Monat: Dezember 2015

auf ein neues

  die sekunde springt über die datumsgrenze   macht uns zu anfängern in sachen zukunft   eingebettet in ein gestern ein damals das uns begleitet   denken wir das morgen neu das uns blüht   noch ist was kommt versprechen…

Ophelia sum ergo cogito

Heiner Müllers Hamletmaschine stützt sich auf die modern erscheinende Figur eines Hamlet, der trotz aller Entschlossenheit zu handeln – bei Shakespeare ist es die Rache an dem Mörder seines Vaters, bei Müller ist es die Revolution – nicht mehr handeln…

Von Sekretärinnen und Taxifahrern

An einem von Starkregen bedrohten Nachmittag treffe ich im Parque Centroamérica im Herzen Quetzaltenangos, das bis zu 2400 Meter hoch auf den Sedimenten eines ehemaligen Bergsees liegt und nach seinem alten Mayanamen Xelajú meist Xela (sprich: Schela) genannt wird, auf…

Sie gibt sich leicht

  Spielt auf einer Gurke Flöte gibt den Apfelkernen Mädchennamen von exotisch bis vergangen. Sie erklärt konfuse Dinge mit stäubendem Puderzucker im Mund. Regenbogenfarbig splittert sie die Vernünftigen Handflächen zu Nickerchenkissen entlehnt beim Öffnen ihrer Augen nach dem Sekundenschlaf kleine…

tagaufnahme

  die einschläge kommen näher im plastikgewitter des unfugs   noch zischt verlangen leise im hirn in den traumknoten   in der mitte des großen netzes inszeniert sich das nichts   da verliere ich mich und dich so schlimm ist…

Die elfte Elegie

  Wem sind wir nah? Dem Tode oder dem, was noch nicht ist? Was wäre Lehm an Lehm, formte der Gott nicht fühlend die Figur, die zwischen uns erwächst. Begreife nur: das ist mein Körper, welcher aufersteht. Nun hilf ihm…

schatten

lieg ich allein am offnen fenster in der nacht vergehn die stunden samen gleich die nicht befruchten bleibt unberührt mein schatten der verschorfte pfeil  im fleisch verliert sich das leben geh ich ins freie am morgen zerfällt er zu staub…

Futterkrippen

  Weiterführend → Das Werk von Angelika Janz erschließt sich nur dann richtig, wenn man die Verflechtung ihrer Bildgedanken mit der Dichtung versteht. Lesen Sie daher ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin.    

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  als wär jedes licht am rande der straße ein brief den die liebe der großmutter mir schrieb: neig dich beug dich   als wär jede wolke jede ermattung der füße auf zu langen reise programmen ein ruf aus dem…

Crossmedia

Vorbemerkung der Redaktion: Für die in Österreich erscheinende Zeitschrift Autorensolidarität machte Dieter Scherr ein Interview mit Sophie Reyer. Im Vorjahr erschien Wortspielhalle, eine Gemeinschaftsarbeit mit dem Düsseldorfer Schriftsteller A.J. Weigoni, wie kam es dazu? Reyer: Aufgrund meines Filmstudiums an der…

Zeit der Kettenhunde

Vorbemerkung der Redaktion: Daß ausgerechnet der unkomplizierteste Zugang zur Viefalt der Lyrik in Verruf geraten ist, ärgert Axel Kutsch, einen der leidenschaftlichsten Herausgeber: Rezensionen von Lyrik-Anthologien findet man eher selten in den Medien – und wenn doch, dann kommt es…

kamingedicht

dieses gedicht sitzt mit mir am kamin und wärmt sich die versfüße wir lauschen in die stille zwischen dem knacken der scheite die leicht geworden sind vor glut und trinken wein das gedicht sagt wein vertreibe die angst vor der…

Zum Geleit

Vorbemerkung der Redaktion: Zum näheren Verständnis zu den Gedichten aus der Zeit der Tang-Dynastie baten wir den Übersetzer Ulrich Bergmann um eine Vertiefung: Was verbindet die ausgewählten Gedichte aus dem 7. – 10. Jahrhundert (Tang-Dynastie) und dem turbulenten 20. Jahrhundert?…

Ichzerlegung eines Wesensfallenstellers

  auf der Suche nach einer Biologie des Geistes in die Wesenseinheitsfalle geraten > in vor gefertigte Identitætskæstchen abgelegt werden & sich als eine von sieben Milliarden identischen biochemischen Maschinen erkennen   metaphysische Innenræume erkunden im Binnenraum der Sprache auf…

Poetische Performance

Awch behelt daz gemell dy gestalt der menschen nach irem steben. Albrecht Dürer  A.J. Weigoni erinnert mit seiner dichten Lockenmähne nicht nur an einen attraktiv gealterten Rockstar, das selbstironisch verwendete Vor-Bild findet sich auf einem Gemälde, Albrecht Dürers Selbstbildnis im…

Who is who / is who or what

  nach Kai Pohl   Leninallee heißt jetzt Landsberger Dimitroff heißt jetzt Danziger Wilhelh-Pieck- heißt jetzt Torstraße Joan Baez heißt jetzt Kultur- und Schankwirtschaft BAIZ Burger King heißt jetzt Kaffee Burger Klum heißt jetzt Samuel Feldbusch heißt jetzt Pooth Po…

Baracke, nebenan Feierabend

  Wenn es begann, waren wir vollzählig. Die Erzählungen über frühere Arbeitspausen zu Arbeitsbeginn schlugen immer wie Granaten ein. Die Frühstückspausen revolutionierten Gefahr, die Mittagspausen griffen realistisch an, die Kaffeepausen am Nachmittag bombten alles Leben aus. Sieh mich an, Lebenswille,…

Die Mitte und kein Ende

In Dichterkreisen wird gestritten, und es kursieren Positionen um die Frage: Wie hat ein Gedicht zu sein? Sie bewegen sich zwischen Verrätselung und Hermetik auf der einen Seite und zugänglichen Formen und Inhalten auf der anderen. Während die einen die…

Die Macht am Rhein

    restlos bunt flach graugeflutet kieselsteinwurftakt herzlaufzeit eile weg sommerweiße dampfer schieben bilder vor sich her die möwe schreibt ins blau basaltglanz im fell der katze die junge jahresfahnen sich nach süden strecken sieht sonnenrebengoldenes entsetzen blüht hangaufwärts und…

Landschaft, Winter

  Der Schnee, die unsichtbaren Wege. Der Stand der Eichen gibt die Richtung an, in die wir gehn. Aus ihrer Borke sehn uns tausende Gesichter nach und auf dem Hügel stehn die Birken wie Odins tote Krieger.   Die Nachrichten…

Öffentliche Beziehungen

Vorbemerkung der Redaktion: Unter „Kunst im öffentlichen Raum“ verstand man früher das Reiter- oder Kriegerdenkmal, Sklupturales oder Brunnen. Seit den nuller Jahren ist eine veränderte Wahrnehmung bekannt scheinender urbaner Kontexte zu beobachten. Im 21. Jahrhundert nennen Künstler ihre Werke „Interventionen“. Diese…

Auf der digitalen Agora

  Der literarische Kanon ist ein Mysterium. So richtig kann niemand erklären, warum der eine Autor als Klassiker gilt, während der andere in den Untiefen der Bibliothekskeller verschwunden ist. Und wer dort erstmal liegt, fernab von Feuilletons und Konferenzen, hat…

Der Sprache aufs Maul schauen

VerDichtung bedeutet für A.J. Weigoni ersetzen, tauschen, überschreiben, eskamotieren, reduzieren, übersetzen, selbst vom Deutschen ins Deutsche. Es ist eine unablässige Durchdringung von Sprachspiel und Gedankengang; eine ganz eigene Sprache, die nichts abbilden will, sich aber ständig mit unserer Alltagssprache verknüpft…

Orte 7. Das Brauhaus

Diesen Ort gibt ‘s im Rheinland fast überall, und nur hier. Oder nur hier so. Auch die Riesenhallen der Bayern haben was für sich  doch rheinische Bierschenken sind anders und einzig, egal ob in Köln, Düsseldorf oder Krefeld. Hier verdichtet…

O.T.

  canapé-kommando die spackos fahren konvoi   truschige schnappatmer keuchen tsipras doch die rettungsschwimmer sehen gut aus (neil young weiß auch nichts genaues)   das schranzenkonvolut zählt die falter in der cola lackmustest gescheitert darauf einen ouzu   –  …

Wir warten

  Wir warten die stumpfen Bahnen des künftigen Starts Wir starten von Tüchern ins Blaue   Wir landen an Rändern von Zonen, das spart die Gebühren zur Pflege der Ahnen.   Wir warten. Schon ist unser Meister in Sicht, er…

Fünfzigtausend Anschläge

Ein Schwarzbuch ist eine Sammlung von Negativbeispielen aus der Sicht des Autors oder Herausgebers, die in Buchform veröffentlicht wird („Schmutzbuch“). Quelle: Wikipedia Nachdem das Jahrbuch der Lyrik 2015 für Furore gesorgt hatte, vor allem deshalb, weil „sich so gut wie kein politisches, zumindest gesellschaftskritisches Gedicht…

Schreihälse

  Bei manchen sind die Worte lauter, als ihr Inhalt es bedarf.     *** Von Herrn Nipp waren auf KUNO zwischen 1989 und 1994 Aperçus, Bonmots, und Sentenzen zu lesen. Eine Vorform der Twitteratur. Prägend für diesen Begriff ist…

Im Winter

  Der Acker leuchtet weiß und kalt. Der Himmel ist einsam und ungeheuer. Dohlen kreisen über dem Weiher Und Jäger steigen nieder vom Wald.   Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt. Ein Feuerschein huscht aus den Hütten. Bisweilen schellt sehr…

Modernes Antiquariat

Zu den traurigsten Nachrichten gehörte in diesem Jahr, daß “Der große Conrady“ auf dem Ramschtisch gelandet ist.  Es ist die Mutter aller Lyrik-Anthologien, die mit dem Wessobrunner Gebet aus dem 9. Jahrhundert beginnt und mit einem Gedicht von Ann Cotten endet. Axel…

Blind

Wir sehen: Wir sind zu vielem fähig, riskieren das größte Unheil oder tun Gutes. Der Natur ist das egal. Sie weiß das nicht. Und wir wissen es letztlich auch nicht, was das soll, was wir Ethik nennen. Die menschliche Existenz ist…