permutation poem

Auf KUNO versuchen wir die in diesem Jahr mit dem Schwerpunkt Twitteratur eine festgefahrene Debatte ironisch aufzubrechen. Es entsteht etwas ganz Eigenes. Nicht der Kontrast zwischen Alt und Neu, auch nicht das intellektuell vergleichbar simple Nachahmen, sondern ein dritter Weg. Der in der Schwebe gelassene Sinn, die Produktion von Ambiguität – was für Roland Barthes Brecht im Theater geleistet hat, indem er die Sinnfrage zwischen Bühne und Zuschauerraum neu verteilte – findet sich in der von uns lancierten Kunstform der Twitteratur wieder.

Auch der alterhwürdige Merkur setzt sich mit dem digitalen Texten auseinander. In dem lesenswerten Essay Schreibenlassen Gegenwartsliteratur und die Furcht vorm Digitalen räumt Hannes Bajoh mit völlig veralteten Vorstellungen von digitaler Literatur auf. Hypterext, Rhizome, nichtlineares Erzählen sind Schnee von gestern, und selbst die in die Bildende Kunst spielende Google-Poesie, Stephen McLaughlins Puniverse oder Douglas Couplands lyrische QR-Codes verwandelte QR-Codes bleiben spärliche Vorstöße:

„Womöglich haftet flarf und ähnlichen Experimenten, die das Internet zur Textproduktion heranziehen, wie etwa twitlit, wo Twitter zum literarischen Operationsfeld wird, noch etwas Allzuwörtliches an, das es leicht macht, sie zu ignorieren. Sie fischen nur die Oberfläche des Internet ab, ohne sich an die Untiefen des Digitalen zu wagen. Das Internet ist auch Google, ist auch das Stimmengewirr der sozialen Netze, aber darin erschöpft sich das Digitale nicht. Wie es in der Gegenwartskunst den Unterschied zwischen net art und digital art gibt, sollte man auch Netzliteratur von digitaler Literatur trennen. Das eine sind Schnappschüsse eines kulturellen, linguistischen und technologischen Augenblicks, der sich in der Geschwindigkeit verändert, mit der Meme und Plattformen auf- und wieder abtauchen; das andere sind Versuche, die Affektorganisation und Weltwahrnehmung durch das Digitale überhaupt darzustellen.“

Dies ist bei allen rhetorischen Relativierungsformeln ein vernichtendes Urteil und gewinnt noch zusätzlich durch die anderen Artikel an Brisanz. KUNO wünscht dem Merkur viele Leser.

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Anja Wurm, sizzierte, warum Netzliteratur Ohne Unterlaß geschieht. Ulrich Bergmann sieht das Thema in seinem Einsprengsel ad gloriam tvvitteraturae! eher kulturpessimistisch. Für Karl Feldkamp ist sie: Kurz knackig einfühlsam. Sebastian Schmidt erkundet das Sein in der Timeline.  Mit ‚TWITTERATUR | Digitale Kürzestschreibweisen‘ betreten Jan Drees und Sandra Anika Meyer ein neues Beobachtungsfeld der Literaturwissenschaft. Und sie machen erste Vorschläge, wie es zu kartographieren wäre. Eine unverzichtbare Lektüre zu dieser neuen Gattung. Gemeinsam mit Sophie Reyer präsentierte A.J. Weigoni auf KUNO das Projekt Wortspielhalle, welches mit dem lime_lab ausgezeichnet wurde.