Was folgt, sind Dialoge und
Monologe unter den vier Bewohnern dieses Ich. Die
Viererlogik wird aus der Inhalts- auf die Formebene
überführt, der Bildschirm zeigt die Portraits der
Beteiligten nebeneinander. Aber das ist es noch nicht das
besondere an Quadrego. Das besondere ist, dass man die
Gespräche nun selbst steuern kann. Dass man entscheiden
kann, wer wem antwortet. Maskievicz hat einen komplizierten
Mechanismus der Bezüge entwickelt, der allein mit HTML
und JavaScripts auskommt. Es ist ihm gelungen, die Sache mit
einer Unzahl an if- und for-Befehlen so abzustimmen, dass
jedes Image und jeder Text auf dem in 14 Frames aufgeteilten
Bildschirm schließlich an der richtigen Stelle, in der
richtigen Größe und in der richtigen Reihenfolge
erscheint. Die Freiheit der Kombination
vollzieht sich freilich innerhalb der Vorgaben des Autors.
Man kann immer nur aus den potentiellen
Gesprächspartnern auswählen, die der Autor
vorgesehen hat; und was sie dann sagen werden, ist exakt
das, was der Autor ihnen in den Mund gelegt hatte. Diese
Texte spiegeln die Befindlichkeit der Eingesperrten. Wer da
eher Aktion als Psychorhetorik erwartet, wird nicht auf
seine Kosten kommen. Die einzige Aktion ist die
Verschlimmerung der Multiple Personality Disorder, wenn
schließlich auch Georg - bisher reales Gegenüber
der Vierer-Gruppe - Teil des multiplen Ich wird. Eine
verfahrene Situation, die im Kreislauf der Kombinatorik ihre
beklemmende Wirkung entwickelt. Aus dem dd: Wie
kamst du zum Schreiben digitaler Literatur? SM: Die Medien,
die ich als Ausdrucksmittel benutze, sind mir im Laufe der
Zeit zugewachsen. Ich habe zunächst Malerei studiert.
Meine berufliche Orientierung als Lernsystemlektor und
-entwickler waren für die konzeptionellen Schritte
digitaler Projekte eine gute Grundlage. dd:
Welche Erfahrungen hast du bei der Produktion digitaler
Literatur gemacht? SM: Das Spiel mit
Wort, Bild und Interaktion birgt die Gefahr der Beliebigkeit
und Zufälligkeit. Schnell wird jeder Ansatz von Text in
Banalität zerkrümelt und muss vom Leser vor dem
Genuss wieder zusammengebacken werden. Kunstvolles Kodieren
um des entstandenen Kodes willen ist nicht mein Interesse.
Ich suche nach Anlässen und Zusammenhängen, in
denen es Sinn macht, sich einer neuen Textart zu bedienen.
Dann wird Interaktion in die Gesamtheit eines digitalen
Werkes einbezogen. dd: Wie
kamst du auf Quadrego? SM: Die Grundidee zu
Quadrego ergab sich aus der Lektüre eines Buches
über das Leben am/im Bildschirm (Sherry Turkle: Life on
Screen - Identity in the Age of the Internet). Turkle
beschreibt in ihrem Buch das Verhalten eines Teilnehmers an
einem MUD (Multi User Dungeon), einem Fantasy Spiel mit
realen Teilnehmern. Dieser Teilnhemer nahm im Laufe von
wenigen Minuten vier verschiedene Rollen ein, die von
anderen Teilnehmern als vier unterschiedliche Charaktere im
Spiel wahrgenommen wurden. Der Spieler bewältigte den
sprunghaften Rollenwechsel mithilfe einer Fenstertechnik auf
dem Bildschirm. Je nach Fokus auf eines der Fenster
wechselte er die Rolle. Gleichzeitig recherchierte
ich nach Rollenverhalten und Persönlichkeitsspaltung
und stieß auf Forschungsberichte über MPD
(MultiplePersonality Disorder). Ich war sofort fasziniert
von dieser Form der Persönlichkeitsvervielfachung. Es
war ein Phänomen, das sich gänzlich von der
Vorstellung des Rollenverhaltens abhob. Aus der Rolle wurde
die hermetisierte Persönlichkeit. dd:
In der Einleitung heisst es: "Quadrego ist in
mehreren Formen geschrieben und lässt sich lesen und
erleben." Das Erleben ist ein Mehr gegenüber dem Lesen
eines Textes auf Papier. So wird der Rezeptionsprozess
selbst zum Träger der Aussage? SM: Quadrego
vereint mehrere Monolog- und Dialogstränge, die sich
linear durchleben/lesen lassen. Die Kombinierbarkeit ist ein
wesentliches Gestaltungselement, das dem Leser die Freiheit
zur eigenen Wegfindung durch den Text gibt. Brüche bei
der individuellen Rekombination dürfen beim Lesen nicht
spürbar werden. Divergente und konvergente
Erzählstränge treffen sich immer wieder in
Knotenpunkten, die als solche aber nicht erkennbar sein
dürfen. Das Zusammenspiel der Medien
Text und Bild mündet im intermedialen, individuellen
Erleben. Der Augenblick, in dem ein bestimmter Text mit
einem Bild/Farb-Klang zusammenkommt, ist schwer
wiederholbar, da er von der Geschwindigkeit des Lesens und
der Aktion des Weiterklickens abhängig ist. Also ist
auch das Ergebnis - das Erlebnis - immer wieder ein
anderes. dd:
An verschiedenen Stellen lauern zusätzliche
'Text'ebenen, die für das Verständnis des Ganzen
wichtig sind, und die man möglicherweise erst beim
zweiten oder dritten Lektüredurchgang
entdeckt. SM: Der Wechsel der
Augenfarbe von Iris spiegelt das chameleonartige Wesen der
Person wieder, die Georg gegenübersteht. Die Verwirrung
Georgs im Angesicht widersprüchlicher Gefühle und
geheimnlisvoller Andeutungen spiegelt sich in den Augen
wider, die die Farben der vier Persönlichkeiten
annehmen. Dieser Farbwechsel ist so abgedämpft
gestaltet, dass er nicht sofort auffällt.
Interview
mit dem
Autor:
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