E-Book-Kolumne „E-Lektüren“ : Letzter Aufruf für Passagier Widerborst
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Pascall and Watson Architects haben den Terminal 2 des Dubliner Flughafens entworfen. Bild: Picture-Alliance
Der Astronom und Autor Aleks Scholz unterwandert Flughäfen – und spürt in seinem reportagenhaften Essay schlafende Ungeheuer auf.
Auch in einem idealen Staat gibt es Regeln. Aber sie eröffnen zugleich Spielräume, in denen der Einzelne sich entfalten kann. In unserer Mitte haben sich jedoch Räume etabliert, die nach ganz anderen Gesetzen funktionieren. Es ist erhellend, dass wir das für eine Serviceleistung halten. Die Rede ist von Flughäfen, absurden exterritorialen Gebilden, die weltweit dieselbe Struktur aufweisen. Nichts ist hier so unerwünscht wie Individualität. Diese modernen Festungsbauten sind nicht nur keine Orte im strikten Sinne, wie der Astronom und Autor Aleks Scholz in seinem erfrischend klugen, genresprengenden Text über die menschenfeindliche Maschinennatur von Flughäfen schreibt, sondern regelrechte „Nicht-Orte“, komplett herausgelöst aus ihrer Umgebung.
Man könnte sogar den Singular verwenden, denn alle Flughäfen sind schließlich durch Luftwege miteinander verbunden. Scholz spricht von einem „spinnenförmigen Superraum“, abgeriegelt vom Rest des Planeten durch Ganzkörperscanner und Röntgendurchleuchtungsgeräte. Zugang zu dieser Sphäre, in der nur stupides, gleichförmiges Existieren vorgesehen ist, erhält man allein mit speziellen Papieren und nach erniedrigenden Prozeduren, die das vorübergehende Eintauschen des eigenen Status als Individuum gegen den des Passagiers besiegeln. Es scheint sich um einen utopischen Raum zu handeln: „Es gibt keine Not, keinen Hunger, keine Sorgen, keinen Überlebenskampf.“ Doch das vermeintlich Angenehme - „konstante Temperaturen, kein Wetter, keine Jahreszeiten, sanfte Aufzugsmusik, gleichförmige Verteilung von Waschräumen, Sitzgelegenheiten, Getränkeautomaten“ - bedeutet zugleich Negation aller Autonomie. Mit der erhabenen Natur, die den Menschen physisch in Frage stellt, könne man Flughäfen nicht vergleichen: „Nicht dem Körper droht Gefahr, sondern dem Geist. Er wird seines freien Willens beraubt. Der Mensch hört auf, ein Mensch zu sein.“
Unterwandern statt Bewundern
Der reportagehafte Essay „Flughafenwandern“, der zugleich eine autobiographische Erzählung ist und Verfahren der Reiseliteratur nutzt, beschränkt sich aber keineswegs darauf, den quasitotalitären Charakter jenes zwischen Himmel und Erde errichteten Zwischenreichs herauszustellen. Es handelt sich vielmehr um den aufrührerischen Versuch, diese Zumutungen zu unterlaufen, und zwar im wörtlichen Sinne: Scholz erwandert die Flughäfen der Welt, eine Ein-Mann-Reclaim-the-Space-Bewegung. So sind es auch nicht die „Luftseiten“, sondern die chaotischen, für das Durcheilen optimierten „Landseiten“ der Airports mit ihren verknoteten Zufahrtswegen, Parkhäusern und Check-In-Bereichen, in denen der Protagonist sich vornehmlich aufhält.
Es geht um den gezielten Missbrauch der Apparatur Flughafen: „Hiking“ ist hier fast so etwas wie „Hacking“ des Systems. Der Ich-Erzähler sucht die „Mauselöcher“, verlässt stets die vorgesehenen Wege, die mit Schildern, Pfeilen und Absperrbändern die uniforme Fluggastmasse zur „Abfertigung“ leiten. Entschlüpft durch Seitentüren irrt der renitente Ausreißer über gigantische Parkareale oder stiefelt durch das sinnlose Gebiet zwischen den Terminals, kitzelt das Ungeheuer. Obwohl er nichts Verbotenes tut, macht er sich höchst verdächtig. Tarnung ist also wichtig, das Vorspiegeln falscher Geschäftigkeit: „Flughafenwandern ist in erster Linie eine Übung in Identitätserfindung.“ Da ist auch schon die Grenze zu den gesellschaftlich akzeptierten „Plane Spottern“ markiert. Hier geht es um Politik, um Unterwandern statt Bewundern, schließlich kann man in Flughäfen das Modell für eine restlos kontrollierte Gesellschaft erkennen.