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Demokratie im digitalen Zeitalter : Der Aufruf der Schriftsteller

  • Aktualisiert am

Bild: F.A.Z.

Staaten und Konzerne missbrauchen die technologischen Entwicklungen zum Zwecke der Überwachung massiv. Über tausend Schriftsteller aus mehr als achtzig Ländern fordern eine verbindliche Internationale Konvention der digitalen Rechte. FAZ.NET dokumentiert ihren Appell zusammen mit 31 anderen Zeitungen.

          14 Min.

          Über tausend Schriftsteller aus der ganzen Welt, darunter fünf Literaturnobelpreisträger, protestieren mit einem internationalen Aufruf, den die F.A.Z. zusammen mit 31 anderen Zeitungen dokumentiert, gegen die systematische Überwachung im Internet durch Geheimdienste wie die amerikanische NSA. Sie rufen dazu auf, die Demokratie in der digitalen Welt zu verteidigen.

          Die Unterzeichner, zu denen Umberto Eco, Tom Stoppard, Paul Auster, Jonathan Littell, J. M. Coetzee, Elfriede Jelinek, T. C. Boyle, Peter Sloterdijk und viele andere gehören, fordern, jeder Bürger müsse das Recht haben, mitzuentscheiden, in welchem Ausmaß seine Daten gesammelt, gespeichert und ausgewertet werden. Sie erinnern an die Unschuldsvermutung als zentrale Errungenschaft unserer Zivilisation und appellieren an die Vereinten Nationen, eine „Internationale Konvention der digitalen Rechte“ zu verabschieden.

          Zwei der Initiatoren des Aufrufs, die Schriftsteller Juli Zeh und Ilija Trojanow, erläutern im Gespräch ihre Beweggründe: „Es geht um den Konflikt zwischen dem Einzelnen und der absoluten Macht unter den neuen Bedingungen des Informationszeitalters.“ Eine Reihe von Autoren, zu denen T.C. Boyle, Javier Marías, Liao Yiwu, Victor Jerofejew, Thomas Hettche und Jo Lendle gehören, erklären in persönlichen Stellungnahmen, warum sie den Appell mittragen.

          Der Aufruf

          In den vergangenen Monaten ist ans Licht gekommen, in welch ungeheurem Ausmaß wir alle überwacht werden. Mit ein paar Maus-Klicks können Staaten unsere Mobiltelefone, unsere E-Mails, unsere sozialen Netzwerke und die von uns besuchten Internet-Seiten ausspähen. Sie haben Zugang zu unseren politischen Überzeugungen und Aktivitäten, und sie können, zusammen mit kommerziellen Internet-Anbietern, unser gesamtes Verhalten, nicht nur unser Konsumverhalten, vorhersagen.

          Eine der tragenden Säulen der Demokratie ist die Unverletzlichkeit des Individuums. Doch die Würde des Menschen geht über seine Körpergrenze hinaus. Alle Menschen haben das Recht, in ihren Gedanken und Privaträumen, in ihren Briefen und Gesprächen frei und unbeobachtet zu bleiben.

          Dieses existentielle Menschenrecht ist inzwischen null und nichtig, weil Staaten und Konzerne die technologischen Entwicklungen zum Zwecke der Überwachung massiv missbrauchen.

          Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei; und eine Gesellschaft unter ständiger Beobachtung ist keine Demokratie mehr. Deshalb müssen unsere demokratischen Grundrechte in der virtuellen Welt ebenso durchgesetzt werden wie in der realen.

          • Überwachung verletzt die Privatsphäre sowie die Gedanken- und Meinungsfreiheit.
          • Massenhafte Überwachung behandelt jeden einzelnen Bürger als Verdächtigen. Sie zerstört eine unserer historischen Errungenschaften, die Unschuldsvermutung.
          • Überwachung durchleuchtet den Einzelnen, während die Staaten und Konzerne im Geheimen operieren. Wie wir gesehen haben, wird diese Macht systematisch missbraucht.
          • Überwachung ist Diebstahl. Denn diese Daten sind kein öffentliches Eigentum: Sie gehören uns. Wenn sie benutzt werden, um unser Verhalten vorherzusagen, wird uns noch etwas anderes gestohlen: Der freie Wille, der unabdingbar ist für die Freiheit in der Demokratie.

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