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Kriminalromane : Das U und E des deutschen Krimis

  • -Aktualisiert am

Einer, bei dessen Krimis man endlich mal über die Erzählerstimme redet: Wolf Haas. Bild: Julia Zimmermann

Die Verlage agieren nach dem Motto: Ein guter Krimi ist ein Krimi, der sich gut verkauft. So kommt das Genre nie auf einen grünen Zweig. Ein Lagebericht.

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          Wer sich professionell mit dem deutschen Krimi beschäftigt, steht vor einer seltsamen Situation. Viele Krimiliebhaber lesen kaum deutsche Krimis, bevorzugen angloamerikanische oder skandinavische. „Gute deutsche Krimis gibt es nicht“, höre ich häufig. Doch der deutsche Krimi ist Bestsellermaterial, er liegt im Buchhandel neben der Kasse, in den großen Ketten genauso wie beim Kiez-Buchhändler. Der deutsche Krimi ist erfolgreich. Aber trotzdem irgendwie nicht gut. „Das lese ich nur zur Unterhaltung“, höre ich weiter, „zur Entspannung. Ohne Anspruch.“ Gibt es ihn wirklich nicht, den guten deutschen Krimi? Als Lektorin von deutschen Krimis, die ihren Job liebt, sollte ich vehement mit „Doch!“ antworten. Dennoch müsste ich lügen, denn ein guter deutschsprachiger Krimi ist eine Seltenheit.

          Seit Anfang der neunziger Jahre wird der Krimimarkt überflutet mit Titeln, die regional vermarktet werden, von der Ostseeküste über die Eifel bis zum Allgäu, wo Volker Klüpfel und Michael Kobr eine Lawine lostraten. Zurzeit sind die Alpen angesagt. Der Regionalkrimi wird manchmal als der neue Heimatroman gefeiert, doch mit einem wieder erwachten Heimatgefühl oder einer echten Wertschätzung des Regionalen hat er wenig zu tun. Wer genauer hinschaut, dem wird schnell auffallen, dass sich die Regionalkrimis in Touristenregionen häufen. Touristenkrimi ist inzwischen die treffendere Bezeichnung.

          Das Klischee des brutalen Folterprologs

          Der Regionalkrimi ist schlicht ein cleveres Vertriebskonzept. Es werden Pakete geschnürt, fünf Bayern-Krimis für Bayern, fünf Nordsee-Krimis für die Nordseeküste. An der Nordsee kommen die Bayern-Krimis nicht in die Buchläden, die Nordsee-Krimis nicht in Bayern. Für Autoren, die mehr wollen als nur bei einem Verlag veröffentlichen, kann die Situation frustrierender kaum sein. Wer heute einen deutschen Krimi schreibt, der zufällig in den Alpen spielt, hat kaum eine Chance, aus dem Getto des Regionalkrimis herauszukommen. Wer einen anderen Krimi schreibt, wird genötigt, doch bitte einen Krimi zu schreiben, der in den Alpen spielt.

          Erfanden den Regionalkrimi als neuen Heimatroman: Michael Kobr (links) und Volker Klüpfel.
          Erfanden den Regionalkrimi als neuen Heimatroman: Michael Kobr (links) und Volker Klüpfel. : Bild: Roger Hagmann

          Der andere große Trend im deutschen Krimi ist der Psychothriller. Der brutale Folterprolog ist schon Klischee, doch kein Thriller, der etwas auf sich hält, verzichtet darauf. Viele der aktuellen deutschen Thriller – Sebastian Fitzek und Konsorten – sind moderne Heftchenromane im Hardcover-Format. Es geht um Weltverschwörungen und spektakuläre Enthüllungen, es geht um große Themen und tiefe Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seele. Die Handlung ist oft solide geplottet, ganz im Sinne von Spannungsliteratur, der Pageturner-Effekt stellt sich ein. Dass sich die Figuren meist nach einer platten Küchentischpsychologie verhalten, scheint verzeihlich, denn die Themen sind ja wichtig, nicht die Figuren. Die Schreibe ist dürftig: Es geht rein um Inhaltsvermittlung, Figuren sind an Stereotypen angelehnt, sprachlich wird mit unsäglichen Klischees gearbeitet.

          Die Trennung der Literaturszene in U und E

          Was Literatur eigentlich soll – eine Erfahrung vermitteln, die komplex ist, faszinierend und widersprüchlich, und etwas von der Welt zeigen, das über einen Zeitungsartikel oder regionalen Reiseführer hinausgeht –, das schaffen nur wenige deutsche Krimis, und selten sind es die, die auf den Bestsellerlisten stehen.

          Es bleibt die Situation, dass sich Genreleser quasi vom zeitgenössischen deutschen Krimi verabschiedet haben, während deutsche Krimis florieren, die ohne Anspruch „nur zur Unterhaltung“ gelesen werden. Es ist ein alter Hut, diese Lage mit der Trennung der deutschen Literaturszene in U und E zu erklären – auf der einen Seite U wie Unterhaltung, auf der anderen Seite E wie „ernste“ Literatur. Doch es bleibt die einzige stichhaltige Erklärung.

          In den letzten Jahrzehnten hat sich einiges bewegt, und trotzdem bestimmt diese Trennung immer noch Literaturszene wie Buchmarkt: Literatur, bei der Anspruch und Unterhaltung sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern im Gegenteil zusammengehören, gibt es selten in Deutschland. Die Trennung in U und E hat gravierende Folgen. Wer hierzulande professionell Literatur schreiben möchte und sich naiv mit einem Manuskript bei einer Literarischen Agentur bewirbt, merkt schnell, dass es solche und solche Agenturen gibt; die einen sind spezialisiert auf U, die anderen auf E. Wer sich für ein literarisches Stipendium bewirbt, wird keines bekommen, wenn er oder sie Genreliteratur schreibt.

          Ein Markt, der sich alle sechs Monate ändert

          Die Vorstellung, eine Krimiautorin würde in Klagenfurt beim Bachmann-Preis lesen, ist lächerlich. Das literarische Feuilleton zeigt größtenteils Desinteresse an Genreliteratur und geht offenbar davon aus, dass man bei Besprechungen von Krimis die Latte tiefer hängen muss. In der angloamerikanischen Literaturszene wird inzwischen Belletristik als ein Genre unter vielen betrachtet. Belletristik ist dort eine Untersparte von Literatur, die sich von anderen Genres durch die Form und vor allem durch die Erwartungen der Leser an das Buch unterscheidet. Die pauschale Verurteilung ganzer Genres als nicht ernst zu nehmende Literatur gibt es dort so nicht (mehr): Es gibt gute oder schlechte Bücher, egal, welchem Genre sie angehören.

          Autoren von E-Literatur finden es schick, einen Krimi zu schreiben – Juli Zeh etwa. Gute Bücher werden das selten.
          Autoren von E-Literatur finden es schick, einen Krimi zu schreiben – Juli Zeh etwa. Gute Bücher werden das selten. : Bild: Helmut Fricke

          In Deutschland dagegen herrscht die Meinung vor, es sei leicht, Genreliteratur zu schreiben. Hobbyautoren verfassen gerne im Urlaub mal schnell einen Krimi. Autoren von E-Literatur finden es schick, ohne jede Kenntnis des Genres einen - oft ironisch-persiflierenden – Krimi zu schreiben. Man denke an Sibylle Lewitscharoff oder Juli Zeh. Gute Bücher werden das selten. Krimiautoren, die oft vom angloamerikanischen oder skandinavischen Krimi beeinflusst sind und mehr wollen, fehlt es an deutschen Vorbildern. Sie wagen inzwischen nichts Neues mehr, besonders dann nicht, wenn sie vom Schreiben leben wollen. Es wird nach einem Markt geschrieben, der sich alle sechs Monate ändert.

          Die Vertriebsabteilungen haben das Sagen in den großen Publikumsverlagen, und von dort kommt die Devise „Ein guter Krimi ist ein Krimi, der sich gut verkauft“. Woher die innovativen Ideen für die nächsten Bestseller kommen sollen, steht in den Sternen.

          Politisch ist gerade „en vogue“

          Was fehlt – bei Kritikern wie Lesern – ist ein Verständnis für die Kriterien, formale wie inhaltliche, nach denen man Literatur beurteilt. Was ist eigentlich gemeint mit dieser Latte, die man höher oder tiefer hängen kann, wenn man Bücher rezensiert? Als einziges populäres Genre hat der Krimi es geschafft, der Nischenexistenz des Genres zu entkommen. Krimis sind gesellschaftsfähig, schon lange. Und doch scheint es, als brauchte der Krimi eine Rechtfertigung, die über das Genre hinausgeht, um als Literatur anerkannt zu werden.

          Zurzeit ist der politische Krimi en vogue, der Krimi mit der „gesellschaftlichen Relevanz“. Dabei sind Inhalte das schlechteste aller Kriterien, wenn es um die Frage von Qualität geht. All die Thriller, die soziale Themen aufgreifen, sprechen Bände. Es gibt Krimis, in denen sich literarische Qualität genial mit einer politischen Message verbindet, doch sie bleiben die Ausnahme. Das Problem ist: Solange die Kritik inhaltliche Themen als Qualitätskriterium stark macht, wird über nichts anderes geredet. Und es ist dringend nötig, dass wir endlich anfangen, über Krimis als Literatur zu reden.

          Ein wenig hat diese Diskussion angefangen, bei Autoren wie Wolf Haas oder neuerdings Zoran Drvenkar. Da wird über die Erzählerstimme gesprochen, über Drvenkars Experimente mit der Perspektive. Doch auch andere Krimiautoren haben es verdient, dass man darüber spricht, was sie sprachlich können, wie sie literarisch arbeiten. Denn das ist es, was gute Bücher ausmacht. Darauf kommt es an, wenn aus Worten auf Papier eine literarische, eine ernsthaft unterhaltende Erfahrung werden soll.

          Lisa Kuppler studierte Amerikanistik und Neuere Geschichte in Tübingen, Oregon und Berlin. Heute ist sie als freie Lektorin, Übersetzerin und Autorin von Genreliteratur tätig. Seit 2001 führt sie das Ein-Frau-Unternehmen „Das Krimibüro“ und unterrichtet Creative Writing-Kurse. Sie arbeitet für die Verlage Rotbuch und Emons und betreut die Krimiautoren Rob Alef, Patrick Brosi, Ines Eberl, Jörg Juretzka und Thilo Scheurer. Von ihr stammen die aktuelle Übersetzung der Hauptwerke des Krimi-Altmeisters Mickey Spillane sowie „Das große Hobbit-Buch“, ein Standardwerk zu J.R.R. Tolkiens „Der Hobbit“.

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