Von Susanna Gilbert-Sättele
Als Otto John 1954 in der DDR auftauchte, sorgte er für einen der größten politischen Skandale der jungen Bundesrepublik. Denn John galt als erster Präsident des Amtes für Verfassungsschutz als Geheimnisträger erster Güte. Der Mann war kein Einzelfall. Insgesamt sollen zwischen 1949 und der Maueröffnung 1989 rund 500.000 Menschen vom Westen in die DDR übergesiedelt sein - Prominente wie Normalbürger. Bernd Stöver, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam, hat sich der spannenden Frage angenommen, was sie dazu bewog, „rüberzumachen“, warum ihnen die „Zuflucht DDR“ - so der Titel seines Buches - attraktiv erschien.
Stövers Antwort ist so einleuchtend wie undramatisch: Oft wurde die Entscheidung aus persönlichen Gründen getroffen. Auch galt vielen das DDR-Bildungssystem als das bessere und gerechtere, und es gab ein Recht auf Arbeit und Wohnung. Ein besonderes Augenmerk hat der Verfasser auf prominente Übersiedler gelegt, deren zum Teil bislang nur lückenhaft bekannte Motive für ihren Übertritt allein das Buch schon lesenswert machen.
Auswanderung ist nach Meinung Stövers grundsätzlich erst einmal etwas Normales. Erst die besondere politische Situation, der Kalte Krieg, die Westanbindung der Bundesrepublik und die beiderseitige massive Propaganda machten diesen Vorgang zu einem Politikum. Es habe sachliche Gründe für die Ablehnung einer raschen Westanbindung, wie sie Adenauer propagierte, wie auch Gründe gegen eine rasche Wiederaufrüstung der BRD gegeben, so der Autor.
Für politisch Denkende mag auch eine Rolle gespielt haben, dass die Ostvariante glaubwürdiger antifaschistisch agierte als die westliche. Der schnelle Aufstieg vieler, die im Naziregime eine bedeutende Rolle gespielt hatten, in Schlüsselpositionen der Bundesrepublik schildert der Autor als unrühmlichen Teil der westlichen Nachkriegsgeschichte. Es habe auch etliche gegeben, die in die DDR übersiedelten, weil sie im Westen keinen Erfolg hatten. Auch Kriminelle, Vorbestrafte und Wirtschaftsflüchtlinge seien darunter gewesen.
Viel Raum gibt der Autor den Biografien der Prominenten, die in die DDR auswanderten und zum Teil wieder zurückkehrten. Der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident von Niedersachsen, Günther Gereke, wird genannt, ein politisches Irrlicht, der zum einen im Widerstand um Stauffenberg eine Rolle spielte, deutschnational ausgerichtet war, aber auch sozialistischen Ideen gegenüber offen gewesen sei. Als strikter Gegner von Adenauers Westanbindungspolitik isolierte er sich in der CDU immer mehr, nahm Ostkontakte auf und wurde schließlich zur Aufgabe seiner Ämter gezwungen. Er fühlte sich politisch und menschlich isoliert und ging 1952 in die DDR. Die lohnte es ihm nicht, er bekam nur unbedeutende Posten in seiner neuen Heimat. Der Neuzugang schien politisch wohl als zu unberechenbar.
Spektakulär wie der Wechsel von Otto John in die DDR war auch der Fall des Günter Guillaume, dessen Enttarnung als Spion zum Rücktritt von Bundeskanzler Willy Brandt führte und hier komprimiert und doch mit vielen privaten Details dargestellt ist. Noch recht gut in Erinnerung ist, dass die DDR nicht wenigen RAF-Terroristen als Basis für weitere Anschläge und für das militärische Training oder als Rückzugsraum diente.
An den abenteuerlichen Biografien der beiden RAF-Terroristinnen Inge Viett und Susanne Albrecht ist dies exemplarisch nachzulesen. Während Viett ganz in ihrer neuen antikapitalistischen Heimat aufging, scheint Albrecht, obwohl sie nach ihrem Untertauchen in der DDR studieren und unterrichten konnte, heiratete und Mutter wurde, dort nie recht heimisch geworden zu sein, wie die Schilderung Stövers nahe legt. Beide wurden von DDR-Bürgern erkannt und an den Westen denunziert. Nach Öffnung der Mauer wurden sie verhaftet und verurteilt.
Stövers Buch bietet unterhaltsame und informative Lehrstunden über einen 40-jährigen Abschnitt deutsch-deutscher Geschichte. Die biografischen Passagen sorgen für den human touch.
Literaturangabe:
STÖVER, BERND: Zuflucht DDR - Spione und andere Übersiedler. C. H. Beck Verlag, München 2009. 383 S., 24,90 €.
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