Gerichtssache Suhrkamp : Wie bei einer Flucht in Ketten
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Bild: dapd
Wer ist Kläger, wer wird angeklagt? Die beiden Suhrkamp-Gesellschafter fordern vor Gericht den Ausschluss des jeweils anderen. Polemik ist Trumpf - und sämtliches Porzellan zerschlagen.
Im Saal 122 des Frankfurter Landgerichts herrscht minutenlang eisiges Schweigen. Die Kontrahenten würdigen sich keines Blickes, bis Norbert Höhne von der 3.Kammer für Handelssachen durch die kleine Tür hinter dem Richtertisch tritt. Davor warten die Anwälte der beiden Gesellschafter des Suhrkamp Verlags auf die nächste Etappe ihrer bizarren Beziehungskrise, die sie seit Jahren vor Gericht therapiert sehen wollen. Was sie sich gegenseitig vorwerfen, ist dokumentiert in Bergen von Leitz-Ordnern, die sich auf den diversen Schreibtischen im Saal türmen.

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Es ist ein Streit, wie er in den besten Familien vorkommt: Zwei Parteien halten es unter einem Dach nicht mehr miteinander aus. Und wie bei so vielen Scheidungen wird auch hier viel Porzellan zerschlagen. Mit derart zahlreichen Verfahren beschäftigt die Causa Suhrkamp inzwischen Gerichte in Berlin und Frankfurt, dass selbst der weißbärtige Vorsitzende Richter an diesem Morgen den Überblick verliert. Fakt ist, dass die Siegfried und Ulla Unseld Familienholding 61 Prozent am Verlag hält, Hans Barlach mit seiner Medienholding AG Winterthur die restlichen 39. Beide Seiten haben der jeweils anderen ein Kaufangebot unterbreitet. Und beide Seiten verklagen die jeweils andere auf Ausschluss aus der Gesellschaft.
Kurz vor dem Gerichtstermin haben Barlachs Anwälte einen Antrag auf Auflösung des Verlags gestellt. Wie aber kann jemand zerstören wollen, woran er beteiligt ist? Es sind unschöne Verhältnisse, die das Frankfurter Gericht klären soll. Norbert Höhne seufzt.
Abstrakte Kunst in Quietschorange
Im Raum stehen die Vorwürfe Veruntreuung von Geldern, Kompetenzüberschreitung, geschäftsschädigendes Verhalten, Missmanagement. „Am Ende des Weges wird es eine Lösung geben“, verspricht der Richter den Anwesenden. Dann werden Aktennotizen, Daten und Posteingänge verglichen. Der Suhrkamp-Autor und Prozess-Dauergast Rainald Goetz schreibt fleißig mit.
Wer sich nicht einigen kann, das ist für Höhne klar, muss auseinandergehen. Zumal der Richter ein Opfer dieser betriebsinternen Fehde ausmacht: den deutschen Literaturbetrieb und einen der namhaftesten deutschen Verlage. „Beide Parteien haben ein Erbe zu verwalten, auf das wir alle stolz sind“, appelliert er an die Beteiligten.
Hans Barlach wie auch der Suhrkamp-Geschäftsführer Jonathan Landgrebe wollten beide nicht vorn Platz nehmen. Flankiert von ihren Anwälten, sitzen sie im Publikum. An der Wänden des Sitzungssaals hängt abstrakte Kunst in Quietschorange, darüber sind zwei Eisenringe in der Wand eingelassen. Als ob er über den Sinn dieser Konstruktion nachgedacht hätte, kommt der Richter plötzlich auf den Film „Flucht in Ketten“ zu sprechen. Die Parteien sieht er in derselben Lage wie die aneinandergeketteten Gefangenen, die auf der Flucht ihre persönlichen Schwierigkeiten miteinander lösen müssen. „Das ist Ihr Schicksal.“
Umso mehr freut es den Vorsitzenden, dass heute „alle die Luft anhalten“ und der Auseinandersetzung sachlich begegneten. Aber es dauert nicht lange, bis die Fetzen fliegen: „Sie sind ein Bauer“, poltert es aus der einen Ecke, „Jetzt lügen Sie schon wieder“, tönt es aus der anderen. Ein Kompromiss scheint unmöglich, sagt der Richter, eine Trennung muss her. Nur wie?
Das muss sich Norbert Höhne jetzt überlegen. Vielleicht hat er bis zur nächsten Sitzung am 13.Februar eine Idee. Das Ende von „Flucht in Ketten“, sagt der Richter kurz vor Schluss, habe er immer schon unglaubwürdig gefunden. Ein Happy End mag in Hollywood üblich sein, aber nicht unbedingt im Gerichtssaal.