Während Ihre Tochter klein war, hatten Sie die unterschiedlichsten Jobs. Was haben Sie alles gemacht? Inwiefern haben Sie diese Erfahrungen beeinflusst?
Ich hatte eine Reihe von Jobs mit flexibler Arbeitszeit, so dass ich mich um meine Tochter kümmern und weiter schreiben und studieren konnte. So war ich persönliche Assistentin eines Pfarrers an einer schönen alten Kirche. Einmal hatte ich einen Job an einem Gemeindezentrum. Dort kümmerte ich mich um die Gewinnung von Spenden, ich erledigte Büroarbeiten und sprang auch für die Köchin ein, wenn es nötig war. Einmal kochte ich das Weihnachtsessen für die betagten und gebrechlichen Gemeindemitglieder. Bestimmt die größte Herausforderung war mein Job als Betreuerin von Hirnverletzten. Dabei versuchte ich, meinen Schützlingen zu einem möglichst erfüllten und selbständigen Leben zu verhelfen, ob es nun um das Einkaufen und Kochen ging oder um das Knüpfen von Kontakten und das Erlernen neuer Fähigkeiten. Am schwersten war es dabei, mit den komplizierten Emotionen zurechtzukommen, die durch die tiefgreifenden Veränderungen im Leben der Klienten nach so einer Verletzung bedingt sind.
Was hat Sie zu Ihrem Debüt beflügelt?
Angeregt wurde ich durch eine Kurzgeschichte, die ich vor einigen Jahren schrieb. Da ging es um ein finsteres, etwas eigenartiges kleines Dorf. Es war mir so sehr ans Herz gewachsen, dass ich darauf zurückkommen und seine Geheimnisse aufdecken musste. Ich wollte schon länger eine Mystery Novel schreiben – und Mulderrig war dafür der perfekte Schauplatz. Der Ort war mir schon immer wie ein lebendiger Charakter vorgekommen – wie eine Romanfigur mit einem Eigenleben.
Am Anfang Ihres Romans spielen die Waldbäume, Farn, Efeu und andere Gewächse eine besondere Rolle? Welche Vorstellung hatten Sie da im Kopf?
All der Gewalt und dem Horror der Eingangsszene wollte ich auch etwas Schönes entgegensetzen und so den Lesern Hoffnung machen. Im Roman hat auch der Wald diese schreckliche Tat mitangesehen – und in gewisser Weise tut der Wald, was der Leser gerne tun würde: Er rettet und beschützt das Baby. Angesichts der Gefahr wirken die Büsche, Bäume und die Tiere des Waldes auf magische und mirakulöse Weise zusammen.
Schauplatz Ihres Romans ist ein abgeschiedenes Dorf. Was macht diese Atmosphäre literarisch und psychologisch besonders reizvoll für Sie?
Sehr beeinflusst wurde ich durch die Darstellung zweier abgeschiedener Dörfer in J.M. Synges »Der Held der westlichen Welt« und Dylan Thomas‘ »Unter dem Milchwald«. Beide haben lebendige Orte mit exzentrischen Gestalten geschaffen. Dylan Thomas lässt uns durch die Straßen gehen, die Treppen hinauf und bis in die Träume seiner Gestalten. J.M. Synge dagegen zeigt uns, wie eine abgeschiedene Gemeinschaft durch die Geschichten, die sie sich erzählt, ihre eigenen Wirklichkeiten erschafft. Ich glaube, der kleine, abgeschiedene Ort als Schauplatz passt prinzipiell bestens zu einer Mystery Novel. Man kann da Druck und Spannung aufbauen, da jeder jeden kennt, alle unter einer Decke stecken und Dinge unter den Teppich kehren.
Ihr Roman wirkt wie ein berauschender Cocktail aus Gesellschaftskomödie, magischem Realismus und Detektivgeschichte, bei der wir Leser alle miträtseln. Sind wir mit dieser Lesart auf dem Holzweg? Was schwebte Ihnen denn selbst beim Schreiben vor?
Ich wollte eine Mystery Story schreiben – und zwar unbedingt im Stil eines magischen Realismus. Daher gibt es zwei Stränge: Mystery und magischen Realismus. Es gibt aber auch noch weitere Einflüsse: die Gothic Novel, die romantische Liebesgeschichte und die Komödie. In erster Linie aber wollte ich, dass der Leser eine echte Erfahrung macht. Mir gefallen Geschichten, von denen man nicht weiß, wie sie ausgehen und die einen zu unerwarteten Schauplätzen führen. Letztlich geht es in diesem Buch um einen Jungen, der gerettet wurde und aufwuchs, um die Rätsel um das Verschwinden seiner Mutter zu lösen. Beim Schreiben griff ich auf alles zurück, von dem ich glaubte, es würde mir helfen, Mahonys Geschichte so gut wie möglich zu erzählen. Daher kommt es, dass das Buch eine Kombination verschiedenster Elemente ist.
Es scheint fast, als wäre Ihnen ein gewöhnlicher Krimi zu einfach gewesen. Warum?
Wenn man das Übernatürliche in einem Krimi zulässt, erweitert das den Bereich der erlaubten Indizien und Ermittlungsmethoden – einschließlich Bridget Dooseys Vorahnungen und Mrs. Cauleys Versuchen, mit Verstorbenen Verbindung aufzunehmen. Die übernatürlichen Elemente des Romans sind oft verbunden mit Aberglauben und typischen Gepflogenheiten des Landlebens. Die Ausbrüche des Magischen liefern einen Kontrast zur gedrückten Atmosphäre im Ort ...
Ob Mahony oder die Dorfbewohner: Sie haben wunderbar schräge, sehr lebendige Charaktere erschaffen. Wie gehen Sie dabei vor? Wie gelingt Ihnen das?
Ich versuche mir meine Figuren als Individuen mit einzigartigen Lebensgeschichten, Vorlieben und Abneigungen vorzustellen. Ich möchte, dass sie dem Leser als real und lebensecht vorkommen – wie wenn man sie auf der Straße oder in der Kneipe treffen könnte. Manche der Figuren waren viel einfacher darzustellen als andere. Bei Mrs.Cauley hat es mir großen Spaß gemacht, sie ist definitiv einer meiner Lieblingscharaktere. Sie war plötzlich komplett da – es war, als hätte ich sie schon mein ganzes Leben lang gekannt.
Manche Dorfbewohner sind entsetzt von Mahonys Hippie-Look. Was macht für Sie persönlich die Flower-Power-Ära interessant? Was verbinden Sie hauptsächlich damit?
1976 war ich erst drei. Ich kann mich aber noch lebhaft erinnern, wie die Mode damals war. Meine Eltern haben sich mit Begeisterung schön gemacht, wenn sie auf Partys gingen. Die beiden verbreiteten richtig Glamour – besonders mein Vater. Er hatte lange Haare, eine gelb getönte Brille und wirklich extravagante Klamotten. Ich denke, im Roman fühlen sich die Einwohner von Mulderrig ein bisschen bedroht durch all das, wofür Mahony steht. Für sie gehört er zu dieser Gegenkultur der Hippies mit freier Liebe und Drogenexperimenten. Überdies verkörpert Mahony eine unangepasst, etwas rebellische Denk- und Lebensweise: Er schert sich nicht um Regeln, er stellt gewohnte Verhaltensweisen in Frage. Mahony hat keine Angst davor, aufzufallen und Aufsehen zu erregen. Und durch sein Aussehen hat er gleich auf den ersten Blick eine Sonderrolle. Mich begeistern die 70er Jahre – wegen der Musik, der Kunst und der Atmosphäre schöpferischer Freiheit.
Wenn es um die Verfilmung Ihres Buches ginge: Welchen Regisseur würden Sie sich wünschen und warum?
Eine Verfilmung meines Romans wäre natürlich toll. Einen bestimmten Regisseur könnte ich spontan nicht nennen, weil ich so viele für ihre Filmkunst bewundere. Fantastisch fände ich es, wenn ein Regisseur das Düstere und das Komische miteinander verbinden und die übernatürliche Seite der Dinge lebendig machen könnte.
Sie sagten einmal in einem Interview, dass Sie einen Deal mit dem Universum gemacht haben. Worin bestand dieser Deal eigentlich?
Es gab eine Zeit, da machte ich mir große Sorgen über meine Zukunft. Ich lebte von sehr wenig Geld und steckte meine ganze Energie ins Schreiben und ins Studium. Da überfällt einen dann Panik, dass man nie gedruckt wird, dass die ganze jahrelange Arbeit für nichts und wieder nichts sein könnte. An dem Punkt erklärte ich dem Universum, dass ich weiterschreiben werde, egal was passiert, ob ich gedruckt werde oder nicht. Ich entschloss mich, niemals aufzugeben. Wenn man versteht, dass das Schreiben an sich schon der Mühe wert ist, wird es leichter, unter schwierigen Umständen weiterzumachen.
Das Interview führte Elisabeth Zeitler-Boos