Ukraine : Die Perspektive der Straße
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Direkt im Geschehen: Die Doku „My Revolution - Video Diary from Kiev“ gibt authentische Einblicke aus den Krisengebieten der Ukraine. Bild: Youtube/ ECO Media TV-Produktion
Ukrainische Blogger zeigen, was in Kiew und auf der Krim geschieht. Der deutsche Produzent Stephan Lamby macht daraus einen Film auf Youtube. Der Film schafft Nähe, ist aber mit Vorsicht zu betrachten.
Es gibt belegte Brote mit sauren Gurken für die Demonstranten auf dem Maidan. Im Hintergrund spielen junge Männer Fußball, die Älteren sitzen vor einer Feuertonne und diskutieren. Der gleiche Ort, knapp drei Monate später: Vermummte Männer schlagen mit Brettern auf Blech, im Hintergrund eine Wand aus Feuer. Demonstranten werfen brennende Holzteile.
Was im November als friedlicher Protest in Kiew begann, entwickelte sich bis Ende Februar zu einem bürgerkriegsähnlichen Aufstand, mit etwa hundert Toten. Seit dem Ende der Proteste in Kiew beherrschen die Bilder russischer Truppen auf der Krim die Nachrichten. Häufig zeigen uns die Sender verwackelte Aufnahmen mitten aus dem Geschehen. „Quelle: Youtube“ steht da, oder „Quelle: Privat“. Auch Fernsehsender greifen auf solche Bilder zurück. Einem Dokumentarfilm ist es dadurch nun gelungen, eine besondere Nähe zu den Geschehnissen herzustellen.
„My Revolution – Video Diary from Kiev“ zeigt Videoaufnahmen von sieben Bloggern und Augenzeugen aus der Ukraine, die von Beginn der Proteste im November 2013 bis zum Höhepunkt der Auseinandersetzungen Ende Februar 2014 dabei waren: Dabei, als Demonstranten auf den Maidan zogen und Europa-Flaggen in die Höhe reckten. Sie waren dabei, als Scharfschützen auf Menschen schossen und Demonstranten starben. Schließlich waren sie dabei, als russische Truppen mit Panzern auf der Krim anrückten. Über Skype-Interviews geben sie ihre Eindrücke wieder: Wer waren die Scharfschützen? Was sagen andere Bürger? Warum ist die Situation so eskaliert? Am Sonntag, am Tag des Referendums über die Abspaltung der Krim von der Ukraine, veröffentlichte die Produktionsfirma Eco Media den Film auf Youtube.
Zu gefährlich für die eigenen Autoren
Der Produzent des Films, Stephan Lamby, wollte schnell authentische Bilder aus der Ukraine veröffentlichen und suchte daher auf Youtube nach privaten Aufnahmen. Über das Videoportal und Facebook kam er in Kontakt mit Bloggern aus der Ukraine. Sie waren mitten im Geschehen, rannten mit den Demonstranten vor dem Militär davon, versteckten sich hinter Mülltonnen.
„Einen unserer Autoren hätte ich in so ein Bürgerkriegsgebiet nie schicken können und so geht es auch anderen Produktionsfirmen oder Sendern – das ist einfach zu gefährlich. Diese Leute in Kiew waren von Anfang an Teil der Bewegung und gingen da von sich aus rein“, sagt Lamby. Zweieinhalb Stunden Videomaterial bekamen er und die seine Mitarbeiter zugesandt.
Die Bilder wackeln, sie sind unscharf und wechseln schnell den Fokus. Echte neue Erkenntnisse über die Situation in der Ukraine vermittelt der Film nicht. Es ist eine subjektive Sicht auf die Dinge. Eine subjektive Kamera, die durch die Menschenmassen mitläuft, neben brennenden Bretter-Haufen steht und verfolgt, wie regungslose Menschen weggetragen werden, während weiter Schüsse fallen.
Einseitige Perspektive
Abgesehen von den Skype-Interviews gibt es keine Erzählungen von Menschen auf der Straße, es gibt keine Fragen von Reportern. Die Bilder stehen für sich. Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben sie nicht. „Normalerweise hätten wir ja auch die Gegenseite befragt, um alle Parteien zu Wort kommen zu lassen. In dem Fall wollten wir aber nur die Perspektive der Leute in Kiew“, sagt Lamby.
So entsteht natürlich eine gewisse Einseitigkeit, der man sich als Zuschauer bewusst sein muss. Auf die Frage etwa, ob die Scharfschützen von der Regierung eingesetzt wurden oder doch Teil der Opposition waren, sagt der Aktivist und Video-Blogger Nickolay Ovcharov: „Ich glaube, dass einige der Scharfschützen zu russischen Sicherheitskräften gehören. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Bürger der Ukraine auf ihre Mitbürger schießen könnten.“ Dass es auch andere Stimmen gibt, die sagen, dass die Scharfschützen ukrainische Revolutionäre waren, verschweigt der Film.
Die Bilder sind eindrucksvoll, aber eben doch von keinen unabhängigen Beobachtern gemacht. Auch die Authentizität der Bilder kann nicht abschließend und vollumfassend geklärt werden. Stephan Lamby ist sich aber sicher, dass es sich hier um keine Fälschungen handelt: „Ganz sicher können wir uns natürlich nicht sein. Aber die Bilder decken sich absolut mit Bildern aus den Nachrichten oder mit anderen Augenzeugenberichten“.
Der Film endet offen, so wie die Situation in der Ukraine offen bleibt. Eco Media will den Film nun Sendern und Filmfestivals anbieten. Die Erst-Veröffentlichung auf YouTube war Lamby trotzdem wichtig: „Wir wollten die Doku schnell unter die Leute bringen, so lange die Situation in der Ukraine noch heiß ist. Und YouTube ist nun mal viel schneller als alle anderen Medien.“