Nonkonformistische Literatur

Es gilt es einen Irtum auszuräumen, es herrscht die Annahme, das Netzwerk sei erst mit dem Internet erfunden worden, es gab jedoch eine Zusammenarbeit von Individuen bereits auf analoger Ebene. In den frühen 1970ern explodierte der Markt der Literaturzeitschriften, insbesondere im deutschsprachigen Raum: Alternative Debattenträger sind hier rar, zudem war die in Deutschland sehr breite Studentenschaft ein wichtiger Adressat – mit ihr wurden Literaturzeitschriften ein Gegenstand breiten allgemeinen Interesses, dem wiederum durch eine fortschreitende Verbreiterung der Themenwahl Rechnung zu tragen war. Viele dieser jungen Studenten und Intellektuellen schrieben für Literaturzeitschriften oder gaben später sogar selbst Titel heraus. KUNO konsultiert den Wert des Analogen und dokumentierte den Grenzverkehr im Dreiländereck. Wir stellen in diesem Online-Magazin hin und wieder Literaturzeitschriften vor, z.B. die Matrix.

Das analoge Internet ging von dort per Schneckenpost in die Vernetzung, seine Name: Ulcus Molle Info. Es wurde herausgegeben von Biby Wintjes… Und es war immer ein kleines Fest, wenn eine Ausgabe des Ulcus Molle Info im Briefkasten lag. So hatte man selbst in der tiefsten Provinz den Eindruck an eine Szene angeschlossen zu sein.

A.J. Weigoni

Die Urzelle der Nonkonformistischen Literatur ist das INFO. Von 1969 bis 1990 gab Josef „Biby“ Wintjes erst monatlich, die längste Zeit dann jedoch zweimonatlich, die Zeitschrift Ulcus Molle Info heraus, die sich als Mitteilungsblatt und Diskussionsforum der literarischen, spirituellen und politischen Gegenkulturszene verstand. Ab 1987 legte Wintjes mit Bruno Runzheimer die ebenfalls zweimonatlich (später vierteljährlich) erscheinende Zeitschrift Impressum vor, die sich in erster Linie der Förderung von Nachwuchsautoren verschrieben hatte. Daneben stemmte Wintjes auch noch die Herausgabe verschiedener Anthologien zur Underground- und Alternativpresse der 1970er Jahre (Szene-Reader 1972 ff.).

Eine der ältesten Literaturzeitschriften ist der Dichtungsring. Mitherausgeber ist Ulrich Bergmann, den KUNO auch als Autor schätzt. Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen.

Zu diesen Zusammenstellungen zählen im weiteren Sinne auch Anthologien. Eine Würdigung des Herausgebers und Lyrikers Axel Kutsch im Kreise von Autoren aus finden Sie hinter den Link. Michael Gratz, ein Gönner der Verschreibkunst, kündigte den Lyriker Theo Breuer in der Lyrikzeitung in seiner Funktion als Essayist als THE Breuer an. Wir sind froh, daß dieser Kenner der deutschsprachigen Literatur bei kulturnotizen den ein oder anderen Essay geschrieben hat. Sein kundiger Artikel über Literaturzeitschriften ist gleichfalls lesenswert.

Diese Entwicklungen faßt Hadayatullah Hübsch im Buch Little mags zusammen. Es empfiehlt sich für Neulinge als Einstieg in das Thema der nonkonformistischen Literatur.

 

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Little mags. Unabhängige Literaturzeitschriften, von Hadayatullah Hübsch. Autorenhaus-Verlag Manfred Plinke, Berlin 2001.

Weiterführend zur Theorie des Sozialen →

Eine Theorie des Sozialen lautet, es gebe in der Politik keine Lücken. Immer wo sich eine auftue, werde sie sofort von anderen Akteuren besetzt. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. (Wir erinnern an ihr Autorenheft Da lernst du die Menschen kennen). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag des dirty ol‘ man präsentierte KUNO den Ruhrgebietsbukowski. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat.