Julia Wolfs neuer Roman : Die Jagd nach dem blonden Hai
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Im Rausch der Tiefe: In Julia Wolfs neuem Roman wird das Freibad zum mythischen Ort. Bild: Niklas Grapatin
Schwimmen will gelernt sein: Mit ihrem mitreißenden Roman „Walter Nowak bleibt liegen“ schreibt Julia Wolf ihre Amerika-Trilogie fort.
Eben war er noch schwimmen, wollte wie jeden Tag Bahn für Bahn seine tausend Meter hinter sich bringen. „Also los jetzt, keine Müdigkeit, schon gleite ich durchs Wasser“, ruft er sich die Situation ins Gedächtnis, „alles ist blau und kühl, das Sonnenlicht, herrlich.“ Walter Nowak will fit, ja ein schlanker Hecht sein. Und tatsächlich ist Julia Wolfs Ich-Erzähler, ein achtundsechzigjähriger Pensionär aus der hessischen Provinz, ein Jäger, im Wasser wie zu Land. Bei seinem letzten Tauchgang aber hat er die Wende verbockt und liegt nun statt im Schwimmbad unterm gelben Sonnenschirm im Badezimmer seiner Friedberger Villa: nackt, blutend und schwer verletzt.

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Warum er da so liegt, meinten diejenigen zu wissen, die das erste Kapitel von Julia Wolfs neuem Roman schon beim vorigen Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt hören konnten. Für ihre Lesung des Auszugs wurde die 1980 in Groß-Gerau geborene Autorin 2016 dort mit dem 3Sat-Preis ausgezeichnet. Doch erst jetzt, da uns der gesamte Roman vorliegt, erfahren wir und auch das erst auf den allerletzten Metern, was es tatsächlich mit Walter Nowaks Schiffbruch auf sich hat.
Schiffbruch mit Elvis
Es ist eine verblüffende Wende und zugleich die logische Konsequenz eines Lebens unter falschen Vorzeichen. „Walter Nowak bleibt liegen“ heißt Julia Wolfs schmaler, aber keineswegs kurzatmiger Roman. Und wie ihr Protagonist zum Liegen kommt, das hat viel damit zu tun, wie er die Welt und insbesondere die Frauen sieht. In den Blick genommen und der Lächerlichkeit preisgegeben wird hier ein alternder Patriarch, ein lüsterner Greis, der seit jeher nicht nur Macht über seinen Körper, sondern auch über seine Frauen ausüben will.
Ein ganzes Heer dienstbarer weiblicher Geister hat er stets um sich geschart und dirigiert: Früher die Mutter, später die Sekretärin, die Putzfrau, zwei Ehefrauen. Einen Großteil seiner Komik bezieht der Roman aus der dramatischen Differenz, die sich zwischen der Selbstwahrnehmung des Erzählers und der Außensicht auftut. Denn nichts hier ist so, wie es Walter vorschwebt. Nicht nur ist ihm die Jagd auf den blonden Hai im Schwimmbad missglückt. Auch schon seine erste Frau hat eher ihn verlassen als umgekehrt. Auch sein Sohn hat sich ihm entfremdet. Seine Firma für Krananlagen musste er verkaufen, und dort wird er vom Hof gejagt, als er nicht aufhört, die alte Wirkungsstätte aufzusuchen. Selbst alte Freunde wenden sich von ihm ab. Sie haben ehedem mit ihm dafür gekämpft, dass der zentrale Platz im Ort nach ihrem Kindheitsidol Elvis benannt wurde, der Ende der fünfziger Jahre als Soldat hier stationiert war. Jetzt scheint es auch Walters zweite Frau, Yvonne, andernorts hinzuziehen.
Wie ein Ertrinkender
Aus der Binnenperspektive heraus formuliert der Roman seine Kritik an männlichen Machtstrukturen. Daraus bezieht er seinen Witz, darauf gründet aber auch die Tragik des Walter Nowak. Dass er der Einzige ist, der sein Scheitern nicht erkennt. Den prekären Zustand, in dem er sich während des Erzählens befindet, fängt die Autorin mit großem sprachlichen Raffinement ein. Aus einer Rhetorik des Halbbewussten heraus entwickelt sie die Erzählsituation. Denn wie ein Ertrinkender klammert sich der schwerverletzte Nowak an das Leben, indem er sich die Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen in Erinnerung ruft. Dabei weiten sich die Gedanken zu einem Erinnerungsstrom, der ein ganzes Leben von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart einfängt. Und wie das so ist, wenn man nicht mehr ganz bei Sinnen ist, geraten auch Walter Nowak die Sätze nicht mehr vollständig, alles spielt sich im beinahe Bewusstlosen ab.
Deshalb stechen auch die Farben im Text so heraus. Es sind dies die Sinnesreize, die bis zuletzt eindrücklich bleiben: Die blaue Tiefe des Wassers, der rosafarbene Badeanzug, die roten Augenränder, aber auch der Schwindel in der Höhe eines Lastenkorbs oder die Musik von Elvis Presley formen die impressionistischen Konturen des Romans. Interessant dabei ist, dass nicht nur historische Momente in den Blick genommen werden – den Streit um die Umbenennung des Elvis-Presley-Platzes in Friedberg etwa hat es wirklich gegeben. Der Text ist außerdem durchzogen von mythologischen Anspielungen, allen voran dem Narziss-Mythos. Nowak ist nicht nur ein ganz auf sich selbst fokussierter Mann, er folgt außerdem, wenn er zuerst ins Wasser und später in den Spiegel blickt, den Blickbewegungen in Ovids „Metamorphosen“. Die ikonographische Folie, auf der „Walter Nowak bleibt liegen“ operiert, ist eine biblische Szene: Wie bei Susanna im Bade haben wir es hier mit einem Alten zu tun, der die Augen nicht abwenden kann von der jungen Frau.
Auch wenn der Roman sich als eigenständiges Werk lesen lässt, ist er tatsächlich der zweite Teil einer Trilogie. Den Auftakt legte die Autorin, die als Dramatikerin begann, 2015 mit ihrem Roman „Alles ist jetzt“ vor. Die beiden Werke kommen dabei aber nicht etwa als chronologische Fortsetzung zusammen, und es gibt auch keine Figuren, die im zweiten Teil wieder auftauchten. Vielmehr sind es die Motive, die Julia Wolf über die Romane hinweg zum verbindenen Element werden lässt: Vom Trauma einer Elternfigur, das in die nächste Generation getragen wird, über den Versuch einer Annäherung zwischen den Generationen durch das Sehnsuchtsland Amerika bis hin zum Schwimmbad, das in „Alles ist jetzt“ noch ein Pool im elterlichen Garten ist, der nie zu Ende gebaut wird, lässt Wolf ihre Themen und Bilder von einem Roman zum nächsten gleiten. Der eigenwillige Sog, den „Walter Nowak bleibt liegen“ entwickelt, gründet darauf, dass die Autorin hier Fallhöhen eines Lebens auslotet, gegen die ein Sprung vom Zehnmeterbrett harmlos erscheint.