Gedicht gegen die Arbeit

 

Der Seemann wird heimgerufen.

Der Fensterputzer ist weg vom Fenster.

Der Schaffner liegt in den letzten Zügen.

Dem Heizer erlischt der Lebensfunke.

 

Der Schmied springt über die Klinge.

Der Autohändler kommt unter die Räder.

Der Kfz-Mechaniker schmiert ab.

Der Rennfahrer kratzt die Kurve.

 

Der Ornithologe wird erdrosselt.

Der Gärtner beißt ins Gras.

Der Förster geht in die ewigen Jagdgründe ein.

Der Gemüsehändler schaut sich die Radieschen von unten an.

 

Der Schlachter geht den Weg allen Fleisches.

Der Bierbrauer ertrinkt.

Der Tellerwäscher legt das Besteck in die Schublade.

Der Koch gibt den Löffel ab.

 

Der Wachmann entschläft.

Die Putzfrau kehrt nicht wieder.

Der Optiker schließt für immer die Augen.

Dem Uhrmacher schlägt sein letztes Stündlein.

 

Der Talkmaster wird aus unserer Mitte gerissen.

Der Henker wird einen Kopf kürzer gemacht.

Der Jobvermittler kommt durch einen Arbeitsunfall um.

Der Anwalt tritt vor das Jüngste Gericht.

 

Der Philosoph gibt den Geist auf.

Der Priester segnet das Zeitliche.

Der Nachtwächter beschließt seine Tage.

Der Papst muß dran glauben.

 

Der Rabbi geht über den Jordan.

Das Topmodel nippelt ab.

Die Näherin erstickt.

Den Schneider rafft es hinweg.

 

Der Modedesigner zieht sein letztes Hemd an.

Die Ballerina macht die Grätsche.

Der Tenor hört die Englein singen.

Der Schauspieler tritt von der Bühne ab.

 

Die Prostituierte springt in die Kiste.

Der Gynäkologe scheidet dahin.

Der Stadionsprecher wird abberufen.

Der Marathonläufer bleibt auf der Strecke.

 

Der Jockey reißt die Hufe hoch.

Der Turner verreckt.

Der Eiskunstläufer gleitet hinüber.

Der Fallschirmspringer macht den Schirm zu.

 

Der Kosmonaut kommt in den Himmel.

Der Bergmann fährt in die Grube.

Der Biologe wird eins mit der Natur.

Der Minensucher geht drauf.

 

Der Soldat bleibt im Krieg.

Der Kanalarbeiter geht zugrunde.

Der DJ kratzt ab.

Der Schriftsteller lässt den Griffel fallen.

 

***

Versnetze_acht, Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart, Hg. Axel Kutsch, Verlag Ralf Liebe, Weilerswist.

Weiterführend →

Lesen Sie auch die Gratulation von Markus Peters zum 70. Geburtstag auf KUNO. Eine  Würdigung des Herausgebers und Lyrikers Axel Kutsch im Kreise von Autoren aus Metropole und Hinterland hier.

Von Axel Kutsch zu empfehlen ist der neue Band Versflug, der ausgewählte Gedichte aus den Jahren 1974 bis 2015 enthält. Neben neuen Gedichten, die zum Teil in Literaturzeitschriften (u. a. Das Gedicht, Matrix) und Anthologien wie „Jahrbuch der Lyrik“ veröffentlicht wurden, enthält dieser „Versflug“ durch rund vierzig Jahre ausgewählte Gedichte aus Kutschs bisherigen Lyrikbänden.

Post navigation