Juli Zeh im Gespräch : Der sonderbare Herr Gortz
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Spiel mit fiktiven Vorlagen: Juli Zeh Bild: Imago
Figuren aus Juli Zehs Roman „Unterleuten“ schreiben offenbar selbst Sachbücher oder haben Webseiten in der realen Welt. Was steckt hinter dem Metafiktions-Spiel?
Frau Zeh, in einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ war gerade zu lesen, dass ihr jüngster Roman „Unterleuten“ maßgeblich von einem Sachbuch mit dem Titel „Dein Erfolg“ eines gewissen Manfred Gortz inspiriert sei. Was sagen Sie dazu?
Juli Zeh: Ich kann nicht abstreiten, dass ich „Dein Erfolg“ kenne. Allerdings existierte es damals noch nicht als Buch, sondern nur als eine Methode, mit der Manfred Gortz seine Seminare bestritt. Tatsächlich hat mich sein Ansatz und seine Arbeitsweise sehr inspiriert. Manfred Gortz verkörpert wie kein anderer die meritokratische Logik der Leistungsgesellschaft – ein Thema, mit dem ich mich in „Unterleuten“ auch auseinandergesetzt habe.
Kennen Sie diesen Gortz oder stehen mit ihm irgendwie in Kontakt?
Persönlich bin ich ihm nicht begegnet, aber ich hatte einmal Mailkontakt mit ihm. Er ist im Internet recht präsent und ansprechbar.
Auf Anfrage teilte sein Verlag Goldmann uns mit, auch dort habe man Herrn Gortz „bislang nicht persönlich kennengelernt, es gab nur einen Mailkontakt“, dies sei allerdings „nicht unüblich“. Was sagen Sie dazu, dass sein Erfolgsratgeber zufällig bei der selben Verlagsgruppe erscheint wie Ihr Roman?
Vorsichtig gesagt: Es ist eine extrem große Verlagsgruppe. Da erscheinen Unmengen von Büchern, alle Teil dieses Wahnsinnsnetzwerks, das wir Literatur nennen.
Einen Plagiatsprozess fürchten Sie offenbar nicht.
Nein, auf keinen Fall. Ich hab’ ja nichts abgeschrieben. Außerdem scheint sich Gortz über die Aufmerksamkeit eher zu freuen.
Falls es zutrifft, dass Manfred Gortz, wie der Artikel nahelegt, gar nicht wirklich existiert: Wer könnte wohl dahinter stecken?
Warum sollte er nicht existieren? Ich dachte, alles, was im Internet steht, existiert auf alle Fälle.
Aus dem besagten Artikel ging ferner hervor, dass jemand mit Liebe zum Detail fiktive Webseiten für weiteres Personal des Romans angelegt hat – etwa die des „Vogelschutzbundes Unterleuten e.V.“, Leitspruch: „Bei uns piept’s“. Allerdings kann man da ernsthaft T-Shirts bestellen. Was halten Sie davon?
Ich habe mir ein Sweatshirt gekauft. Ich denke, dass Naturschutzverbände darauf angewiesen sind, ihr Logo unter die Leute zu bringen.
Jetzt geben Sie es doch endlich zu: Haben Sie selbst die krude Ideologie des Manfred Gortz erfunden, der die Menschen in erfolgreiche „Mover“ und spaßgebremste „Killjoys“ einteilt?
Aus meiner Sicht ist „Dein Erfolg“ der eigentliche Gesellschaftsroman. Er seziert zum Teil mit unfreiwilliger Komik die neoliberale Ideologie, die unsere Gesellschaft antreibt. Das Erstaunliche ist, dass man beim Lesen immer wieder denkt: Da hat er aber recht – und im nächsten Absatz schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen, weil er zum Beispiel haarsträubende Auffassungen zur Beziehung zwischen Mann und Frau vertritt. Aber, wie Gortz selbst schreibt: Er ist einfach nur ehrlich. Er hat die Welt eben nicht erfunden, er beschreibt sie nur. Wenn ich „Dein Erfolg“ geschrieben hätte, wäre ich stolz darauf.
Im Moment wird ja ziemlich ernsthaft über Fakes in Kunst und Medien geredet – siehe die Causa Böhmermann. Wäre die Erfindung eines Sachbuchautors mit karikaturenhaft zugespitztem Weltbild auch schon anstößig?
Meiner Ansicht nach sind in der Kunst nur Dinge anstößig, die darauf abzielen, einen anderen Menschen zu verletzen. Inwieweit da bei Böhmermann eine Grenzüberschreitung vorliegt, möchte ich an dieser Stelle nicht entscheiden müssen. Mich interessiert an Satire vor allem das enorme aufklärerische Potenzial.
Mir fiel außerdem neulich auf, dass der Titel Ihres Essaybandes „Nachts sind das Tiere“, der auch im Roman „Unterleuten“ als Kapitelüberschrift vorkommt, ein Zitat ist – nämlich aus dem Roman „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace. Hat das womöglich auch noch Weiterungen?
Manchmal frage ich mich, ob es überhaupt irgendeinen Satz gibt, den ich selbst geschrieben habe. In diesem Zitaten-Labyrinth findet sich doch kein Mensch mehr zurecht.
Die Fragen stellte Jan Wiele.