Dideldum

Die Bilderwelt des Otto Waffenschmied 
Auszug aus der Einleitung

DIDELDUM: Die lustige Kinderzeitung war als Kundenbeigabe in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts sowie im Abonnement oder Buchhandel erhältlich. Zweimal im Monat konnte sie, z.B. als "Karstadtmagazin", bei Defaka oder anderen Geschäften erworben werden. Von Oktober 1929 bis Mai 1941 erschienen diese außergewöhnlich unterhaltsamen, witzigen und spannenden Nummern. Jeweils 16 Seiten stark und farbig illustriert, enthielten sie unter dem Titel Muck und Puck und Adelheid, das Katzenjammerkleeblatt lustige Streiche in dem und um das Haus von Förster Braus, ferner eine Serie Max und Miki, die Weltenbummler, die unglaubliche Abenteuer, etwa im Kampf gegen die Zipfelmännerbande, bestehen oder zum Mond reisen. Und auf der letzten Seite den Bericht des Käppen Bidebux, der mit seinen Matrosen Stange und Stöpsel in einem winzigen U-Boot auf den Weltmeeren unterwegs ist und das verrückteste und aberwitzigste Garn spinnt, ebenfalls mit einer farbigen Illustration, aber in Prosa statt in Reimen verfaßt. Märchen und Geschichten bilden den Mittelteil der Zeitschrift, und sie sind in einer Sprache geschrieben, die 

    

sie als anspruchsvolle aber kindgerechte Literatur ausweisen. Bemerkenswert ist darüberhinaus, daß es in  den DIDELDUM-Heften keinerlei nationalsozialistische Propaganda gibt, keinerlei politische oder religiöse Indoktrination, sondern Toleranz, Völkerfreundschaft, die Liebe zum Tier und die Hilfe für die Verfolgten vorherrschen.

Bislang war wenig mehr als nur der Name des Verfassers und Zeichners Otto Waffenschmied bekannt, der ohne sich zu wiederholen fast zwölf Jahre lang zusammen mit seiner Frau Eva geborene Steinkrauß die Zeitschrift herausbrachte. Dann haben Hans-Jürgen Precht und Ulrich Birkholz in liebevoller Kleinarbeit eine ganze Reihe biographischer Fakten recherchiert, die Detlev Lüders ergänzte und die sie mit der Gründung des DIDELDUM-Kreis ins Internet (www.dideldum-kreis.de) gestellt haben. 

     

Otto Waffenschmied ist ein Illustrator, dessen Werke weit über die Arbeit eines Graphikers hinausreichen. Kaum einem anderen Magazin eignet diese suggestive Kraft. Er ist aber nicht der Pionier. Als DIDELDUM zum erstenmal erschien, gab es schon bedeutende und beliebte Vorbilder, die er mit Sicherheit gekannt haben muß. Zwei Jahre zuvor waren in seiner Geburtsstadt Wien in ähnlicher Aufmachung die Kindermagazine "Kiebitz", "Der Papagei" und "Der bunte Schmetterling" herausgekommen. Sie erschienen zwischen 1926 und 1941. Sie enthalten comicartige Serien mit gereimten Unterzeilen (z.B. "Nick und Nuck die schlimmen Brüder"). Bereits in den ersten Jahrgängen des "Schmetterling" tauchen dort vereinzelt Sprechblasen auf ("Schmetterling" 1928, 2. Augustheft, S. 7), im DIDELDUM nur selten (wohl gleich in der 1. Nummer S. 3 und S. 8 und dann vermehrt - doch auch nur spärlich - in den letzten Jahrgängen). Aus dem "Kiebitz" werden (vgl. 1928, 2. Augustheft) Anleihen bei Kater Felix (den gab's im Comic seit 1927) gemacht. 

Auch der Dideldum-Kreis hat sein Vorbild im "Schmetterling". Anders als im DIDELDUM, bei dem wie erwähnt nur Waffenschmieds Frau Eva Steinkrauß mitarbeitete, gab es bei den andern Kinderzeitungen mehrere Mitarbeiter, die anfangs auch namentlich ihre Beiträge zeichneten. Das periodische Kindermagazin DIDELDUM ist anders als die moralischen Wochenschriften des 18. und 19. Jahrhunderts nur stellenweise belehrend, kaum mit moralischen Traktaten oder sogenanntem Wissenswerten belastet. Der "Schmetterling" dagegen beschäftigte 1928 sogar einen "beratenden Ingenieur" im Redaktionsteam. -

Otto Waffenschmied wurde am 16. Juni 1901 in Wien geboren und hat dort studiert. Ulrich Birkholz konnte nachweisen, daß er und seine spätere Frau bei Franz Cizek an der Kunstgewerbeschule in Wien - seinerzeit ein bedeutendes Kunstzentrum Europas - ausgebildet wurden. Die legendäre Jugendkunst-Klasse Cizeks, die er 1897 in Wien eröffnet hatte, räumte der "Hinneigung zum Kinde" oberste Priorität ein. In seiner Zeichen- und Malschule für 5 bis 14 Jährige durften die Schüler ohne Vorschriften, ohne Regeln arbeiten und ihre eigene Welt gestalten wie sie wollten, wurden weder korrigiert noch getadelt und "von allem Anfang an zu Aktivität erzogen, an Selbständigkeit gewöhnt, ... zur Freiheit, überall hin schwimmen zu dürfen." Die Werke wurden auf Ausstellungen weltweit beachtet und bewundert, so in London auf dem Kunsterzieher-Kongress 1908, in New York 1924, 1927 in Kanada. Die Entdeckung der Kinderseele durch die sogenannte Wiener Jugendkunst wurde zum Schlagwort. Und so scheint es nur folgerichtig, wenn die ersten Kinderzeitungen, die als Vorläufer angesehen werden dürfen, in Wien konzipiert wurden und dort zuerst erschienen, bevor das Künstlerpaar Waffenschmied dann in Hamburg und in Berlin DIDELDUM herausbrachte.

Der Bekanntheitsgrad dieser Kinderzeitung heute steht noch in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer Beliebtheit damals. In den großen Kinderbuch-Bibliographien fehlt der Name Waffenschmied. "Die Kinderwelt im Kinderbuch" verzeichnet ihn nur mit einem einzigen Titel: Piet und Fred reisen um die Welt. Im "Knigge", dem Comic-Lexikon, wird das Magazin immerhin als "die populärste Kinderzeitschrift der deutschen Vorkriegsgeschichte" bezeichnet. Um Waffenschmieds Werk vor der Vergessenheit zu bewahren und zu fördern ist 2003 in Karlsruhe-Durlach ein gemeinnütziger Verein ins Leben gerufen worden. 

Im Antiquariatshandel tauchten Waffenschmieds Bildergeschichten bislang nur unter der Rubrik "Vorkriegs-Comics" in Katalogen und Nachschlagewerken auf. In Auktionskatalogen wurden hin und wieder DIDELDUM-Jahrgänge irreführend lediglich unter dem Titel "Karstadts Kindermagazin" beschrieben. Der Grund dafür liegt darin, daß oben auf der Titelseite der Hefte ein kleiner Raum für einen Werbeaufdruck freigelassen war, der als Titel der Zeitschrift mißdeutet werden kann. Ansonsten blieben die Hefte frei von jeglicher Reklame.

Moses und Feininger

Platon wird als erster Denker genannt, der eine eigene und geeignete Literatur für Jugendliche forderte (Politeia II). Was aber ist geeignetes, angemessenes Schrifttum? Seitdem Ellen Key um 1900 vom kommenden "Jahrhundert des Kindes" gesprochen hatte, traten Erbauungsschriften mehr und mehr in den Hintergrund. Der Säkularisierungsprozess ließ Romane, die etwa "für die katholische Jugend bearbeitet" worden waren, belehrende Traktate und rollenfixierte Mädchen- oder Knabenbücher zwar nicht völlig verschwinden, doch gesellten sich im 20. Jahrhundert jene bunten Kinderzeitungen hinzu, die eine prägende und nachhaltige Breitenwirkung ausübten. Sie bilden eine eigenartige Symbiose von teils anspruchsvoller kindgemäßer Literatur und Comics. 

Die Bildersprache im Kinderbuch wandelte sich. Als Waffenschmied mit seiner Arbeit begann, war es gerade einmal zwanzig Jahre her, seit C. O. Czeschka mit der flächigen Stilkunst seiner "Nibelungen"-Illustrationen in Band 22 von "Gerlachs Jugendbücherei" 1908/09 das anerkannt schönste Jugendstil-Jugendbuch geschaffen hatte

Zwischen solch künstlerisch anspruchsvoll gestalteten Kinder- und Jugendbüchern und den modernen Comics bilden die Kinderzeitungen so etwas wie einen - noch nicht eingehend untersuchten - Übergang. Der erste Micky-Mouse-Zeichentrick-Streifen von Walt Disney erschien als Stummfilm 1928, als Tonfim schon 1929, das erste Micky-Mouse-Heft in Deutschland erst im September 1951 mit den Folgen "Donald Duck und seine Neffen Tick, Trick und Track" sowie "Micky Mouse und seine beiden Neffen Mack und Muck". 
Mit dem Vordringen der Comic-Hefte häuften sich die Warnungen der Pädagogen und Psychologen vor ihrem verderblichen Einfluß auf Geist und Seele der Schüler. Sie wurden kurzerhand als "Schund" apostrophiert. Das "Sachwörterbuch der Literatur" Gero von Wilperts erschien 1955 und klassifizierte noch in der mir vorliegenden vierten Auflage neun Jahre später naserümpfend:
"Comic (amerik. comic strips = Karikaturstreifen) Gattung der billigen Jugendlit., knallig bunte Bilderbogen-Erzählung mit Spruchband-Texten als einziger lit. Erläuterung, um historische Ereignisse, abenteuerliche Helden oder utopische Science Fiction, psychologisch gefährlich wegen der Reduzierung aller Formen und Gehalte zum bloßen primitiven und handlungsreichen Stoff und der Abstumpfung der kindlichen Phantasie." 

Was die sprachliche Seite und "die Reduzierung der Gehalte zum bloßen handlungsreichen Stoff" und die "Erzählung mit Spruchband-Texten" betrifft, die der Literaturwissenschaftler so pauschal abwertet und die er als "psychologisch" (sic!) gefährlich einstuft, so erlaube ich mir, auf Moses hinzuweisen. Wie dieser die acht Werke des Schöpfers auf sechs Tage, sozusagen in sechs Bildern, verteilt, läßt sich als gelungene Reduktion von Komplexität in bester Comicmanier ausmachen. In einer geradezu blasenhaften knappen Sprache werden durch das bloße Wort die Welt und ihre Geschöpfe in Szene gesetzt, und zwar so, daß ihre Abfolge in- und miteinander in einem Beziehungsgefüge steht. 
Die das Wort Gottes illustrierenden Bildsequenzen auf den farbigen Kirchenfenstern oder noch frappanter auf russischen Ikonen wurden ja immer schon als Vorstufen der Comic strips angeführt. Der Protestantismus in seiner sinnenfeindlichen calvinistischen Spielart war eifersüchtig auf solch schöne Augenlust. 
Während Papst Gregor I. im 6. Jahrhundert betont hat: "Was dem des Lesens Kundigen die Schrift, das gewährt dem Unkundigen der Anblick des Bildes" (ep XI,13), duldet der "Heidelberger Katechismus", neben demjenigen Luthers der wichtigste evangelische Katechismus des 16. Jahrhunderts, keine Bilder, weil Gott "seine Christenheit nicht durch stumme Götzen, sondern durch die lebendige Predigt seines Worts will unterwiesen haben." Es ist vielleicht kein Zufall, daß die erfolgreichen Maler und Zeichner Georges Rémi (Hergé), Waffenschmied und diejenigen der Kindermagazine "Papagei" und "Schmetterling" als Katholiken aufwuchsen.

In: Pia Biundo (Hrsg.), Festschrift für Ernst Pilick zum 77. Rohrbach 2004.