werk, und gewinnt Sympathiepunkte, weil es behutsam biographische Einblicke gewährt, ohne marktschreierisch als Biographie deklariert zu werden.
Von Mathias Schick
Literaturangaben:
HAFNER, FABJAN: Peter Handke. Unterwegs ins neunte Land. Zsolnay, Wien 2008. 384 S., 24,90 €.
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