In Frankfurt sitzt der Romanist Gottlieb Elsheimer, gerade von einem internationalen Kongress in Rom zurückgekehrt. Dort tagte man auf dem Aventin und sprach über Dantes „Divina Commedia“. Für eine Runde Wissenschaftler war die Veranstaltung erstaunlich locker, aber man kennt und schätzt sich. Gottlieb Elsheimer sitzt in seiner Wohnung, mal beim Italiener und schwätzt. Bereits zu Beginn des Romans erfährt der Leser, irgendetwas ist vorgefallen. Drei der 34 Forscher sind auf rätselhafte Weise verschwunden, in den Himmel oder die Hölle gefahren.
Auf steinigem Berggelände vertreten drei wilde Tiere dem herumirrenden Dante den Weg – Luchs, Löwe und Wölfin. Und es sind wiederum drei himmlische Frauen, die sich zu einem Rettungsmanöver verbünden, um den zaudernden Florentiner mittels des ausgesandten Vergil zur Jenseitsreise zu bewegen – Maria, die heilige Lucia und die von Dante angebetete Beatrice, die früh verstorbene, hell lodernde Flamme seiner verliebten Jünglingsjahre, die als verklärte Gestalt im Himmelt weilt. Ob nun im Himmel oder nicht, jetzt, 2014, vor dreizehn Tagen, sind dreiundreißig Dantisti verschwunden, obendrein drei Hausangstellte.
Was ein Suspense: schon zu Beginn weiß man irgendwie Bescheid, wird aber derart im Dunkeln gelassen, dass sich tatsächlich etwas wie Spannung einstellen könnte. Aber die gesamte Handlung versickert in Nebensächlich- und Langweiligkeiten. Toll, lustig, verschrobene Wissenschaftler sind sie alle da in Rom, ein lustiges Hündchen ist dabei, das die Stimmung auflockert. Kicher kicher. Aber eher ein Altherrenwitz, der im Raum verpufft und beschämende Stille verursacht. Während Gottlieb (noch so eine Anspielung) Elsheimer seine Gedanken und Erinnerungen sortiert, um dem Pfingstwunder, dem Verschwinden der Kollegen, auf den Grund zu gehen und herauszufinden, warum er als 34. nicht mitgenommen wurde (die Commedia hat je 33 Kapitel plus Prolog, was der Leser auf Seite 33 lernte), flicht Lewitscharoff sämtliches Dante-Wissen der Neuzeit in einen Roman, das Neugier auf die Commedia macht, aber nicht nach „Das Pfingstwunder“, sondern an seiner Stelle. Es scheint fast als suchte sie nur einen Rahmen, um dorthinein dieses Wissen zu stopfen.
„Das Pfingstwunder“ ist sicher kein Kandidat für die Shortlist, ein Pfingstwunder, dass Lewitscharoff es überhaupt auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Vielleicht war es der Büchner-Preis, der sie hierauf hob, ihr Schreiben war es nicht. Gottlob sitzt Gottlieb in seinem Studierzimmer, nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte Lewitscharoff ihn auf die Spuren Dantes ins Jenseits geschickt hätte.
Von soviel Blödsinn wird mir schwindlig. Ich muß pausieren. Vielleicht ein Tee? Vielleicht was Labberiges, das mich bei Stimmung hält und mich nicht weiter angreift?
(Schreibt Gottlieb, könnte aber auch vom Rezensenten sein.)
Besprechung von: Tilman Winterling, Betreiber des Blogs 54books
Sibylle Lewitscharoff: Das Pfingstwunder. Suhrkamp Verlag, 2016. 350 Seiten, 24€.
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6 Comments
Claudia
15. September 2016 at 9:59Gottlob hast Du auch Gottlieb noch einmal sprechen lassen, lieber Tilman (ich muss das Wortspiel jetzt einfach noch einmal aufnehmen), auch wenn ich argwöhne, dass Du nicht gerade einen seiner besten Kommentare hier wiedergegeben hast :-). Schade, in diesem Jahr häufen sich ja tatsächlich die Unzufriedenheiten mit den nominierten Titeln.
Viele Grüße, Claudia
Deutscher Buchpreis 2016 - Die Longlist: Eine Rezensionsübersicht
15. September 2016 at 10:40[…] Buchpreisblog […]
atalantes
16. September 2016 at 19:00Mich, die ich ja nur die Leseprobe kenne, hat Gottlieb weniger wegen seines Pietistennamens, mehr wegen seines silbernen Schopfs und seines profunden Dante-Wissens an Kurt Flasch erinnert, der ht die Commedia vorzüglich übersetzt und ihre eine lesenswerte Einführung zugefügt hat.
Longlistenlesestatus | Literaturgefluester
17. September 2016 at 10:24[…] Falkner, Katja Lange-Müller und Sibylle Lewitscharoff. Aber das ist mein persönlicher Tip, der „Buchpreisblog“ hat das Buch ja sehr zerissen. Mal sehen, wie falsch oder richtig ich […]
Die sechs deutschen Shortlistbücher | Literaturgefluester
20. September 2016 at 12:31[…] mit Sibylle Lewitscharoffs „Pfingstwunder“, das der Buchpreisblog, um Mara Giese verissen hat, angefangen und ich hätte es daraufgeschrieben und bin jetzt ein wenig enttäuscht, denn ich […]
jancak
22. September 2016 at 11:44Wie sich die Geschmäcker unterscheiden, denn für mich war es von den elf Büchern, die ich bis jetzt gelesen habe, das beste, schade, daß es auf der Shortlist fehlt, denn für mich wäre es bis jetzt der Preisfavorit, weil das zweite, das mir von den elf auch sehr gut gefallen hat, ist ja eigentlich kein Roman, sondern ein Memoir und Personal Essay https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/09/13/die-welt-im-ruecken/ und gehört ganz streng genommen nicht auf die Liste, obwohl ich nichts dagegen habe, das es den Preis gewinnt.
Beim „Pfingstwunder“ und da habe ich mir zuerst auch nicht zuviel erwartet, denn ich habe schon „Montgomery“ und „Blumenberg“ https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/11/30/blumenberg/gelesen und nicht sehr viel verstanden, war die Überraschung, daß das Buch trotz seiner „zerzwirbelten“ Sprache offenbar Lewitscharoffs Spezialität, sehr leicht zu lesen und spannend ist.
Es hat mich überrascht, mir Neues geboten, also die Kriterien für einen guten Roman, ich denke, die Lewitscharoff macht sich darin über den Literaturbetrieb, der von seinen Literaten, das Höchste, Schönste, Beste, Grauslichste fordert und dann sehr sehr schnell mit Steinen wirft, gehörig lustig und sie verbindet das Überhöhte mit dem Alltäglichen.
So kommt ja, was von vielen Bloggern bedauert wird, daß das heuer auf der Liste fehlt, die Flüchtlingsfrage vor und wenn ich das Buch mit den „Witwen“https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/09/05/die-witwen/, die ja irgendwie sehr ähnlich sind, vergleiche, so ist für mich der Unterschied, daß auch die Realität angesprochen wird.
Wie geht es mir, wenn ich sowas erlebe und der Polizei erzähle? In der Realität komme ich wahrscheinlich auf die Psychiatrie, denn ein „Pfingstwunder“ gibt es ja nicht, auch wenn manche Personen für ein solches noch heute heilig gesprochen werden.
Von der „Göttliches Kommödie“ erfährt man in dem Buch auch noch sehr viel!