STUTTGART (BLK) – Im August 2009 ist im Klett-Cotta Verlag Brigitte Kronauers Roman „Zwei schwarze Jäger“ erschienen. Er steht auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis.
Klappentext: Wie in einem Treppenhaus kreuzen sich in diesem Buch die Geschichten und Erinnerungen. Alles scheint der Vorstellungskraft der Schriftstellerin Rita Palka zu entspringen, die sich gelegentlich selbst unter ihr Personal mischt, das verschiedener nicht sein könnte. Ob es nun die Dame im Rollstuhl ist, die ihren ehemaligen Liebhaber auffordert den Don Juan der Nachbarschaft zu spielen; die Kassiererin, die der Tristesse entfliehen will und Prostituierte wird; der Verlagslektor, der sich in einen Kellner verliebt; oder Wally, die nur zwei Nächte ihres Lebens mit einem Mann verbracht hat. Sie alle verbindet die Sehnsucht nach den verdeckten Träumen des Alltags, in einer Welt, die diese unerfüllbar und lächerlich macht. Und so rücken die Figuren mit ihren Ängsten und Niederlagen immer dichter zusammen, ohne zu ahnen, dass eine von ihnen zur Mörderin wird.
Brigitte Kronauer, 1940 in Essen geboren, lebt als freie Schriftstellerin in Hamburg. Ihr schriftstellerisches Werk wurde unter anderem mit dem Fontane-Preis der Stadt Berlin, mit dem Heinrich-Böll-Preis, dem Hubert-Fichte-Preis der Stadt Hamburg und dem Joseph-Breitbach-Preis ausgezeichnet. 2004 erschien ihr von der Kritik gefeierter Roman „Verlangen nach Musik und Gebirge“. 2005 wurde ihr der Büchner-Preis der Darmstädter Akademie verliehen. (hel/kum)
Leseprobe:
©Klett-Cotta Verlag©
Die elegante Frau, wie sie erschrocken am Fenster sitzt! Und was für ein kerzengerader Oberkörper! Sie ist seit ein paar Minuten immer bleicher geworden, verblichen all die schöne Jugendlichkeit, an die doch auch Sie auf den ersten Blick geglaubt haben. Da hilft das Rouge, so vorbildlich auf den Wangenknochen aufgetragen, überhaupt nichts.
Ganz weiß ist Helene Pilz geworden. Der Mann bemerkt nichts davon. Er hat ja auch das echte und künstliche Blühen ihres Teints zu Anfang weder unterschieden, noch wenigstens wahrgenommen. „Da“, sagt sie, wie leicht betrunken oder gegen eine große Erschöpfung ankämpfend, „auf der anderen Straßenseite kannst du sie alle begutachten, Frau Bernadotte, Frau Lemnitz, Frau Rottmann, Frau Becher-Hahn. Kein Wunder, daß Frau Mülleis, Wally Mülleis, die große Ausnahme hier, in diesem Gremium fehlt.“
Hört er das denn nicht? Er sitzt tiefer als sie, das liegt an dem hölzernen Podest, auf dem ihr Stuhl steht. Eine kleine Rampe führt zu ihr hoch und zu ihm auf den normalen Fußboden runter. Der Mann muß ein guter Sportler sein, etwas Durchtrainiertes, auf dem Sprung Stehendes geht von ihm aus, trotz der ersten grauen Haare, die Sie oben auf seinem Kopf sehen. Er hat seine Stirn gegen den nackten Oberarm der Frau gepreßt. Wirkt es nicht unfreiwillig bußfertig?
Auch der Frau, wenn sie den Blick vom Fenster wendet, entgeht das Grau zwischen dem Schwarz nicht. Sie berührt die Strähnen mit der freien Hand. Im ersten Moment wollte sie ihm wohl fünffingrig und roh in die dicken Locken fahren. Dann hat sie es sich mitten in der Bewegung anders überlegt und findet ihre Kursänderung, die sie selbst überrascht, gravierend. Vor Kummer beginnt sie zu lächeln, spielt nur sehr behutsam mit diesem und jenem Haar. Auch Sie werden sich fragen, ob solche Vorsicht nicht übertrieben ist, und ob, natürlich, die Frau in Wahrheit mit Erinnerungen tändelt, und ob nicht die es sind, die sie geistesabwesend nach ihren verschiedenen Tönungen zählt und sortiert. Die Maserung ist anscheinend etwas Neues für sie. Das Haupthaar selbst ist es nicht. Da kennt sie wohl alle Wirbel. Ihr betrübtes Lächeln bleibt ihm verborgen.
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Literaturangabe:
KRONAUER, BRIGITTE: Zwei schwarze Jäger. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2009. S. 286, 21,90 €
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