Stillen
 
Was stört uns eigentlich an Jamie Lynne?

Dieser Titel des "Time Magazine" war in den USA ein Verkaufserfolg und zog eine breite Diskussion nach sich: über Langzeitstillen. Uns interessiert Ihre Meinung! Was sagen Sie zu dem Foto? Wir freuen uns auf Ihre Kommentare.

Stillen: Was stört uns eigentlich an Jamie Lynne?

Dieser Titel des "Time Magazine" war in den USA ein Verkaufserfolg und zog eine breite Diskussion nach sich: über Langzeitstillen. Und über „Attachment Parenting“. Obwohl es zu unserer Philosophie bei ELTERN gehört, dass jedes Elternpaar selbst entscheidet, wie es sein Kind aufzieht – und wir das nicht bewerten wollen –, haben uns das Foto und die Botschaft dahinter befremdet. Oder vielleicht gerade deswegen? ELTERN-Autorin Xenia Frenkel, selbst vierfache Mutter und dreifache Großmutter, bezieht Stellung.

Der kleine Junge steht auf einem Stuhl, er trägt Camouflage-Hosen

Das ist natürlich kein Zufall, wie nichts an dieser Inszenierung auf dem "Time Magazine" zufällig ist. Es ist eine Kampfansage. Neben ihm posiert seine Mutter. Skinny Jeans und eng anliegendes ärmelloses Top, eine Hand lässig in die Hüfte gestemmt, Brust raus. Nur dass der fast Vierjährige an Jamie Lynnes Brust nuckelt. Daneben liest man: "Are you Mom enough?" ("Sind Sie genug Mutter?") Für das in weiten Teilen bekanntlich prüde Amerika ist das Foto eine Provokation. Ich dachte, es müsse sich um einen Titel des Satiremagazins "Titanic" handeln. Bei genauerer Betrachtung des Fotos vergeht einem allerdings das Lachen. Das ist keine friedlich stillende Mutter, sondern eine War-Lady. In einer latent aggressiven, aufreizenden Pose, die einen unangenehmen sexuellen Beigeschmack hat.

Selbstverständlich weiß Jamie Lynne Grumet um diese irritierende Wirkung. Die liegt an unserem "übersexualisierten Blick auf den weiblichen Körper", erfahre ich aus einem Interview mit der 26-jährigen Mutter aus Los Angeles. Aha. Der ist also dafür verantwortlich, dass die westliche Welt im Allgemeinen und die Frauen dort im Besonderen ein Problem mit dem Stillen haben. Jamie Lynne Grumet ist nicht irgendwer. "I am a follower of Jesus, wife, mother", steht auf ihrer Seite, "I am not the babysitter." Und eifrige Selbstvermarkterin, möchte man hinzufügen. Sex sells. Warum nicht auch Stillen? Daneben ist Jamie Lynne das Aushängeschild von "Attachment Parenting", einer Bewegung, die sich die "Erziehung durch Zuneigung" auf die Fahnen geschrieben hat. Erziehung durch Zuneigung – die finden wir alle gut, und tatsächlich wird man manches, was der Gründer Dr. William Sears auf seiner Homepage, in Büchern, TV- und Radioshows verkündet, ohne Zögern unterschreiben.

Ja, Stillen ist eine gute Sache

Es versorgt Kinder optimal mit Nähr- und Abwehrstoffen und kann darüber hinaus für Mutter und Kind eine zutiefst beglückende Erfahrung von Zärtlichkeit und Nähe sein. Kann! Es gibt Mütter, die, aus welchen Gründen auch immer, entscheiden, ihr Kind nur ein paar Wochen zu stillen. Oder gar nicht. Wie lange gestillt wird, hat neben persönlichen immer auch wirtschaftliche und sozio-kulturelle Gründe. Dass in westlichen Zivilisationen nur noch vereinzelt Kinder über das zweite Lebensjahr hinaus gestillt werden, könnte also auch mit dem großen Angebot an guten, gesunden, jedem zugänglichen Nahrungsmitteln zu tun haben. Oder mit der Erfahrung zusammenhängen, dass sich eine liebevolle, tragfähige Bindung auch auf andere Weise aufbauen lässt. Zum Beispiel mit kuscheln, lachen, zusammen spielen und reden.

Jedenfalls gibt es bislang keinen einzigen ernst zu nehmenden Hinweis, dass langzeitgestillte Kinder eine bessere Mutterbeziehung haben als Kinder, die nicht oder nur kurz gestillt wurden. Das sehen Jamie Lynne, Dr. Sears und Co allerdings ganz anders! Sie haben Müttern mit einer derart laxen Einstellung, wie ich sie habe, den Kampf angesagt. Ihre Botschaft lautet: Wer nicht stillt, bis der Schulbus kommt, ist keine richtige Mutter, sondern ein egoistisches Biest, das seinem Kind vorsätzlich nicht nur lebenswichtige Nährstoffe verweigert, sondern auch die alles entscheidende Mutter-Kind-Bindung. Folgt man den militanten Stillverfechtern, wird aus einem solchen Kind ein gewalt- und suchtanfälliger Schulversager von minderer Intelligenz. Insbesondere, wenn es sich um ein männliches Exemplar handelt. Jungen profitieren nämlich angeblich ganz besonders vom Stillen. Vor allem emotional.

Aber das haben wir sowieso schon geahnt. Oder warum werden Jungen nicht nur häufiger, sondern auch länger gestillt als Mädchen? Warum es verschweigen? Stillen hat eine lustvolle Seite. Bekanntlich werden dabei Endorphine, sogenannte Glückshormone, und das Liebeshormon Oxytozin ausgeschüttet. Ein genialer "Trick" der Natur, der das Überleben des Säuglings sichert. Frau Feuerstein hätte ihren Nachwuchs sonst womöglich in der Steppe bei den süßen Löwenbabys vergessen. Ein Glück, dass Feuerstein jr. irgendwann laufen lernt und somit in der Lage ist, Mama Feuerstein hinterherzurennen und auch, sich andere Nahrungsquellen als die mütterliche Brust zu erschließen. Er kann zum Beispiel aus einer Tasse trinken. Meine Kinder stillten sich auf diese Weise nach zwölf, 13 Monaten selbst ab. Dieser Ablöseprozess lässt sich selbstverständlich hinauszögern. Von mir aus bis zur Führerscheinprüfung.

Von mir aus bis zur Führerscheinprüfung

Nur sollte man bitte nicht auf den von Dr. Sears und anderen Stillfanatikern behaupteten Zuwachs an Intelligenz, Empathie und Moral hoffen. Das ist Mumpitz, und wenn es dafür wissenschaftliche Studien gibt, beweist das nur, dass man selbst für den gröbsten Unsinn Wissenschaftler findet, die einem zur Theorie die passenden Ergebnisse liefern. Mir bleibe man bitte vom Hals mit pseudo- wissenschaftlichen "Erkenntnissen" und der Verunglimpfung von Müttern, die sich gegen das Stillen bis zur Einschulung entscheiden.

Wenn Stillen und Tragen bessere Menschen aus uns machen, frage ich mich, wie es zu dem Völkermord in Ruanda kommen konnte. Tutsis und Hutus stillen und tragen ihre Kinder im Schnitt gut drei Jahre. Man lasse Mütter also mit angeblich "natürlichem" Verhalten in Ruhe und selbst entscheiden, wie sie leben wollen. "Natürlich" ist es nämlich auch, Jahr für Jahr im Feldgraben hockend zu gebären, Insekten zu essen und den weinenden "Tragling" mit einem kräftigen Schlag auf den Kopf zu "beruhigen". Eine Un-Sitte, die die Urmutter der Trag- und Stillbewegung, Jean Liedloff, in ihrem Buch "Auf der Suche nach dem verlorenen Glück" vergessen hatte zu erwähnen. So wie auch die beunruhigenden Initiationsriten der indigenen Stämme, die sie besuchte. (Die Yequana-Indianer Venezuelas sind kein besonders friedliebendes Völkchen!) Ich bin gespannt, wann uns ein "Stillexperte" empfehlen wird, zwölfjährige Jungen zwischen zwei hohe Baumäste zu spannen, loszulassen und sie anschließend mit Muskel- und Sehnenrissen in der Wildnis auszusetzen, damit aus ihnen richtige Männer werden. Mama kommt natürlich mit.

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