: In unverkennbar aggressiver Tonlage
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Die Tatsache, daß zwischen Nazizeit und früher Bundesrepublik an unseren Universitäten eine fast ungebrochene personelle und mentale Kontinuität bestanden hat, ist vielfältig belegt. Lorenz Jäger, als Rechtsaußen der Feuilleton-Redaktion einschlägig bekannt, wählt für seine Glosse (F.A.Z.
Die Tatsache, daß zwischen Nazizeit und früher Bundesrepublik an unseren Universitäten eine fast ungebrochene personelle und mentale Kontinuität bestanden hat, ist vielfältig belegt. Lorenz Jäger, als Rechtsaußen der Feuilleton-Redaktion einschlägig bekannt, wählt für seine Glosse (F.A.Z. vom 6. Juli) einen Titel, der diese Tatsache anhand eines strittigen Berufungsvorgangs aus dem Jahre 1964 zur "Legende" erklärt. Er beruft sich auf einen Aufsatz von Klaus von See, "Peter Szondi und die Frankfurter Universität", zu dem ich nicht Stellung nehmen kann, weil ich ihn noch nicht gelesen habe. Der Tenor der Schlußfolgerungen von Herrn Jäger veranlaßt mich jedoch, zu jenem Berufungsvorgang eine Episode beizutragen, die auf die Mentalität der damals beteiligten Frankfurter Germanisten ein Licht wirft. Noch bevor ich meine Lehrtätigkeit in Frankfurt aufgenommen hatte, wurde ich aufgrund eines Fakultätsbeschlusses, an dem ich nicht in persona beteiligt gewesen war, Mitglied einer Berufungskommission für die Besetzung eines literaturwissenschaftlichen Lehrstuhls. In der ersten Sitzung meldete sich, unmittelbar nach der formalen Eröffnung durch den Dekan Kraft, der mir damals nicht bekannte Heinz Otto Burger zu Wort. Er wandte sich völlig unerwartet und in unverkennbar aggressiver Tonlage an mich, einen jungen Kollegen, den der Dekan wenige Wochen zuvor noch in Heidelberg mit der Bitte besucht hatte, doch den Ruf nach Frankfurt anzunehmen. Ich erinnere mich natürlich nicht mehr an den Wortlaut, aber wegen der Ungewöhnlichkeit dieses Regelverstoßes sehr gut an den Sinn von Burgers Äußerung: Sie, die Germanisten, wüßten ja, daß mich Herr Adorno in die Kommission geschickt habe, um Peter Szondis Berufung zu betreiben. Er wolle mich von vornherein warnen, daß in Frankfurt Germanisten Germanisten berufen.
Ich schaute den Dekan an, der offensichtlich irritiert war, aber zunächst nicht reagierte. Daraufhin sagte ich zu ihm, ich nähme doch an, daß nach diesem Eklat die Sitzung beendet sei, und verließ den Raum. Ich bin zu keiner weiteren Kommissionssitzung eingeladen worden und gehe bis heute davon aus, daß die Kommission daraufhin umgebildet worden ist. Der Vorfall ist mir auch deshalb so lebhaft in Erinnerung geblieben, weil Gadamer und Löwith, als ich ihnen von meinem Schock berichtete, eine Chance sahen, mich in Heidelberg zu halten. Tatsächlich hat Arthur Henkel, der damalige Dekan der Heidelberger Philosophischen Fakultät, die Sache im Stuttgarter Ministerium zur Sprache gebracht und mich daraufhin zu Bleibeverhandlungen eingeladen. Um die fatale Apologetik von Lorenz Jäger richtig einschätzen zu können, muß man wissen, daß Heinz Otto Burger als ehemaliges SA-Mitglied, wie man damals sagte, "politisch belastet" war. Seine Rolle in der Schwerte-Affäre wurde allerdings erst später aufgedeckt: Der frühere SS-Hauptsturmführer Hans-Ernst Schneider hat nach dem Kriege unter dem Namen Hans Schwerte ein zweites Mal promoviert, war anschließend Assistent bei Burger und hat sich bei diesem auch habilitiert.