Autor: Andreas Noga

neujahr

  der tag schläft aus die großspurige autobahn ist kleinlaut geworden feiern summen in den köpfen der schläfer der früh erwachten die durch scheiben schauen auf das frühstück warten: rührei mit speck sekt vom flaschengrund der nacht *** Weiterführend →  Über…

the day after

Nach Günter Kunert „Über einige Davongekommene“ als die menschen am 27.12. erwachten viele geldscheine in ihren brieftaschen fehlten geschenkpapier kartonage und plastik die abfallbehälter verstopften waren sie erleichtert und dachten: nie wieder weihnachten jedenfalls nicht gleich *** Günter Kunert starb…

kleine gedichtleere

es ist nicht leicht für ein gedicht still zu sein zu schweigen nichts zu sagen zu haben es ist nicht leicht für ein gedicht leser zu finden für das worüber es nichts sagt und schweigt es ist nicht leicht für…

Bensch, Kraus und Peer Quer

Oder: Buchstaben springen mich an In einem alten Buche stieß ich auf ein Wort, Das traf mich wie ein Schlag und brennt durch meine Tage fort. Ernst Stadler Ich stehe vor der Mikrowelle und heize einem lauwarmen Milchkaffee ein, den…

Aus dem Hinterland der Lyrikrezeption. Von der Wahrnehmung des Nebensächlichen

  Die Megazentren Berlin, Frankfurt, Hamburg und München sind nicht die alleinigen Nervenzentren des deutschsprachigen Lyrikschaffens. Gute Gedichte entstehen auch in der Provinz und werden überwiegend außerhalb der renommierten Großverlage veröffentlicht. In Theo Breuers Buch Aus dem Hinterland. Lyrik nach…

sixtinische kapelle

eine möwe (weiß wie rauch) landet ▫ live auf der blechhaube des schmalen schornsteinrohrs das die bildschirme füllt eine weile bleibt sie putzt sich schaut über den platz voller regenschirme bunte dächer unter denen gläubige schutz suchen (wovor?) vor dem…

Texte sind Räume

„Hier war ich“: Ein selbst gebasteltes Lesezeichen, das mir mein acht Jahre junger Sohn Timo zu Weih­nachten schenkte, steckt zwischen den Seiten von „Zug ohne Räder“, dem Buch mit lyrischer Prosa von Francisca Ricinski. Die Worte „Hier war ich“, die…

auf ein neues

  die sekunde springt über die datumsgrenze   macht uns zu anfängern in sachen zukunft   eingebettet in ein gestern ein damals das uns begleitet   denken wir das morgen neu das uns blüht   noch ist was kommt versprechen…

kamingedicht

dieses gedicht sitzt mit mir am kamin und wärmt sich die versfüße wir lauschen in die stille zwischen dem knacken der scheite die leicht geworden sind vor glut und trinken wein das gedicht sagt wein vertreibe die angst vor der…

vogelhaus

vorne amsel rein hinten amsel raus vogelhaus vorne meise rein hinten meise raus vogelhaus vorne sperling rein hinten sperling raus vogelhaus vorne futter rein hinten futter raus vogelhaus   *** Über die Qualität von Andreas Noga als Lyriker und Performer…

liebende

im körper kocht vom spitzen wort das blut in allen zimmern gellendes geschrei geigen stürzen ab und gehn entzwei und in den adern – spürt man – steigt die wut der streit ist da die wilden augen springen sich an…

wahnsinn

  im supermarkt dieses mädchen mit süßwaren lächeln dem ich reflexiv so ganz ohne schuld haftes zö gern auf die brüste glotze an diesem schwül heißen tag die orien tierung verliere qual voll gegen die fleisch theke stoße & schnell…

gedicht das fast verdurstete

es atmet regen es öffnet sich wie ein umgedrehter schirm es hat einen körper der spürt die wolken fallen als zärtlich stürzendes wasser es ist entspannt und es sinkt in die geräusche des laubs durch die sommerhitze ist es fast…

in einem kühlen grunde

die mühle klappert mit den zähnen weiß von mehl darin ein ring verloren ging verborgen blieb so ist die lieb klippklapp *** Über die Qualität von Andreas Noga als Lyriker und Performer lesen sie hier.

an einem schönen tag im mai

sich auflösen in diesem blau dennoch nicht verschwinden überall gleichzeitig sein das land durchwehen wie ein milder sanfter wind nirgendwo ankommen müssen und nirgendwo gehn   *** Über die Qualität von Andreas Noga als Lyriker und Performer lesen sie hier.

wintermärz

  der frühling wurde vom frost gekreuzigt   man trug ihn zu grabe rollte eine schneewalze über das land   die sonne versinkt nun im mantelkragen hoch wie eine lärmschutzwand –   nachts fährt die wärme zum himmel auf  …

abbitte des norwegers

  ich bin so langwierig du wartest immer wie reisende auf der bahnsteig ich bin solch kleines gewissen samstag ich komme mehr schnell zu dir dann bin ich frühzug nach Annemarie Zornack, „Liebesbrief aus Norwegen“   *** Über die Qualität…

über uns

wir brechen wörter aus dem stein formen sätze die dächer prosaischer handlungen oder gewölbe lyrischer kathedralen tragen wir sind steinmetze bildhauer dombaumeister zugleich bergwerker minenarbeiter stollengräber auf der suche nach rohstoff in uns selbst für A. J. Weigoni *** Über…

Mehr lässt sich nicht retten

Man muss sein Leben aus dem Holz schnitzen, das man hat, und wenn es krumm und knorrig wäre. Theodor Storm Das Holz, aus dem Francisca Ricinski ihr Leben formt, ist aus Sprache, aus Wörtern gemacht. Die Lebenslinien dieses Holzes sind…

Heiter geht’s weiter

Als ich dreizehn war, arbeitete der Schweizer Schriftsteller und Verleger Werner Bucher zu­sammen mit Jürgen Stelling an der ersten Ausgabe des Lyrik-Taschen­kalen­ders Poesie Agenda. Im Herbst 2012 ist für das Jahr 2013 die inzwi­schen 30. Ausgabe er­schienen. Heute kümmern sich…

3.10. (früh)

sie verschiebt den abwasch sagt sie müsse einen größeren haushalt führen paar kränze ablegen zum kaffee sei sie wieder zurück  *** Dürfen Kanzlerinnen gelegentlich ausschlafen, gar einen ganzen Feiertag zur Regeneration nutzen? Freut sich Frau Merkel am 3. Oktober (ebenso…

Am Wasser gebaut

Meine Stadt ist am Wasser gebaut. Sie liegt zwischen zwei Flüssen, die sich treffen. Nach einem langen Weg finden sie hier zu– und ineinander, vermischen ihre Wasser, werden eins. In dieser Stadt zwischen den Flüssen wurde ich geboren. Das ist…

kamingdicht

dieses gedicht sitzt mit mir am kamin und wärmt sich die versfüße wir lauschen in die stille zwischen dem knacken der scheite die leicht geworden sind vor glut und trinken wein das gedicht sagt wein vertreibe die angst vor der…

Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin

  Ein Dokumentarfilm | Sendung zum 100. Geburtstag     Am 27. Juli wäre Hilde Domin 100 Jahre alt geworden. Zum runden Geburts­tag strahlen WDR, SWR, 3sat und RBB derzeit einen Doku­mentar­film aus, der die bei Drehbeginn 95jährige auf poetische,…

du! (ruchu dur spruchu ust dus guducht)

  In seinen jüngsten Essays hat sich Theo Breuer mehrfach skeptisch über die Lyrik­produktion jüngerer Auto­rinnen und Autoren geäußert. Es mangele an Bänden, die unter die Haut gehen, im Kopf bleiben und auch im Bauch über die Lektüre hinaus nachwirken,…

bitte nicht

denken sie jetzt nicht an eine zitrone oder den geschmack von schokolade stellen sie sich auch keinen roten apfel vor zu dem sie hinaufsehen – er könnte ihnen ins gesicht fallen denken sie lieber … an ein gedicht aber bitte…

Vom Begreifen des Unbegreiflichen

  Ist es möglich, dass ein in Belgien lebender Pakistaner einen deutsch­sprachigen Lyrik­kalender ediert? Und noch dazu einen außer­ordent­lich guten? Lehnen Sie sich für einen Augen­blick zurück und denken Sie nach. Halten Sie das für wahrscheinlich oder handelt es sich…

Sommerliche Einblicke ∙ Revisited

Steidl macht schöne Bücher. Diesem wurde ein sonnen­blumen­gelber Leinen­umschlag mit apfel­grünem Rand spendiert. Es fällt wegen der sommerlichen Farben­frische im Regal unmittelbar auf, wenn es dort quer zur Welt steht, also so platziert ist, dass es dem Betrachter eine visuelle…

schweigsam

noch bliebe ein rest zu sagen mein mund ist vorübergehend geöffnet dann wieder geschlossen die speerspitzen mit denen du zielst sind vergiftet – wenn man stille fotografieren könnte wäre mein schweigen ein fisch glatt und silbern und er sähe aus…

bennefiz

sieh die sterne die fänge ach das erhabene – du aber watest durch die krebskranke trunkene flut was schlimm ist: hier ist kein trost wo etüden schwerter halten ach das erhabene – es gibt nur ein begegnen im gedichte aber…

kalte liebe

deine schritte verwunden den schnee verwundert liegt er und schaut dir nach seltsam berührt du hast eindruck hinterlassen zwischen auto und haus wo du ihn abstreifst einfach liegen läßt auf der matte er soll draußen bleiben wo er hingehört die…

das dunkel lösen

wir laufen dem tag nach der errötet am horizont verschwindet als schäme er sich für die nacht die über das land kommt wie ein unlöschbares feuer doch wir sind zu langsam und knicken ein in den schatten der uns von…

Aus dem Hinterland

Hinterland ist ein Begriff aus der Humangeographie in verschiedenen Kontexten. Der deutsche Begriff wurde als L’hinterland ins Französische, als El hinterland ins Spanische, als hinterlândia ins Portugiesische und 1888 als The hinterland auch ins Englische übernommen.   Aus dem Hinterland ist…

liebende

m körper kocht vom spitzen wort das blut in allen zimmern gellendes geschrei geigen stürzen ab und gehn entzwei und in den adern – spürt man – steigt die wut der streit ist da die wilden augen springen sich an…

in einem kühlen grunde

die mühle klappert mit den zähnen weiß von mehl darin ein ring verloren ging verborgen blieb so ist die lieb klippklapp *** Aus: Nacht Schicht, Edition YE 2004 Über die Qualität von Andreas Noga als Lyriker und Performer lesen sie…