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Weibliche Kulturgeschichte

Tatjana Kuschtewskajas „Biografien berühmter russischer Frauen“

© Die Berliner Literaturkritik, 23.06.10

Von Dorothee Arndt

Der flächenmäßig größte Staat der Erde hat im Laufe seiner bewegten Geschichte eine Vielzahl großer Persönlichkeiten zu Tage gefördert. Auf ganz natürliche Weise flechten sich die Namen russischer Schriftsteller, Komponisten und Revolutionäre in unseren Lebensalltag. So mancher Tag beginnt bereits mit den melodischen Klängen einer Tschaikowski-Symphonie, die dem Radiowecker entströmt. An der Kinokasse lässt sich eine Karte für den neuen Michael Hoffmann Film lösen, um als cineastischer Augenzeuge der familiären und testamentarischen Verzwickungen des Jahrhundertromanciers Lew Tolstoi beizuwohnen. Auf dem Internet-Videoportal youtube zeigt ein alter Fernsehbericht, wie der ehemalige russische Präsident und Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow seinen 75. Geburtstag 2006 in Bremen feierte.

Die Dokumentarfilmerin und Schriftstellerin Tatjana Kuschtewskaja - unter anderem Autorin des Buches „Hier liegt Freund Puschkin...: Streifzüge auf russischen Friedhöfen” - möchte in ihrem neuesten Kleinod einmal diese männlich-russischen Obelisken beiseite schieben, um ein Atem- und Sichtfeld für das sogenannte „schwache Geschlecht” zu erschließen. Dieses ist - man kann es sich denken - gar nicht so schwach. In „Liebe - Macht - Passion. Berühmte russische Frauen” fedelt Kuschtewskaja dreißig Frauenporträts en miniature einer Perlenkette gleich aneinander, die sie durch die Jahrhunderte spannt.

Zum Auftakt eine Heilige: Großfürstin Olga von Kiew, die nicht nur den Stein der Christianisierung der Kiewer Rus ins Rollen brachte, sondern auch aufgrund der Trauer über den Verlust ihres Mannes Igor, eine drewljanische Gesandtschaft samt Boot lebendig begraben ließ und eine zweite im Badehaus verbrannte. Da meint der Leser doch glatt ein Augenzwinkern der Autorin zu spüren. Denn die Russinnen, so das gefühlsmäßige Fazit dieses ersten Portraits, scheinen es in sich zu haben.

Dass Tatjana Kuschtewskaja bereits von ihrem 15. Lebensjahr an eine besondere Vorliebe für biographische Schriften hat, wird gleich im Prolog klargestellt. Es mutet dabei nicht seltsam an, wenn sie schreibt, dass sie sich gar an den genauen Tag zuzüglich der genauen Tageszeit erinnern kann, also an den Moment, wo diese lebenslange Faszination ihren Anfang nahm. Ein Ausspruch des Dichters Heinrich Heine gab gewissermaßen den letzten Anstoß, sich dieser Galerie großer russischer Frauenpersönlichkeiten zuzuwenden. Denn sie haben nicht minder als ihre männlichen Pendants die Geschichte ihres Landes geprägt, „obgleich der Historiker nur Männernamen kennt...”. Im Zeitalter von Frauenparkplätzen in der Tiefgarage, der obligatorischen Frauenbeauftragten an den Hochschuleinrichtungen und den zahlreichen Büchern, in denen jetzt doch endlich auch Mal die Frau zu Wort kommen soll, mag dieser Rückgriff vielleicht eher einen naiven Charme versprühen, doch eben dieser ist es, der Kuschtewskajas Erzählweise so liebenswert einfärbt. Nicht allen in gleichem Maße, doch vielen der vorgelegten Portraits, wendet sich die Autorin mit geradezu rührender Hingabe zu.

Einige der vorgestellten Damen sind auch hierzulande schon längst keine Unbekannten mehr. Berichtet wird immer mal wieder von den Liebeleien einer Katharina der Großen oder den verteufelt musenhaften Einflüssen einer Lou Andreas-Salomé auf einen Rilke oder Nietzsche. Auch Anna Achmatowa und Marina Zwetajewa haben längst Einzug in unser Pantheon der Lyrik genommen. Es ist ja auch nichts Neues, was da geschrieben wird, aber darum geht es auch nicht. Denn Tatjana Kuschtewskaja ist keine Biografin, sie ist Erzählerin. Sie bringt es fertig, den Leser mitzunehmen auf ihre Reise hinter den Vorhang der Zeit. Hier fühlt man sich einmal nicht wie ein Aufklärungsbedürftiger, ein Esel, der am Strick des Biografen an der grande personnage vorbeigezerrt wird, wie an einer steinernen Mauer. Vielmehr gelingt es Kuschtewskaja häufig selbst hineinzutreten in das Bild, das sie entstehen lässt. Anstatt sich mit der reinen Wiedergabe allzu bekannter Hintergrunddaten zufrieden zu geben, träumt sie vielmehr davon, über die Zeitgrenze hinweg der einen oder anderen dieser historischen Figuren doch noch irgendwie selbst begegnet zu sein. Dazu wiegt sie sich ganz einfach in fabulösen Phantasien.

Als Kuschtewskaja einmal im Zuge einer Reportage die Tierdompteurin Natalija Durowa interviewte, stattete sie gleichsam der bereits 1866 verstorbenen Ausnahme-Offizierin Nadeshda Durowa einen Besuch ab. Der Frau nämlich, die nicht nur als erste die höchste militärische Auszeichnung Russlands errang, sondern zudem auf ihren Wunsch hin unter dem Namen Alexander Andrejewitsch Alexandrow zu Grabe getragen wurde. Da ist es beinahe so, als hätte Tatjana Kuschtewskaja die Ausnahme-Offizierin Nadeshda Durowa doch noch erleben können, obgleich sie nur eine Nachfahrin besuchte:

„Ich wartete in einem Zimmer, Natalija Durowa trat ein - schön, groß und schlank, mit ihrem berühmten Hut, die Finger voller Ringe und eine qualmende Papirossa zwischen den Fingern. [...] Mir war, als müßte jeden Moment die andere, die ältere Durowa [...] hereinkommen - raschen Schrittes, in Kosakenuniform, mit hoher Mütze - und mich mit der klangvollen, gutturalen Stimme der Natalija etwas fragen. Stimmen von solchem Timbre, solcher Fülle und Festigkeit sind selten geworden.”

Wo die jung verstorbene Malerin Maria Baschkirzewa klagt, dass sie am liebsten sieben Leben gehabt hätte, fragt man sich gelegentlich, wie viele Leben wohl eine Autorin hat, die sich derart leidenschaftlich dem Leben anderer zuwendet.

Ein bisschen ermüdend wird es mit der Zeit aber doch. Zumeist sind es die Liebschaften der einzelnen Frauen, die zum Ankerpunkt der Kurzbiografien werden und die ungezählten ménages à trois purzeln irgendwann etwas angeschlagen übereinander. Generell tummelt sich hier allzu viel auf zu engem Raum. Da hätte sich die Verfasserin in der Anzahl der Portraits ein wenig zurücknehmen können und dafür die häufig recht spannenden Fäden ein wenig länger spinnen können, anstatt nur einmal kurz das Licht anzuknipsen.

„Macht - Passion - Liebe. Berühmte russische Frauen” richtet sich nicht an den Russlandkenner, sondern an denjenigen, der einfach mal ein wenig in diesen weiblichen Kulturgeschichten schmökern möchte. Ein angenehmes, ein sympathisches Buch, obgleich es auch nichts wirklich Neues zu Tage fördert.

Literaturangabe:

KUSCHTEWSKAJA, TATJANA: Liebe - Macht - Passion. Berühmte russische Frauen. Grupello Verlag, Düsseldorf 2010. 318 S., 19,90 €.

Weblink:

Grupello Verlag


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