Neues Autodesign : Das Leben, vom Tode her gedacht
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Aufgerissenes Kühlermaul: Das Maserati Kubang SUV, präsentiert in Detroit Bild: Reuters
In Detroit findet in diesen Tagen eine internationale Automobilmesse statt - mit einer Unmenge an grimmigen Scheinwerfern, bösen Kühlerfratzen, verchromten Überrollbügeln. Was verrät das neue Autodesign über unsere Zeit?
Auch wer sich nicht für Autos interessiert, sollte sich für Autodesign interessieren. Denn nirgendwo wird so viel Geld in psychologische Kriegsführung durch Formen gesteckt, nirgendwo arbeiten so viele Marktforscher, Psychologen und Designer daran, die kleinsten Verschiebungen im psychosozialen Gefüge rechtzeitig zu erkennen, keine Branche versucht mit einem solchen Aufwand, ein Produkt, das nicht notwendigerweise alle drei Jahre ausgetauscht werden muss, an den Mann zu bringen.
Allein in den Vereinigten Staaten werden die Neuwagenzulassungen dieses Jahr voraussichtlich von 12,4 auf etwa 14 Millionen Fahrzeuge steigen. Der Druck, vor allem durch Ästhetik zu verführen, wird angesichts der technologischen Angleichung zwischen den Konkurrenten immer größer - auch deswegen ist Autodesign ein so sensibler Indikator für gesellschaftliche Veränderungen.
Unfälle? Daran dachte man früher nicht
Was also erzählt das Design der aktuellen Autos, das in diesen Tagen auf der Internationalen Auto-Ausstellung in Detroit, der NAIAS, zu sehen ist? Zwei Formengenres dominieren hier, zwei Symptome: Nostalgie und Hysterie. Zum einen die Retro-Mode, die Beschwörung jener Autos, die die kaufkräftige Babyboomer-Generation als Spielzeugautos besaß: Ford Mustang, Chevy Camaro, Fiat 500, New Mini. Wo das Design nicht in die Vergangenheit flieht, zeigt es eine andere Fluchttendenz - Abschottung von der Außenwelt. Eine der augenfälligsten Veränderungen im Autodesign ist die Größe der Fenster.
In einem Mercedes SL von 1969 saß der Fahrer wie in einer Vitrine. Seitdem befinden sich die Autofenster in einem ständigen Schrumpfungsprozess, mittlerweile ist nur noch eine Art von Schießscharten übrig, die in die Blechburg geschnitten wurden, um ein lebensnotwendiges Maß an Überblick zu behalten. Warum diese Verkleinerung der Fenster? Ein Grund ist die Stabilität des Autos. Wer sich in einem Citroën DS - jenem 1955 präsentierten Auto, dem Roland Barthes seinen berühmtesten Essay widmete - überschlug, war tot. Die dünnen Träger des Dachs kollabierten wie ein Zelt, in das ein Betrunkener hineinstolpert. Das galt noch mehr für die hochmotorisierten Cabrios wie den 1968er Maserati Ghibli Spyder. Wer sie kaufte, dachte nicht an mögliche Unfälle, sondern an Beschleunigung, Haar im Nachtwind, ein offenes Leben.
Sicherheitswunsch mit seltsamen Effekten
Die neuen Autos sind anders. Sie werden, wie vieles zur Zeit, vom Tod her gedacht: Nicht vom möglichen Glück kündet ihre Formensprache, sondern von der Gefahr des Unfalls, des Scheiterns, vom worst case scenario. Der Mini Roadster soll Spaß machen, ja, aber für den Fall, dass er sich überschlägt, hat er zwei verchromte Überrollbügel in Habachtstellung hinter den Kopfstützen stehen; absurde, ständig präsente Skulpturen der Angst. Chromglänzende Mahnungen: Ich mag das Offene, das Abenteuer, sagt das angsthöckerbewehrte Cabrio. Aber nur, solange ich mir keine blutige Nase hole.
Der Wunsch nach Sicherheit führt zu seltsamen Effekten. Einige Hersteller bieten das sogenannte Night-Vision-System an. Eine Infrarotkamera filmt nachts die Fahrbahn, das Bild wird in die Windschutzscheibe eingeblendet. Man kann jetzt auswählen: Entweder man versucht, nach wie vor mit eigenen Augen im Dunkeln nach dem zu suchen, was dort auftaucht, oder man schaut gleich den Film, in dem man viel mehr erkennt. Die Windschutzscheibe wird endgültig zur Projektionsfläche, auf der ein Film läuft, der die Realität als surreale Darstellung präsentiert: Man fährt und schaut dabei den Film vom echten Leben.