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Thomas Welskopp: Amerikas große Ernüchterung : Soziale Netzwerke aus der Flasche

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Geschäfte und Gewalt des organisierten Verbrechens, Trinksitten in illegalen Bars, die Korruption von Polizei und Politik: Der Bielefelder Historiker Thomas Welskopp erzählt, wie Amerika in den Jahren 1920 bis 1933 mit dem Alkoholverbot umging.

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          Als „mit allen Hunden gehetzt und mit allen Wassern gewaschen“ beschrieb Walter Benjamin die Bootlegger, die Alkohol in die Vereinigten Staaten schmuggelten. Das Alkoholverbot hatte einige Jahre zuvor Verfassungsrang erhalten, und der Philosoph begann einen Radiovortrag für Kinder gewitzt mit der betulichen Frage, ob man ihnen überhaupt „solche Geschichten“ erzählen solle: „Von Schwindlern, von Verbrechern, die die Grenze übertreten, um ein Dollarvermögen zu machen, und noch dazu gelingt es ihnen auch oft.“ Die Neugier war geweckt.

          Wie der Zeitgenosse Benjamin kennt der Historiker Thomas Welskopp den Reiz „solcher Geschichten“. Seine breit angelegte, detailreiche Darstellung der Prohibition schildert die Wege der Schmuggler, die Geschäfte und die Gewalt des organisierten Verbrechens, die Trinksitten in illegalen Bars, die Korruption von Polizei und Politik. Dabei geht Welskopp über das Anekdotische weit hinaus; der Blick auf das Verbot und die Folgen zeigt die Zäsuren der Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem New Deal.

          Bruch mit der amerikanischen Verfassungstradition

          Das Trinken und die Kritik daran hatten eine lange Tradition in Amerika, doch erst die 1893 gegründete Anti-Saloon-Liga „machte die Prohibitionsbewegung zu einer Erscheinung eigener Qualität“. Indem sie zunächst auf lokale Verbote setzte, verband sie unterschiedliche - religiöse, feministische oder wissenschaftliche - Kräfte, die sonst wenig gemein hatten. Ihr Fernziel der nationalen Prohibition wurde während des Ersten Weltkriegs erreichbar, als politisch-propagandistisch alles passte: Nach den Wahlen von 1916 bestand eine überparteiliche „trockene“ Kongressmehrheit, und deutschstämmige Bierbrauer schienen sowieso suspekt.

          Um dem Alkoholverbot sichere Autorität und Dauer zu geben, sollte es nicht als gewöhnliches Gesetz formuliert, sondern in die Verfassung eingefügt werden. Mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit beschloss der Kongress im Dezember 1917 den 18. Zusatzartikel, dem dann drei Viertel der Einzelstaaten zustimmen mussten, was innerhalb von nur dreizehn Monaten geschah. Genau ein Jahr darauf, am 16. Januar 1920, trat das Verbot um Mitternacht in Kraft. Es untersagte die Herstellung, den Verkauf, den Transport sowie die Ein- und Ausfuhr „berauschender alkoholischer Getränke“; besitzen und trinken durfte man sie noch. Dass ein derart einschränkender Artikel nun Bestandteil eines Gründungsdokuments war, das doch gerade die Freiheit der Bürger schützen sollte, galt Gegnern der Prohibition als einmaliger Bruch mit der amerikanischen Verfassungstradition. Der Präsident der Columbia University, Nicholas Murray Butler, sprach von einem Gesetzgebungsakt, „der die Form einer drastischen und unilateralen Ausübung von Polizeigewalt trägt“.

          Krach und Gerüche verrieten die Hinterhofküchen

          Der Alkohol verschwand trotzdem nicht aus dem Alltag. Das lag zum einen an den Ausnahmen für den religiösen, medizinischen oder industriellen Gebrauch. Zwar machten spezielle - teils giftige - Zusätze den Industriealkohol ungenießbar, aber das hielt die Anbieter illegaler Getränke nicht davon ab, ihn zu verwenden, mal mehr und mal weniger gereinigt. Den Schaden hatten die Kunden. Zum anderen war Alkohol erhältlich, der geschmuggelt oder schlicht in offiziell stillgelegten Werken produziert wurde, wobei Welskopp auf eine bewusst verzerrte Marktlage hinweist: Die in der öffentlichen Wahrnehmung (und den Nachbildern) so wirkmächtigen Bootlegger steuerten bloß minimal zum Alkoholangebot bei, das überwiegend aus dem Inland stammte; da sich allerdings vermeintliche Schmuggelware teurer verkaufen ließ, profitierten die Händler vom falschen Ru(h)m der Bootlegger.

          Getränkeherstellung in hohen Mengen schloss Heimlichkeit aus. Krach und Gerüche verrieten die Hinterhofküchen, wie die schiere Sichtbarkeit von Lieferungen und Personal die neue Nutzung geschlossener Betriebe ankündigte. Die Antwort darauf hieß Korruption, die in diesen Jahren „eine neue qualitative Stufe erklomm“ und bald von der organisierten Kriminalität bestimmt wurde. Die Gegenseitigkeitsbeziehungen von Gangstern, Geschäftswelt und Politik deutet Welskopp als soziale Netzwerke und sieht darin einen „dezidiert modernen Charakter“ - die Expansion eines feudalen Personenverbands ins „Big Business“.

          Ganz legal in Alkohol ertränkt

          Die Verfügbarkeit von Alkohol und der Aufstieg des organisierten Verbrechens offenbarten das Scheitern der Prohibition. Der Versuch ihrer Durchsetzung hatte zudem zur Schaffung einer Bundesbehörde geführt, deren schlecht bezahlte, ständig wechselnde Mitarbeiter besonders bestechlich waren und, wie eine Regierungskommission mutmaßte, mit ihrem „Ruf der Unfähigkeit in großem Maße zur öffentlichen Missstimmung gegenüber der Prohibition beigetragen“ haben. Meinungsumfragen machten dieses Unbehagen messbar, und während die Anti-Saloon-Liga ins politische Abseits geriet, gewannen die Prohibitionsgegner an Einfluss.

          Der Parteikonvent der Demokraten legte sich 1932 auf eine Aufhebung des Verbots fest und nominierte Franklin Delano Roosevelt als Präsidentschaftskandidaten. Seine Unterstützer erhofften sich vom Ende der Prohibition auch eine Beschränkung der Staatsmacht. Tatsächlich erlaubte es der Wahlsieg, durch den 21. Zusatzartikel das „noble Experiment“ (so Roosevelts Vorgänger Herbert Hoover) am 5. Dezember 1933 abzubrechen. Im Zeichen der Wirtschaftskrise erhielt der Staat unter Roosevelts New Deal freilich nie gekannte Befugnisse. Den Kummer darüber konnte man zumindest wieder ganz legal in Alkohol ertränken.

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