A text that alludes to Eliot’s Waste Land,
was set to music by Tom Täger,
using minimalist techniques and sound effects
like the rustle of paper.
Judith Ryan · The Long German Poem in the Long Twentieth Century
In ihren poetopathologischen Aufzeichnungen kämpft die Patientin Jo Chang gegen das Vergessen, das Verlassen–Werden, die Gesellschaft, Gott, und den Tod. Ihr ist das Leben entglitten. Sie versucht es auf dem Papier mit Kanjis wieder zu ordnen. Versucht das, was wir alle tun, dem Leben, wenn es schon keinen Sinn hat, wenigstens eine erzählerische Ordnung zu geben. Die seelischen Grenzüberschreitungen, die das lyrische Monodram thematisiert, vollzieht es formal in der Aufhebung der Gattungsgrenzen nach. Es wird ganz ohne Psychologie erzählt, eher als Status quo eines Experiments. Jo Chang ist auf der Suche nach ihrem Ursprung und findet Einzelteile einer versprengten Existenz.
Das Monodram Unbehaust ist der Versuch, ganz nahe an der Leere, am Unpersönlichen vorbeizugehen. Unterstützt wird der Hörspielmacher von der Schauspielerin Bibiana Heimes. Das Sprechen hat hier seine Selbstverständlichkeit verloren, es hat wenig mit Zwerchfell, Stimmband oder Resonanzraum zu tun. Jo Chang hat ihre Rede nicht. So geht viel, fast alles, verloren. Ihre Verweigerung ist konfrontativ, sie spielt auf mit enttäuschter Erwartung und liefert sich der fremden Sphäre komplexer Geistigkeit aus. Ein delirantes Bewußtseinsprotokoll wird zum Soziogramm einer gefesselten Gesellschaft. Für den passenden Ton sorgt der Hörspielkomponist Tom Täger, der eine Komposition erstellt hat, die ausschließlich aus Papiergeräuschen besteht.
Unbehaust II ein kammermusikalisches Glanzlicht, das geprägt ist von zarten Rhythmen,
In „Unbehaust II“ begleitet der Komponist Frank Michaelis die Schauspielerin Marion Haberstroh auf einer Introspektion. Die klanglichen Improvisationen spiegeln die Verunsicherungen der dargestellten Figur. Es ist eine elektronische Komposition von geringer harmonischer Komplexität, die sich im Rahmen einer modalem Tonalität bewegt und Dissonanzen sparsam verwendet. Das polyrythmische Element ist repetetiv. Michselis verwendet ein einfaches Grundmuster und variiert ständig mit leichten Variationen. Die entspricht dem Um-Sich-Kreisen der Figur.
Während sich in »Unbehaust I« die Frage nach dem Tod stellt, befragt »Unbehaust II« das Leben; das eigene und die Verantwortung für ein
Werdendes. Unsere Hingabe an die Sexualität ist Hingabe an unseren Körper. Sexualität ist das stille Einverständnis, dass wir sterben müssen. Da aber gerade in diesem Moment zwei Menschen eins werden und ein neues Leben entstehen kann, fallen Leben und Tod in der Liebe zusammen.
Unter dem Stichwort Monolog (griechisch: monologos, „allein redend“, „mit sich redend“) findet sich im Nachschlagewerk folgende Anmerkung: „In der antiken Tradition gewann der Monolog vor allem mit dem Zurücktreten des Chors an Bedeutung.“ Dauert das Zurücktreten des Chors im 21. Jahrhundert noch an?
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Die Hörspielumsetzung von Unbehaust durch den Komponisten Tom Täger ist erhältlich auf dem Hörbuch: Gedichte von A.J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2015
Coverphoto: Leonard Billeke
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