
Vor der Parlamentswahl : Tote bei Unruhen in Ägypten
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Die Sicherheitskräfte auf dem Tahrir-Platz setzten Gummigeschosse und Tränengas gegen die Demonstranten ein Bild: REUTERS
Eine Woche vor den ersten Parlamentswahlen in Ägypten hält die Welle der Gewalt an. Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei kamen am Sonntag mindestens elf Menschen ums Leben.
In Kairo haben am Sonntag die blutigen Zusammenstöße zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten angedauert. Die Bereitschaftspolizei ging mit Tränengas, Gummigeschossen und Schlagstöcken gegen die Demonstranten vor, diese warfen Steine und Molotowcocktails. Mindestens 11 Personen wurden am Samstag und Sonntag in Kairo und Alexandria getötet, mehr als 800 Personen wurden verletzt, unter ihnen 40 Bereitschaftspolizisten.
Neun Tage vor der ersten Runde der Parlamentswahlen protestierten säkulare und islamistische Aktivisten gegen den Hohen Militärrat und skandierten „Freiheit, Freiheit“. Sie forderten einen schnelleren Übergang zu demokratisch legitimierten Institutionen und die Einsetzung eines zivilen Staatsrats an Stelle des Hohen Militärrats. Ferner forderten sie den Rücktritt des Vorsitzenden des Militärrats, Hussein Tantawi, und den von Ministerpräsident Essam Sharaf.
Nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen am Wochenende herrschte auf dem Tahrir-Platz in Kairo am frühen Montag gespannte Ruhe. Die Zusammenstöße waren am Samstagabend und am Sonntag eskaliert. Die Bereitschaftspolizei schien, den Sitzstreik aufzulösen und die Kontrolle über den Platz zurückzugewinnen. Darauf aktivierten die säkulare „Bewegung des 6. April“ und die islamistische Muslimbruderschaft ihre Anhänger, welche die Polizisten zurückschlagen konnten. Die Demonstranten errichteten Barrikaden, setzten ein Polizeiauto in Brand und ein Regierungsgebäude.
Zu blutigen Zusammenstößen kam es vor allem auf der Straße vom Tahrir-Platz zum Innenministerium. Soldaten wurden gegen die Demonstranten nicht eingesetzt, lediglich Bereitschaftspolizei. Viele Geschäfte um den Tahrir-Platz sind geschlossen, auf dem Platz kampieren wieder Aktivisten, und die auf den Platz führenden Straßen sind für den Verkehr gesperrt. Ministerpräsident Scharaf rief die Demonstranten vergeblich auf, den Tahrir-Platz wieder zu räumen.
Bei den Protesten kamen erstmals seit dem 11. Februar säkulare Kräfte und Islamisten zusammen. Ägyptische Medien bezeichneten die Proteste als „zweite Revolution“. In den vergangenen Wochen hatten bekannte Oppositionelle, unter ihnen Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei, angekündigt, es werde eine solche „zweite Revolution“ geben, sollte das Militär nicht schneller die Macht an zivile Politiker übergeben. Der Hohe Militärrat hatte Anfang November einen Entwurf für Verfassungsprinzipien vorgestellt, der eine politische Rolle der Armee vorsieht und zugleich die Kontrolle der Armee und des Verteidigungshaushalts durch zivile Institutionen ausschließt. Das Militär will erst in die Kasernen zurückkehren, wenn Anfang 2013 ein neuer Staatspräsident gewählt wird.
Eine offizielle Erklärung des Hohen Militärrats lag bis Sonntagabend nicht vor. General Muhsin al Fangari, ein Sprecher des Militärrats, sagte aber einem Fernsehsender, Proteste so kurz vor den Wahlen seien eine Gefahr für den Staat und damit für die Streitkräfte des Landes. Wahlen seien der legale Weg, um Meinungen kundzutun. Er bezeichnete die Demonstranten als „Feinde“. Die Jugend werde geblendet, sagte der General. Er deutete an, der Nachrichtensender Al Dschazira spiele dabei eine fragwürdige Rolle.
Um der Kritik an den Verfassungsprinzipien entgegenzuwirken, erklärte der Militärrat, das umstrittene Dokument sei nicht bindend, sondern habe lediglich den Charakter einer Empfehlung. Zudem solle die Aufgabe der Armee nur noch die Bewahrung der nationalen Einheit sein, nicht aber, wie zunächst formuliert, Hüter über die „konstitutionelle Legitimität“. Weiter beharrt der Militärrat aber darauf, sich als Staatsoberhaupt nicht dem zu wählenden Parlament zu unterstellen.
Wie in den 18 Tagen, die am 11. Februar zum Sturz von Staatspräsident Husni Mubarak geführt hatten, haben sich die Aktivisten wieder über die sozialen Medien Facebook und Twitter organisiert, ein Feldlazarett auf dem Tahrir-Platz eingerichtet und Ratschläge zum Schutz gegen Tränengas verteilt. Mehrere tausend Demonstranten waren nach der Großkundgebung von Freitag auf dem Platz geblieben. Auch in Alexandria und Suez gingen Aktivisten aus Solidarität auf die Straße. Sie warfen den Sicherheitskräften vor, im gleichen Geist wie unter dem gestürzten Präsidenten Mubarak zu handeln.
Kairo : Wieder Tote in Ägypten
Am Freitag hatten die beiden stärksten islamistischen Kräfte Ägyptens, die Muslimbruderschaft und die Salafisten, zu einer Großkundgebung auf dem Tahrir-Platz gegen den Hohen Militärrat aufgerufen, um gegen die Verfassungsprinzipien zu protestieren, die der Militärrat vorgestellt hatte. Der Entwurf sieht auch vor, dass die Generäle 80 Prozent der Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung berufen dürften. Man benötige solche Dokumente nicht, sagte Essam al Eryan, der stellvertretende Vorsitzende der Partei der Muslimbruderschaft, der „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“. Es war der erste große Protest der Islamisten gegen das Militär.