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Unvollendeter Gruß aus dem Jenseits

Vladimir Nabokovs Romanfragment „Das Modell für Laura“

© Die Berliner Literaturkritik, 23.12.09

Von Dominik Rose

Die aktuelle Veröffentlichung von Nabokovs hinterlassenem Romanfragment „The Original of Laura“, über dreißig Jahre nach seinem Tod im Juli 1977, ist mindestens so heftig umstritten, wie man es von einer Neuerscheinung des Skandal-Autors der „Lolita“ hat erwarten können. Die künstlerischen Erwartungen, die zwangsläufig an Nabokovs letztes Werk geknüpft sein werden, kann „Das Modell für Laura“, das soeben beim Rowohlt Verlag erschienen ist, jedoch nicht erfüllen – was am wenigsten dem Autor selbst anzukreiden ist.

Es gehört zur speziellen Dramaturgie dieser Publikation, dass Nabokov selbst seine Ehefrau am Sterbebett dazu aufgefordert hat, das Manuskript zu verbrennen. Natürlich denkt man zum einen sofort an Franz Kafka und den glücklichen Umstand, dass  Max Brod dem Wunsch seines Freundes, sämtliche seiner Manuskripte zu vernichten, nicht Folge leistete. In einem ausschweifenden Vorwort rechtfertigt Nabokovs Sohn Dmitri – der als Herausgeber von „Das Modell für Laura“ fungiert -   seine Überlegung, die ihn dazu veranlasste, nun doch die letzten Manuskripte seines Vaters zu veröffentlichen. Die Zweifler unter den Lesern klärt er auf, sein Vater habe „Das Modell für Laura“ „keineswegs in jedem Fall zu verbrennen“ gewünscht, sondern „bis zu den wenigen letzten Karten weiterleben“ wollen, die bis zur Fertigstellung eines vollständigen Entwurfs nötig gewesen wären.

Da Vladimir Nabokov seit 1975 unter permanenten Krankheiten und einem allmählichen körperlichen Verfall litt, kam er mit der Arbeit an seinem letzten Werk nur schwer voran. Er hinterließ lediglich 138 Karteikarten, teils beschrieben mit alternativen Entwürfen zu bestimmten Passagen, teils mit Stichwörtern und Wörterlisten – der Nabokov-Übersetzer Dieter E. Zimmer schätzt in seinem Nachwort den eigentlichen Umfang des überlieferten Werkes auf „höchstens 34 Buchseiten“ – tatsächlich ein äußerst fragmentarischer Entwurf für einen Autor, der selten mit weniger als zweihundert Romanseiten auskam. Daher sollten sich die interessierten Leserinnen und Leser, die beherzt zu der doch recht umfangreich erscheinenden Ausgabe greifen werden, auf die Enttäuschung gefasst machen, dass sie nur recht wenig vom großen Romancier und Wortzauberer darin finden werden.  Viele Seiten sind nur zu einem Viertel gefüllt und neben dem Abdruck der entsprechenden Karteikarte mit dem handschriftlichen Originaltext platziert. 

Das, was sich aus den lückenhaften Entwürfen an Dramaturgie herausdestillieren lässt, ist die bitter-ironische Geschichte einer gescheiterten Ehe zwischen dem Neuropsychologen Philip Wild, an einer schweren Krankheit leidend und sich in todessehnsüchtige Aufzeichnungen flüchtend, und seiner jungen Frau Flora, die ein ausschweifendes außereheliches Liebesleben pflegt und von einem ihrer ehemaligen Liebhaber in dem Schlüsselroman „Meine Laura“ porträtiert wird. Eine weitere Demütigung für Philip Wild, der dem Roman seines sexuellen Nebenbuhlers (in dem er selbst als „Philidor Sauvage“ karikiert wird)  jedoch bescheinigen muss, „ein Meisterwerk zum Verrücktwerden“ zu sein, ein Teufelswerk, in dem der Erzähler „seine Geliebte vernichtet, indem er sie porträtiert.“ Die ersten fünf Kapitel, die Nabokov senior noch in eine vorläufige Ordnung hat bringen können, beschäftigen sich mit Flora Wild, geborene Lind und Nachfahrin russischer Emigranten, und beleuchten unter anderem ihre Kindheits- und Jugendjahre in Frankreich.

Mehr als einmal klingt dabei die verhängnisvolle Geschichte einer berühmten literarischen Vorgängerin aus dem Oeuvre Nabokovs an: „Flora, ein reizendes Kind, wie sie mit einem leichten Kopfschütteln (verträumt? ungläubig?) selbst sagte, wann immer sie von jenen vorpubeszenten Jahren sprach, führte zu Hause ein trostloses Leben, das von Krankheit und Langeweile gezeichnet war. Nur irgendein sehr teurer, superorientalischer Arzt mit langen sanften Fingern hätte ihre allnächtlichen Träume von erotischen Foltern in sogenannten „Labors“ analysieren können, größeren und kleineren Laboratorien mit roten Vorhängen.“

Der „ältere, aber immer noch agile Engländer“, der sich der jungen Flora schließlich lüstern und schmierig anschmiegsam nähert, ist niemand anders als Lolita-Liebhaber Humbert Humbert, nur dass er in „Das Modell für Laura“ das „m“ in seinem Namen eingebüßt hat.  Die jungen Nymphen lassen den sterbenskranken Nabokov auch in seiner letzten Schaffensphase nicht los, ebenso wie er sich seine unnachahmliche Vorliebe für boshafte Ironie erhalten hat. Dennoch ist die Lolita-Reminiszenz, die sich über mehrere Karten erstreckt, bei allen Nabakov´schen Sprachspielen und erotischen Metaphern doch etwas ausgereizt und zu sehr bloßes Zitat des großen Vorgängers.

Nachdem die erste Hälfte der Karten noch eine flüssige Lektüre ermöglicht, geht der inhaltliche Faden in der zweiten Hälfte weitestgehend verloren. Das erklärt sich vor allem aus einem Umstand, der im erhellenden Nachwort Zimmers erläutert wird: Da Nabokov bei der Niederschrift seiner im Voraus bereits geistig durchkonzipierten Geschichten gewöhnlich unchronologisch vorging, fehlt im Modell für Laura der gesamte Mittelteil, während der Schluss wieder ausgeführt, oder zumindest skizziert ist. Im fehlenden Teil, der wohl weit mehr als die Hälfte des geplanten Gesamtumfangs ausgemacht hätte, vermutet Zimmer Ausführungen zum Ehe-Alltag von Wild und seiner Frau, sowie Erläuterungen zur Liebschaft Floras mit dem Autor des Schlüsselromans „Meine Laura“, die den Titel „Das Modell für Laura“ erst wirklich hätten erklären können.

Im zweiten Teil des Romans begegnen wir stattdessen den in seiner Traurigkeit rührenden Philip Wild, der sich, von einer schweren Krankheit und Gefühlen des Selbstekels geplagt, in ekstatische, todesnahe Zustände phantasiert – Eros und Thanatos, bei Nabokov eng umschlungen.  Abgesehen von einigen eindrucksvollen Passagen über Winds körperliche Malaise, seinen Kummer über eingewachsene Fußnägel und peinliche Verdauungsstörungen – die wütende Melancholie des Alters – merkt man den überlieferten Notizen doch deutlich ihren bruchstückhaften Charakter an, lückenhaft und unausgegoren wie sie sind. Dazwischen kommt auch der mutmaßliche Autor von „Meine Laura“ zu Wort, einige Karteneinträge Nabokovs, die nicht klar zuzuordnen sind – aber auch das wird nicht klar. Am Ende sind wir dann im schweizerischen Kurort Sex angelangt und sehen Flora Lind auf einer Bank sitzen, das verhängnisvolle Buch auf dem Schoß, das zum Zwecke ihrer Auslöschung geschrieben wurde. Mit dieser nicht zu Ende geführten Episode hat „Das Modell für Laura“ enden sollen, soviel ist zumindest sicher, denn Nabokov hat diese Karte mit „Letzter Absatz“ überschrieben.

Es besteht eine hintersinnige Ironie darin, wenn Dmitri Nabokov in seinem Vorwort mutmaßt, er glaube „wie gesagt nicht, dass mein Vater oder sein Schatten sich der Freigabe von Laura widersetzt hätte, nachdem sie das Gesumm der Zeit so lange überlebt hat.“ Das lässt unweigerlich an einen anderen „Schatten“ denken, der den Lesern in „Fahles Feuer“ begegnet, einem von Nabokovs Hauptwerken. Auch dort stirbt ein großer Schriftsteller, der Lyriker John Shade, und hinterlässt ein unvollendetes, 999-zeiliges Gedicht (er kam also deutlich weiter als Nabokov mit seiner Laura), das wiederum vom zwielichtigen Charles Kinbote herausgegeben wird. Dieser versieht das Werk Shades mit einem Vorwort und einem ausführlichen Kommentar, der das Gedicht im Umfang weit übertrifft und ihm eine andere Bedeutung aufzwängt. Dmitri Nabokov mag kein Charles Kinbote sein, aber ein wenig missbraucht kommt mir Vladimir Nabokov mit der Veröffentlichung seines letzten Manuskripts schon vor.

Literaturangabe:

NABOKOV, VLADIMIR: Das Modell für Laura. Sterben macht Spass. Hrsg. Von Dmitri Nabokov. Aus dem Englischen übersetzt von Dieter Zimmer und Lutger Tolksdorf. Rowohlt Verlag, Hamburg 2009. 318 S., 19,90 €.

Weblink:

Rowohlt Verlag

 

 


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