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Zwischen den Stühlen

Aus dem Seelenleben einer jungen Migrantin

© Die Berliner Literaturkritik, 13.04.11

MÜNCHEN (BLK) – Die Biographie „So wie ich will“ der jungen deutsch-türkischen Autorin Melda Akbas ist im Mai 2010 im Bertelsmann Verlag erschienen.

Klappentext: Sie ist 18, lebt als Deutsch-Türkin in Berlin, steht kurz vor dem Abitur, engagiert sich als Schülerin, und ihr größter Wunsch ist ein selbstbestimmtes Leben: Melda Akbas bezweifelt, dass viele Deutsche wissen, was es heißt, ein Migrantenkind zu sein. Vorurteile und Desinteresse bestimmen das Bild. Eloquent und selbstbewusst setzt sie ihre Momentaufnahme dagegen. Ihr Hintergrund: eine Familie von konservativ bis weltoffen, ein bunter Mix aus Köpfen und Haltungen. Sie selbst versucht den Spagat zwischen Respekt vor ihren muslimischen Wurzeln und ihrer Entschlossenheit, sich einzumischen, mitzubauen an einer friedlichen Welt vieler Kulturen und als Frau selbständig zu leben.

Melda Akbas, geboren 1991, lebt in Berlin und macht im Frühjahr 2010 ihr Abitur. In ihrer Freizeit engagierte sie sich als stellvertretende Schulsprecherin, im Bezirksschülerausschuss und arbeitet für die Türkische Gemeinde Deutschland. Im März 2009 wurde ihr Projekt „l.o.s. – let’s organize somethin’“ von der Deutschen Bank und der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichnet.

Leseprobe:

 ©Bertelsmann©

I

Weine nicht, es kann nur

besser werden

Ich heiße Melda. Ein etwas seltsamer Name, ich weiß. Ich bin Türkin, deshalb. Der Name bedeutet so viel wie „jung“, „grazil“, „fein“ oder auch „frisch“. Ich finde, das passt alles wunderbar zu mir. Dabei war meiner Mutter, die ihn für mich aussuchte, vor allem wichtig, dass er aus dem Türkischen stammt, gleichzeitig aber auch auf Deutsch leicht auszusprechen ist. Sie selbst heißt Züleyha, da kann man ihre Überlegung schon verstehen. Jedenfalls habe ich mich an meinen Namen gewöhnt. Zeit genug hatte ich schließlich, bis heute exakt achtzehn Jahre, fünf Monate und zwölf Tage.

  Melda – das bin eben ich.

  Außer mir kenne ich auch niemand anderen, der so heißt. Aber wahrscheinlich kenne ich mich ja nicht einmal selbst – so richtig, meine ich. Das ist in meinem Fall auch nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheint.

  Bestimmt sieht man mir an, dass ich Türkin bin. Obwohl ich nur Kopftuch trage, wenn ich eine Moschee betrete, und sonst ebenso gut als Südamerikanerin durchgehen könnte. Oder als Spanierin. Mit meinen dunklen Augen, dem schwarzen Haar und einer Haut, die selbst im längsten und düstersten Winter noch so aussieht, als würde sie immer ein bisschen Sonne abkriegen. Einige meiner Freundinnen und alle meine Tanten behaupten, ich könnte glatt die Tochter von Penélope Cruz sein, die kommt aus Spanien. Ein nettes Kompliment, aber nein, ich bin und bleibe die Tochter einer Türkin und eines Türken. Darauf bin ich auch stolz, und ich benutze dieses Wort an dieser Stelle ganz bewusst. Obwohl das mit dem Stolz wirklich nicht immer leichtfällt. Das liegt zum größten Teil da - ran, dass meine Familie und ich nicht in unserer Heimat leben, sondern hier, mitten in Deutschland. In Berlin, um genau zu sein. Und wer es noch genauer wissen will: im Stadtbezirk Schöneberg. Vielleicht ist das nicht unwichtig, obwohl Schöneberg riesig ist. Aber ich wette: Denen, die den Teil Schönebergs kennen, in dem wir wohnen, die Gegend um den U-Bahnhof Bülowstraße, sagt das eine ganze Menge.

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  Dass ich Türkin bin, ist aber nur die halbe Wahrheit. Ich war ungefähr neun Jahre alt, als ich einen deutschen Pass bekam, nicht auch, sondern nur einen deutschen. Also bin ich ganz offiziell, mit Stempel, amtlichem Segen und allem, was dazugehört, deutsche Staatsbürgerin. Nicht, dass mich damals jemand gefragt hätte – mich, eine Neunjährige! Doch inzwischen habe ich mir die deutsche Staatsbürgerschaft redlich verdient. Immerhin bin ich in Berlin nicht nur geboren, sondern auch aufgewachsen. Ich gehe hier zur Schule, und wer sich mit mir unterhält, wird schnell feststellen, dass ich die deutsche Sprache absolut unfallfrei hinbekomme. Ihre Grammatik ist zwar verflixt kompliziert, sie macht mir aber nicht mehr zu schaffen als meinen deutschen Mitschülern. Türkisch beherrsche ich natürlich auch, allerdings nicht so gut, selbst mein Englisch ist besser, was meine Eltern nicht unbedingt erfahren müssen. Um aber bei dem Gedanken zu bleiben: Seit ich auf der Welt bin, habe ich – von ein paar Urlauben und dem einen oder anderen kleinen Ausflug abgesehen – immer nur die Luft dieser Stadt geatmet. Zwar ist unsere Familie, und da schließe ich jetzt mal meine Großmutter mütterlicherseits, zwei Tanten und zwei Onkel mit ihren jeweiligen Familien mit ein, mehrmals umgezogen, es ging aber nie über die Grenzen Schönebergs hinaus.

  Soll keiner sagen, dass einen das nicht prägt. In Istanbul oder in Antalya wäre sicher eine ganz andere Melda aus mir geworden. Oder erst in Çarşamba. Das ist eine Stadt mit einigen angeschlossenen Dörfern im Norden der Türkei, aus der stammen meine Eltern. Wahrscheinlich hätten sie mir dort sogar einen anderen Namen gegeben.

  Aber sie leben hier, und ich lebe bei ihnen. Und, da will ich niemandem etwas vormachen: So ein deutscher Pass ist eine schöne Sache. Besonders, wenn man ins Ausland verreisen will oder sich um eine Arbeitsstelle bewirbt oder mit den Behörden etwas zu klären hat, ist er ungemein hilfreich. Das weiß ich von meinem Vater, ich selbst habe meinen Pass noch nicht oft benutzt. Andererseits ändern ein paar Blätter amtliches Papier mit Wasserzeichen zwischen zwei weinroten Pappdeckeln nicht automatisch auch den Menschen, dem sie gehören. Der behält seine Herkunft, und ihm bleibt die Geschichte seiner Familie und seines Landes, seine Religion, erst recht sein Inneres, das, was ihn tief im Herzen bewegt.

  Das ist bei mir nicht anders. Aber doch anders als bei meinen Eltern, die inzwischen auch nur noch einen deutschen Pass besitzen. Im Gegensatz zu mir ist für sie alles irgendwie klar. Sie wissen, wer sie sind und wo sie hingehören, womit ich weniger den Wohnort meine als ihre Einstellung zu den wichtigen Fragen des Lebens, zur Religion und zum Kopftuchtragen, zu Anstand und Moral und all dem.

  Genau an diesem Punkt fängt das Problem an. Ich würde ja gern sagen, dass es das Problem meiner Eltern ist. Nur wird es dadurch dummerweise auch zu meinem eigenen. Und das macht das Leben für mich ganz schön anstrengend. Es ist wie ein ewiger Hürdenlauf. Wann ich mit dem Laufen anfing, weiß ich gar nicht mehr. Und wann ich damit endlich aufhören kann? Keine Ahnung. Obwohl ich ständig in Bewegung bin, habe ich nicht das Gefühl, dem Ziel ein Stück näher zu kommen. Wahrscheinlich gibt es gar kein Ziel. Dafür immer neue Hürden, die mir meistens auch noch ausgerechnet von den Menschen in den Weg gelegt werden, die mir am nächsten stehen.

  Womit ich wieder bei meinen Eltern wäre.

  Und das alles, weil ich nicht ins Schema passe und mich auch wehre, in irgendein Schema gepresst zu werden.

  Vielleicht übertreibe ich ein bisschen, aber ich glaube, die meisten Leute stellen sich eine Türkin nur als Abziehbild irgendeiner Türkin vor, die ihnen mal auf der Straße oder im Bus begegnet ist: Die trägt natürlich ein Kopftuch, und das aus tiefster religiöser Überzeugung. Ihr gebrochenes Deutsch reicht gerade für „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ und beim Einkaufen höchstens noch für „Zucker“ und „Mehl“. Die Hauptschule hat sie bestenfalls mit Ach und Krach hinter sich gebracht. Bildung bedeutet ihr ohnehin nicht viel, da ihre Eltern sie bereits als Fünfzehnjährige dem Sohn einer befreundeten Familie versprochen haben und sie sich später sowieso ausschließlich um Haushalt und Kinder zu kümmern hat.

©Bertelsmann©

Literaturangabe:

AKBAS, MELDA: So wie ich will. Mein Leben zwischen Moschee und Minirock. Bertelsmann Verlag, München 2010. 240 S., 14,95 €.

Weblink:

Bertelsmann


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