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Vom Glück des Nichtstun

Auf der Suche nach der Kraft der Muße

© Die Berliner Literaturkritik, 26.12.11

MÜNCHEN (BLK) – Im Karl Blessing Verlag ist im Dezember 2010 das Buch „muße“ von Ulrich Schnabel erschienen. Es trägt den Untertitel „Vom Glück des Nichtstun“.

Klappentext: Haben Sie heute schon Däumchen gedreht und an die Wand gestarrt? Und dabei an nichts Bestimmtes gedacht? Falls nicht, so holen Sie es bitte bald nach. Für Gewissensbisse gibt es keinerlei Grund. Denn: Muße ist zur bedrohten Ressource geworden. Die Beschleunigungsgesellschaft mit ihrem Arbeitsdruck und dem Zwang zur permanenten Kommunikation lässt uns nicht zur Ruhe kommen. Dabei haben Gehirnforscher und Psychologen längst herausgefunden, wie wichtig Phasen absichtslosen Nichtstuns sind. Sie fördern nicht nur die Regeneration und stärken das Gedächtnis, sondern sind auch die Voraussetzung für Einfallsreichtum und Kreativität. Große Ideen brauchen vor allem eines: Zeit und Muße. Isaac Newton kam der zündende Einfall zu seiner Gravitationstheorie im Garten, als er versonnen einen Apfel betrachtete. Descartes philosophierte am besten im Bett. Doch von solch kreativen Auszeiten können die meisten heute nur träumen. Ulrich Schnabel beschreibt die Ursachen der allgemeinen Zeitnot, zeigt uns, wo wir auch heute noch Inseln der Muße finden können, und bietet eine Fülle von konkreten Anregungen und Tipps für alle, die dem permanenten Drang zur Beschleunigung widerstehen wollen.

Ulrich Schnabel, Jahrgang 1962, arbeitet nach seinem Physik- und Publizistikstudium in Karlsruhe und Berlin als Wissenschaftsredakteur bei der ZEIT. 1997 veröffentlicht er bei Rowohlt zusammen mit Andreas Sentker: „Wie kommt die Welt in den Kopf. Reise durch die Werkstätten der Bewusstseinsforscher“. 2006 erhält er den „Georg von Holtzbrinck-Preis“ für Wissenschaftsjournalimus. Drei Jahre später veröffentlicht Schnabel bei Blessing: „Die Vermessung des Glaubens“. 2009 wird er von „Bild der Wissenschaft“ als „Wissenschaftsbuch des Jahres 2009“ ausgezeichnet. Im Oktober 2010 erhält Schnabel ferner den Werner und Inge Grüter-Preis für Wissenschaftsvermittlung.

Leseprobe:

©Karl Blessing Verlag©

Einführung:

Eine Diät fürs Denken

Reden wir nicht lange drum herum, sondern kommen wir gleich zum Wesentli…

– Kleinen Moment mal eben, hier klingelt gerade mein Handy … –

So, da bin ich wieder. Also: In diesem Buch geht es darum, dass wir ständig abgelenkt werden vom Wesentlichen, also von dem, äh, was uns eigentlich wichtig …

Sorry, der Postbote an der Tür … –

Wo waren wir? Ach ja, beim Dings, dem Wesentlichen. Jedenfalls, weil wir nämlich permanent online und total vernetzt sind und ständig unterbrochen …

Halt, da blinkt eine eilige Mail, nur kurz checken … –

Tschuldigung. Also, weil wir ständig unterbrochen werden, deshalb fällt es uns in Ruhe so schwer, nein, pardon: Deshalb fällt uns die Ruhe so schwer, also genauer gesagt die Konzentration, also die, ähm, Aufmerksamkeit … Moment, was war noch mal das Thema?

Das Wesentliche. Haben Sie auch das Gefühl, dass es Ihnen ständig durch die Finger flutscht? Dass die größte Kraft in Ihrem Leben die Zerstreuung ist? Geht es Ihnen ähnlich wie uns Journalisten, die sich allmorgendlich in die Nachrichtenflut stürzen, durch Hunderte von E-Mails pflügen, die googelnd und klickend durchs Netz tauchen, beim Luftschnappen schnell mal telefonieren und sich abends erschöpft fragen, was sie eigentlich den ganzen Tag so getan haben? Dann gibt es zumindest einen Trost: Sie sind nicht allein. 

  Denn der Zustand permanenter Zerstreuung breitet sich in unserer Gesellschaft aus wie ein ansteckendes Grippevirus. Wir leiden an Reizüberflutung und dem Gefühl ständiger Überforderung – und gieren doch nach schnelleren Datenleitungen und noch leistungsfähigeren Handys; wir sind permanent online und allzeit erreichbar – und haben ständig Angst, etwas zu verpassen und abgehängt zu werden; wir fühlen, wie unsere Zeit immer knapper wird, und sehnen uns nach Muße – und fürchten zugleich nichts so sehr wie das Nichtstun und die Langeweile.

  Vor hundert Jahren hätte man uns vermutlich alle als Neurastheniker diagnostiziert, als nervenmüde Zeitgenossen, die in einem wahnhaften Aktionismus gefangen sind, der sie ständig vorwärtspeitscht – und doch nie bei sich selbst ankommen lässt. Und ähnlich wie am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert Gesellschaftstheoretiker ein „Zeitalter der Nervosität“ anbrechen sahen, leben wir heute in der Epoche der rasant zunehmenden Aufmerksamkeitsstörungen. Wie sehr das Leiden an der Ruhelosigkeit verbreitet ist, belegt jede entsprechende Umfrage: Als etwa 2009 das Meinungsforschungsinstitut Allensbach die Deutschen fragte, was sie an ihrem Charakter am liebsten verändern würden, wünschten sich die meisten ebenso schlicht wie verzweifelt, sie wären gern „viel ruhiger“(1). Laut Forsa empfinden 67 Prozent der Mitbürger die »ständige Hektik und Unruhe« als den größten Auslöser von Stress (2), und bei den guten Vorsätzen zum neuen Jahr stehen ganz obenan die Wünsche „Stress zu vermeiden“ und „mehr Zeit für Familie und Freunde“ zu haben. (3)

  Diese Wahrnehmung des ständigen Getriebenseins ist beileibe keine deutsche Spezialität. Auch europaweite Erhebungen belegen, wie sehr sich die Menschen gehetzt fühlen. Inzwischen sind es schon knapp 50 Prozent der Befragten, die angeben, mindestens die Hälfte ihrer Zeit »sehr schnell« arbeiten zu müssen.(4) Und bei jeder neuen Studie klagen mehr Menschen über ein zu hohes Arbeitstempo und eng gesetzte Termine.(5)

  Es ist keine Übertreibung zu sagen: Für die Mehrheit ist das Leiden an der Zeitnot das größte Übel der modernen Gesellschaft. Egal ob Selbstständige oder Angestellte, Manager, Politiker oder Wissenschaftler – alle eint das Gefühl, permanent unter Druck zu stehen, an Quartalsbilanzen, Umfragewerten oder Produktionssteigerungen gemessen zu werden und sich keine Atempause gönnen zu dürfen. Statt in unserer jeweiligen Handlung aufgehen und im besten Falle den Flow, den Rausch des konzentrierten Schaffens erleben zu können, fühlen wir uns zunehmend fahrig, fremdgesteuert und irgendwie nur halb anwesend. Was dabei auf der Strecke bleibt, sind nicht nur die Ruhe zum Nachdenken und die Fähigkeit zum konzentrierten, effektiven Arbeiten, sondern etwas viel Grundsätzlicheres: das Erleben der Gegenwart und damit die Wertschätzung unseres Lebens selbst, das immer nur im Jetzt stattfindet und nie in der Erinnerung an Gestern oder der Planung von Morgen.

Dass der Mensch nicht nur vom ehrgeizigen Tun lebt, haben im Lauf der Jahrhunderte viele kluge Köpfe erkannt; auch die Religionen betonen immer wieder den Wert jener Zeiten, die nicht allein dem Broterwerb gewidmet sind. Doch obwohl moderne Forschungsergebnisse diese jahrhundertealten Weisheiten mittlerweile eindrucksvoll bestätigen, haben wir es inzwischen weitgehend verlernt, „der Muße zu pflegen“, wie das in früheren geruhsamen Zeiten einmal hieß. Und dieser Mangel durchzieht alle Lebensbereiche.

  Denn wir leben, wie Soziologen diagnostizieren, in einer „Beschleunigungsgesellschaft“, in der das Gefühl des Gehetztseins zum Dauerzustand geworden ist; Leistung wird über alles gestellt, das Nichtstun, der nicht zweckorientierte Müßiggang, gilt als unproduktiv und Verschwendung von (Lebens-)Zeit.

Die Folgen dieser Haltung werden einem oft erst bewusst, wenn es zu spät ist. Als etwa Arend Oetker, einer der erfolgreichsten Unternehmer Deutschlands, gefragt wurde, was der „kapitalste Fehler“ seines Lebens gewesen sei, antwortete der Wirtschaftsboss ebenso schlicht wie erschütternd: »Zu wenig Zeit für Freunde «. Und als er angeben so „völlig überflüssigen Luxus“ er sich gern gönnen würde, träumte Oetker davon, „in Muße die Natur zu erleben“ und im Garten seines Elternhauses „zu beobachten, wie sich die Bäume im Badeteich spiegeln.“ (6)

  An der Unfähigkeit zur Muße leiden aber nicht nur erfolgreiche Manager, die im Hamsterrad der Geschäftigkeit stecken, sondern paradoxerweise auch jene, die ihre Arbeit verloren haben, die Ausgesonderten, Erwerbslosen, Zwangsentschleunigten. Sie haben plötzlich ein Übermaß an freier Zeit vor sich – Zeit allerdings, die ihnen nun leer, entwertet, unbrauchbar erscheint. Denn in einer Leistungsgesellschaft, die das Wachstum, den Konsum und die persönliche Erlebnismaximierung feiert, wird das Nichtstun zum bitteren Genuss.

©Karl Blessing Verlag©

Literaturangabe:

SCHNABEL, ULRICH : Muße. Vom Glück des Nichtstuns. Karl Blessing Verlag, München 2010. 288 S., 19,95 €.

Weblink:

Blessing


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