Hinüber wall ich

 

Hinüber wall ich,

Und jede Pein

Wird einst ein Stachel

Der Wollust seyn.

Noch wenig Zeiten,

So bin ich los,

Und liege trunken

Der Lieb‘ im Schooß.

Unendliches Leben

Wogt mächtig in mir

Ich schaue von oben

Herunter nach dir.

An jenem Hügel

Verlischt dein Glanz –

 

Ein Schatten bringet

Den kühlenden Kranz.

O! sauge, Geliebter,

Gewaltig mich an,

Daß ich entschlummern

Und lieben kann.

Ich fühle des Todes

Verjüngende Flut,

Zu Balsam und Aether

Verwandelt mein Blut –

Ich lebe bey Tage

Voll Glauben und Muth

Und sterbe die Nächte

In heiliger Glut.

 

***

 

Der Anspruch, den Novalis an die Dichtkunst und somit auch an seine eigene Arbeit stellte, wird in folgenden Äußerungen deutlich:
„Poesie ist die große Kunst der Konstruktion der transzendentalen Gesundheit. Der Poet ist also der transzendentale Arzt.“
„Man sucht mit der Poesie, die gleichsam nur das mechanische Instrument dazu ist, innre Stimmungen, und Gemälde oder Anschauungen hervorzubringen – vielleicht auch geistige Tänze etc.“
„Poesie = Gemüterregungskunst.“
„Poesie ist Darstellung des Gemüts – der innern Welt in ihrer Gesamtheit.“

 

Weiterführend → 

Poesie ist das identitätsstiftende Element der Kultur, KUNOs poetologische Positionsbestimmung.