Der Damm & Film oder Macht

Der Damm & Film oder Macht

Edition Filmmuseum 72

Der in Zagreb geborene Künstler Vlado Kristl (1923 2004) war der radikalste Filmemacher des deutschen Aurorenfilms. Sein Werk ist wiederzuentdecken. Die Doppel-DVD vereint seine frühen, in Jugoslawien entstandenen Animationsfilme, seine ersten Realfilme, seinen ersten abendfüllenden Spielfilm, eine Urlaubsfilm-Parodie, ein Pamphlet und einen unveröffentlichten 8mm-Film. Im ROM-Bereich der DVD finden sich Zeichnungen, Storyboards, Skripts und Texte von Kristl.

Die Filme

Kradja dragulja - 1959 - Drehbuch und Regie: Vlado Kristl, Mladen Feman - Produktion: Zagreb Film

La peau de chagrin - 1960 - Regie: Vlado Kristl, Iva Vrbanic - Drehbuch: Vlado Kristl, nach Honoré de Balzac - Kamera: Zlatko Sacer - Produktion: Zagreb Film

Don Kihot - 1961 - Drehbuch und Regie: Vlado Kristl - Kamera: Zlatko Sacer - Produktion: Zagreb Film

General i resni clovek - 1962 - Drehbuch, Regie und Darsteller: Vlado Kristl - Kamera: France Cerar - Produktion: Viba Film, Ljubljana

Madelein, Madeleine - 1963 - Drehbuch und Regie: Vlado Kristl - Kamera: Wolf Wirth - Musik: Erich Ferstl - Darsteller: Madeleine Sommer, Elisabeth Holzner, Marika Silbernagl, Rolf Huber, Theo Rauch - Produktion: Houwer-Film, München

Der Damm - 1964 - Drehbuch und Regie: Vlado Kristl - Kamera: Gerard Vandenberg - Darsteller: Petra Krause, Vlado Kristl, Felix Potisk, Erich Glöckler - Produktion: Detten Schleiermacher, München

Prometheus - 1966 - Drehbuch und Regie: Vlado Kristl - Mitarbeit: Brausi Rischert - Kamera: Otmar Krischkowsky - Produktion: Arcis-Film, München

Italienisches Capriccio - 1969 - Regie, Drehbuch, Kamera und Produktion: Vlado Kristl

Film oder Macht - 1970 - Regie, Drehbuch, Kamera und Produktion: Vlado Kristl - Darsteller: Hjalmar-Maximilian "Ringo" Praetorius, Christina Meier, Sylvia Kekule, Heinz Badewitz, High Fish Kommune aus der Giselstraße 12

Tigerkäfig - 1971 - Regie, Drehbuch, Kamera, Darsteller und Produktion: Vlado Kristl

Über Der Damm

Mit Ideologie und irgendwelchen Botschaften, mit braver linker Gesinnung kann Kristl nicht aufwarten; nicht mit gezielten gesellschaftskritischen Aspirationen oder einer bedeutungsschwangeren, weit- und lebensumspannenden Problematik, die das deutsche Gemüt schon seit jeher in schauernde Ekstasen zu versetzen imstande ist. Auch läßt es Der Damm, wie schon Madeleine Madeleine vom gleichen Regisseur, obwohl ein Experimentalfilm, an der notwendigen Ernsthaftigkeit bei der Behandlung seines Themas fehlen; der von Vesely, Domnick, Krüttner u. a. fabrizierte, unausdeutbar humorlose Tiefsinn fehlt. Es darf gelacht werden; Kristl nimmt sich die arge Freiheit, Faxen zu machen, sich selbst, die Personen, die Handlung, die "Tragik" und alles was sonst noch hoch und heilig ist, das Publikum miteingerechnet, auf den Arm zu nehmen. Kristls Film ist ein Spaß; wenn man so will, ein Spaß der Verzweiflung. Im Handlungsgerüst erkennt man eine Dreiecksgeschichte, eine der simpelsten dramatischen Konstellationen; man fühlt sich, nicht nur was die Grundidee, sondern auch was zahlreiche Einzelheiten betrifft, thematisch und stilistisch an die Filme Polanskis erinnert, die Kristl zweifellos gesehen hat und schätzt. Zwei Männer der eine soll einen Außenseiter, den künstlerischen, intellektuellen, individualistischen Menschen verkörpern (Kristl spielt diese, mit der Stimme Uwe Nettelbecks synchronisierte, Rolle selbst); der andere sieht aus wie die Verkörperung des Gutsituierten, des Bürgers, des Funktionärs, des Kapitalisten schlagen sich um die Gunst eines unentschlossenen und herrschsüchtigen Mädchens (Petra Krause). Thema und Ausgang der Handlung der Situierte trägt den Sieg davon; der Außenseiter geht klanglos-bombastisch unter sind bekannt aus Madeleine Madeleine; allerdings ist im Damm alles viel explosiver, zerstörter, unübersichtlicher und angereichert mit differenzierenden Aspekten und zahlreichen Wiederholungen.

Eckhart Schmidt


Über Film oder Macht

Kristl hat einen gammeligen Film gemacht. Allerlei Personen streifen darin herum und probieren Kristls phantastische Einfälle aus. Boxeusen quetschen einander die Brust aus der Kleidung. Antifahrradleute machen sich am Fahrrad des Radfahrers zu schaffen. Ringo geht in die Kackhocke und scheißt vors Auto, Comics beguckend. Kommunarden reihen sich vor der Kamera auf; auf das Zeichen des Regisseurs öffnen sie den Mantel: sie sind nackt. Im Hintergrund gehen Passanten. Kristl hat einen rechtschaffenen Film gemacht. Seine Darsteller experimentieren vor und für die Kamera. Ringo sucht eine Pose. Sieht in die Kamera. Nimmt die Tasche auf, setzt sie wieder ab, rückt an seinem Hut. Also das ist so ehrlich wie der Zirkus. Die Manege ist offen. Die Darsteller produzieren sich. Sie sind nicht unter sich. Sie sind für das Publikum da. Bitte sehr. Traurig oder komisch oder lustig oder trotzig oder alles zugleich. Wer den Film sieht, ist unmittelbar angesprochen. Kristl erspart einem die peinliche Erfahrung von tausend Kinobesuchen: dass man sich doch sehr wundern muß, Darsteller zu sehen, die so tun, als ob keine surrende Kamera dabei wäre. Kristl behandelt seine Artisten fair. Er gibt das Startzeichen und lässt sie ihre Nummern abziehen. Laissez faire laissez aller. Die Kamera muss halt sehen, wie sie zurechtkommt; sie sucht und ruckt, wechselt die Schärfe, die Blende und den Ausschnitt. Es geht durchaus nicht um die Technik. Es geht durchaus um die Vorstellung. Direktor Kristl kümmert sich um das Arrangement und den Ablauf der Veranstaltung. In die einzelne Nummer aber greift er nicht ein: er hat sie übernommen. Also muss er freimütig gestehen, "daß kein Schnitt vorhanden ist". Falsche Bescheidenheit natürlich. Denn wenn Kristl die Filmaufnahmen zu Material degradieren und bearbeiten würde, hätte er ganz schön das Vertrauen seiner Darsteller gebrochen: Meister Kristl hätte dann was zu sagen gehabt, und seine Arbeitnehmer hätten ihm dafür Arbeitskraft verkauft. Kristl war so anständig, nicht zu manipulieren. Kristl hat mit seinem Film nichts zu sagen. Kristl zeigt mit seinem Film, was zu sehen ist und bringt zu Gehör, was zu hören ist. Was zu sehen und zu hören ist, ist völlig unrealistisch. Wirklichkeit wird nicht abgebildet, sondern hergestellt, experimentell. Doktor Kristls Menschenlaboratorium. Kristl ordnet den Versuch an, lässt die Darsteller sich produzieren und wartet jipprig auf das Ergebnis: ein Nachfahr der Erfinder des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. Eine neue Ars inveniendi, eine neue Induktion, baconsche "primitive Formen" zu finden. Jaja, ich weiß, es ist gar nicht in Kristls Sinne, mit dem Knowledge and Power des Advokaten Francis Bacon zu kommen; Kristls Erfahrungsexperiment soll grade frei und rein sein, ungetrübt von Geschichte, Entwicklung, Metaphysik. Kristl kann jedoch nichts daran ändern, daß er mit Film oder Macht eine Tradition aufnimmt, die vor genau 350 Jahren mit "Wissen ist Macht" begonnen hat.

Dietrich Kuhlbrodt


DVD-Features (Doppel-DVD)

DVD 1

  • Kradja dragulja 1959, 9'
  • La peau de chagrin 1960, 10'
  • Don Kihot 1961, 11'
  • General i resni clovek 1962, 10'
  • Madeleine, Madeleine 1963, 10'
  • Der Damm 1964, 77'
  • Prometheus 1966, 10'
  • ROM-Bereich mit zahlreichen Dokumenten, Skizzen, Scenarios und Zeichnungen

DVD 2

  • Italienisches Capriccio 1969, 28'
  • Film oder Macht 1970, 101'
  • Tigerkäfig 1971, 14'
  • 20-seitiges dreisprachiges Booklet mit Texten von Vlado Kristl, Eckhart Schmidt, Dietrich Kuhlbrodt, Jörg Peter Feurich und Barbara Bronnen

Herausgeber: Filmmuseum München, Zagreb Film, Slovenski filmski center und Goethe-Institut München
DVD-Authoring: Tobias Dressel
DVD-Supervision: Klaus Volkmer, Stefan Drössler

1. Auflage Februar 2014

TV-Format Originalformat Tonformat Sprache Untertitel RegionalcodeFSK
4:3 (PAL)
1,66:1
1,37:1
Dolby Digital 2.0
(mono)
Französisch
Englisch
Deutsch
Französisch
Englisch
Deutsch
0
Alle Regionen
Infoprogramm

Bestellung

Versandfertig in 48 Stunden
Preis: 29,95 EUR (inkl. 19% USt., zzgl. Versand)