Zum 250. Geburtstag von Friedrich Hölderlin

Der Sommer

Das Erntefeld erscheint, auf Höhen schimmert
Der hellen Wolke Pracht, indes am weiten Himmel
In stiller Nacht die Zahl der Sterne flimmert,
Groß ist und weit von Wolken das Gewimmel.

Die Pfade gehn entfernter hin, der Menschen Leben,
Es zeiget sich auf Meeren unverborgen,
Der Sonne Tag ist zu der Menschen Streben
Ein hohes Bild, und golden glänzt der Morgen.

Mit neuen Farben ist geschmückt der Gärten Breite,
Der Mensch verwundert sich, daß sein Bemühn gelinget,
Was er mit Tugend schafft, und was er hoch vollbringet,
Es steht mit der Vergangenheit in prächtigem Geleite.

Friedrich Hölderlin

Allen Lesern ins Stammbuch (31)

Die Frau: „Arbeiten Sie hier?“
Der Buchhändler: „Ja, mehr oder weniger, meist weniger.“
„Sie, haben Sie eventuell Bücher von diesem … äh … Hölderlin?“
„Ja, schon. Hier zum Beispiel eine Gedichtausgabe, sehr gut kommentiert.“
„Nein, Gedichte nicht um Gottes Willen, haben Sie nicht so kleine Geschichten?“
„Kleine Geschichten hat er nicht verfaßt.“
„Ach so, ja was denn?“
„Einen Briefroman mit dem Titel Hyperion.“
„Ist der spannend?“
„So würde ich das nicht sagen.“
„Was hat er denn Lesbares geschrieben, für abends vor dem Einschlafen?“
„Meines Wissens nichts.“
„Ja, er muß doch was geschrieben haben, sonst würde er doch nicht im Reiseführer stehen.“
„Ein Trauerspiel in fünf Akten über Empedokles.“
„Über was?“
„Empedokles war ein griechischer Philosoph, der sich aus Verzweiflung in den Ätna stürzte.“
„Naja, und wenn ichs mal in einer anderen Buchhandlung versuche?“
„Das können Sie machen, versuchen kostet nichts.“
„Und wo ist die nächste Buchhandlung?“

(Ein wahrhaftiger Dialog aus dem Erlebnisbereich einer Tübinger Buchhandlung.)

Schwäbisches Tagblatt, 5.9.1990