Vergebliche Selbst-Entwürfe

Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns.

Franz Kafka

Eckhard Henscheids Romane (die „Trilogie des laufenden Schwachsinns“ und „Dolce Madonna Bionda“), die Idylle „Maria Schnee“ und etliche Erzählungen zeigen Männer in Phasen des psychischen Zerfalls beziehungsweise des Verfallenseins an eine fixe Idee. Henscheids Zentralfiguren widmen sich der Beobachtung bis hin zum Voyeurismus und zur Idolatrie. Das defekte Roman-Subjekt bewegt sich in einer gleichfalls dysfunktionalen, verrückten Außenwelt. Der Romancier Henscheid verarbeitete häufig tagesaktuelle Themen. Hierdurch wurde seine Epik leicht als Satire verstanden. Keine Wunder, Henscheid gehörte der sogenannten „Neue(n) Frankfurter Schule“ an.

Tom de Toys hat mit der Broschüre HOCHSENSIBLE DATEN quasi seine Trilogie vollendet

Eigentlich ist es ganz einfach: Gedichte bestehen aus Wörtern, Prosa besteht aus Sätzen. Verse sind natürlich oft auch Sätze, aber keineswegs immer, und vor allem ist das Wort im Gedicht die entscheidende Größe, der Satz, die Syntax, ist immer untergeordnet. Für de Toys zählt das alles nicht, dieser Autor schreibt eine von ihm selbst begründete Offlyrik und etikettiert die missratene Metaphorik seiner „psychophilosophischen“ Wortfelder als Antiprosa. Im Laufe der Jahre entstanden einige ungeformte prosaförmige Gebilde, von „selbstreflexiven Psychosynthese-Erfahrungen“ über „surreale Science-Fiction-Visionen“ bis hin zu „paranoiden Bilderfluten“, die an die stream of consciousness-Methode erinnern sollen sowie das automatische Schreiben als Feigenblatt vorschützen. Viele dieser Texte wirken hastig runtergeschrieben, geradezu aufs Papier gestürzt. Von Gestaltung und Formwillen ist hier keine Spur, es ist ein gekünzeltes Arrangement, in dem alles Sekundäre durchschlägt. Wo bleibt bei einem so zwanglosen Erzählen die Reife, die man einem Autor in seinem Alter schon zutrauen sollte?

Hier vollzieht sich hier die allmähliche Verfertigung der Gedankenlosigkeit beim Schreiben.

Dieser Autor schreibt im Angesicht des inneren Nichts, er hat aufgehört, seiner Sprache zu vertrauen und seine Sprache hat aufgehört, Sinn zu enthalten. Wir lesen in diesen vergeblichen Selbst-Entwürfen die Simulation von Literatur, bei der verschiedenste Textsorten ungeordnet durcheinanderpurzeln. Betrachtet man das bisherige Tun, so wird kenntlich, dass hier jemand eine wirre Menge von Gegenständen abliefert. De Toys einziges Erzählprinzip ist, so zu erzählen wie es ihm in den Kopf kommt, frei aneinanderreihen, was ihm einfällt, unbekümmert um die Zusammenhänge von Zeit und Ort, unbekümmert um das, was entsteht, unbekümmert um die, denen er erzählt. Als Kommentator seiner Selbst will der Autor eine Situation unwillkürlichen Äußerns schaffen, in dem er die Kontrolle über seine Äußerungen verliert, er führt einen Kampf gegen die eigene Vergänglichkeit und beschwört den Fetisch des Authentischen, der alles Schreiben auf unmittelbares Erleben und Biografie zurückführt und versucht verzweifelt im Mainstream der Minderheit anzukommen. Möglicherweise gibt es doch eine Einsicht in die Notwendigkeit, de Toys hat die Differenzqualität des Literarischen inzwischen anerkannt, er hegt, nach eigener Aussage: „weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch auf hochliterarische Qualität“ – diese Broschüre dient dem Zweck, eine Seite seines Tuns nachzuliefern und das, wahrscheinlich so vom Autor nicht geplante, Triple zu vollenden.

Trash schliesst die Lücke zwischen High und Low, und transformiert kulturelle Codes der Subkulturen und sozialen Eliten zu massentauglichen Alltagserfahrungen.

KUNO hat ein Faible für Trash. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Daher sei Enno Stahls fulminantes Zeitdokument Deutscher Trash ebenso eindrücklich empfohlen wie Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Ebenso verwiesen sei auf die Trash-Lyrik von Tom de Toys.

 

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HOCHSENSIBLE DATEN, Ausgewählte Kurzprosa 1994 – 2020 von Tom de Toys. Bod 2020

Weiterführend →

Lesen Sie gleichfalls eine Würdigung dieses Autors zu seinen besseren Zeiten. Seinen letzten großen Auftritt hat Holzapfel hier. – Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.