Nach Wulffs Rücktritt : Lebende Verfassung
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Kanzlerin Merkel reagierte mit einer zwei Minuten dauernden Erklärung auf den Rücktritt Wulffs. Bild: dpa
Angela Merkel hat nach dem Rücktritt von Bundespräsident Wulff das unsinnige Geschwätz von einer „Staatskrise“ widerlegt. Wenn ein Repräsentant des Staates zurücktritt, dann mag er als Person „beschädigt“ sein, das Amt ist es nicht.
Die Stärke der Demokratie liegt in der Qualität und der Kraft ihrer Institutionen. Die Bundeskanzlerin hat mit ihrer Erklärung nach dem Rücktritt von Bundespräsident Wulff das unsinnige Geschwätz von einer „Staatskrise“ (Sigmar Gabriel) umgehend widerlegt. Wenn ein Repräsentant des Staates zurücktritt, gezwungenermaßen oder freiwillig, dann mag er unter Umständen als Person „beschädigt“ sein, das Amt ist es nicht.
Ein Nachfolger wird gesucht, nominiert und muss sich einer Wahl stellen - das ist demokratische Normalität. Und es gehört zur demokratischen Normalität, auch bei der Wahl des Staatsoberhauptes, dass die stärkste politische Kraft, also die Union, die sich in diesem Fall mit ihrem Regierungspartner, der FDP bespricht, das Vorschlagsrecht hat. Frau Merkel hat in diesem Sinn das kommende Prozedere korrekt und präzise beschrieben.
Über Qualifikation möglicher Nachfolger genauer nachzudenken
Zur politischen Normalität in der Demokratie gehört es allerdings auch, dass man auf praktische Umstände Rücksicht nimmt. Nach dem zweiten Rücktritt eines Bundespräsidenten innerhalb von zwei Jahren - allerdings jeweils aus völlig verschiedenen, nicht zu vergleichenden Gründen - ist es angebracht, über die Qualifikation und das Profil möglicher Nachfolger oder Nachfolgerinnen genauer nachzudenken. Die Ankündigung der Bundeskanzlerin, mit den Sozialdemokraten und den Grünen über den Vorschlag der Koalition zu sprechen, weist in diese Richtung; sie ist allerdings auch von dem Blick auf die knappen Mehrheitsverhältnisse in der nächsten Bundesversammlung bestimmt.
Dennoch sollten solche Konsultationen nicht unter dem vermeintlichen Zwang stehen, einen „überparteilichen“ Kandidaten zu küren. Das ist letztlich eine Schimäre, die nur dort menschliche Gestalt annehmen kann, wo es keine Wahl gibt, also in der Erbmonarchie.
Die „lebende Verfassung“ (Dolf Sternberger) der deutschen Demokratie zeigt, dass Überparteilichkeit nicht vor dem Amt steht, sondern mit der Amtsübernahme kommt - das haben bisher alle Bundespräsidenten, Christian Wulff eingeschlossen, bewiesen. Sie haben damit den dürren Artikeln, die das Grundgesetz dem Staatsoberhaupt widmet, erst Leben eingehaucht.
Es gibt wichtigere Erwägungen. Sie betreffen Alter und Reife, schließlich die Frage, ob es - nach zehn Männern - nicht Zeit für eine Frau als Staatsoberhaupt wäre.