Musik_Ricochets - Slo-Mo Suicide/The Ghost ...

Zielsichere Querschläger

Auf die Sonnenseiten des Lebens vertrauen die Norweger nicht. Umso besser finden sie sich in den trüben Winkeln zwischen Unzufriedenheit und Beziehungsschmerz zurecht.
   20.08.2004

Gratulation an Glitterhouse für die Idee, beide bisher erschienenen Alben der aggressiven Melancholiker Ricochets im Doppelpack herauszubringen. Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist hervorragend gewählt, da die Band im Rahmen ihrer für Herbst angesetzten Europatournee Anfang Oktober unter anderem im Wiener Flex Halt machen wird.

Hiermit sei also eine als Warnung getarnte Empfehlung ausgesprochen - denn die Ricochets lassen einen live nicht kalt. Auch vom Tonträger treffen die dunklen, kräftigen Hymnen mitten ins Herz und die Magengrube. Während Sänger und Haupt-Songwriter Trond Andreassen auf "Slo-Mo Suicide" hauptsächlich noch mit sich selbst kämpft und finstere Blicke in alle Richtungen wirft, ist "The Ghost of Our Love" der Versuch, eine gescheiterte Beziehung zu verarbeiten. Das kann natürlich auf mehrere Arten geschehen. Trond versucht es im Alleingang; er hat die Schnauze gehörig voll ("Nobody Around") und will Distanz zwischen sich und die Verflossene legen. Natürlich bleibt das nicht emotionsfrei, und so pendelt er sich zwischen Erniedrigung und Schuldzuweisungen ein. Den Hörer zieht er mit hinein in seinen Gefühlswirrwarr aus Selbstmitleid und Angriffslust, aus erlittenem Schmerz und dem Willen, zu verletzen.

Im gleichen Maß, wie sich der auf dem Debüt umkreiste Themenbereich zum nachfolgenden Album hin verengt, entwickelte sich auch der Sound der Norweger weiter. Die Schritte, die getan wurden, sind jedoch nicht so groß, daß sie das für die Ricochets Typische verändert hätten. Die Hintermannschaft an Drums und Piano/Orgel wurde zwar ausgewechselt, doch davon lassen sich Knut Olsen am Baß und Alex Kloster-Jensen an der Gitarre nicht aus der Ruhe bringen. Mit Andreassen bleiben sie auf der schattigen Seite des Rock, den man sich in Kellergewölben einfach besser und passender vorstellen kann als auf sonnendurchfluteten Festival-Freiluftbühnen.

"Slo-Mo Suicide" wird teilweise ("Rebel Woman") ohnehin noch in der Garage verübt. Es ist räudiger als der Nachfolger, der vergleichsweise weichere Verbindungen zwischen den Takten sucht. Das bringt Tronds Gesang einen resignierten Unterton ein - was dem Tonträger, der ja eine gescheiterte Liebe aufarbeitet, sehr gut zu Gesicht steht. Ricochets trauen sich auf "The Ghost of Our Love", offen und ehrlich Gefühle zu zeigen. Natürlich präsentieren sie die von ihrem eigenen Blickwinkel aus, sind subjektiv und versuchen erst gar nicht, sich Objektivität anzumaßen oder Fröhlichkeit zu heucheln. Genau dadurch treffen sie den Nerv des Hörers ganz genau. Pflicht für jeden, der mit Rock auch dann etwas anfangen kann, wenn sich dieser nicht als Spaßmacher versteht.

 

Bernadette Karner

Ricochets - Slo-Mo Suicide/The Ghost of Our Love

ØØØØØ


Glitterhouse (Norwegen 2000/2003)

 

Links:

Kommentare_

Musik
Saint Thomas - There´s Only One Of Me

Es kann nur einen geben

Thomas Hansen hat den Heiligenschein wieder hervorgeholt und aufpoliert. Der Norweger nimmt sich Zeit zum Erzählen von Geschichten, die der Nachdenklichkeit genug Raum und der Melodie ausreichend Auslauf bieten, um in Schwung zu kommen.  

Musik
Audrey - Visible Forms

Licht am Ende des Tunnels

Seit 2002 geben vier Schwedinnen leise Laute von sich. Schlicht und bescheiden schwelgen sie in wohliger Traurigkeit, um gleich darauf mit einem Hochgefühl aufzuerstehen.  

Musik
Lassos Mariachis - Vamos

Tex-Mex auf österreichisch

Für ihre Ausdauer beschenken sich die Lassos mit eigenen Songs und legen nach elf Jahren Band-Geschichte ihr drittes Album vor. Motto: wie früher, aber anders.  

Musik
Bonnie "Prince" Billy - The Letting Go

Endstation Sehnsucht

Melodienmangel und Ideenlosigkeit sind für ihn ebenso Fremdwörter wie Schreibblockaden. Auf seinem aktuellen Album übt Will Oldham sich in der Kunst des Loslassens.  

Stories
Mando Diao/Interview

Ochrasy United

Die Schweden machten nicht nur durch ihre Musik, sondern auch durch rotzfreche Vergleiche auf sich aufmerksam. Der naive Übermut ist weg - aber goschert sind sie heute noch.  

Musik
Orson - Bright Idea

Alternative: hitzefrei

Es war einmal ein Songwriter, der auf der Suche nach Musikern und einem passenden Namen in Hollywood fündig wurde. Wo ließe sich Erfolg auch besser lernen?