Die Fotos brannten erstaunlich leicht. Bläuliche Flämmchen züngelten an ihnen hoch. Es war heiß gewesen und noch am Abend atmeten die Straßen den Staub des Tages. Er hatte sie einzeln anzünden wollen, Bild für Bild, aber das hätte zu lang gedauert. Also hatte er die beiden Kartons in die Mitte des Hofes geschleppt, all die Schnappschüsse und Bühnenaufnahmen, hatte sie mit zerknülltem Zeitungspapier aufgefüllt und mit den Streichhölzern aus der Sommerküche angezündet. Die Eltern hatten einige Fotos aussortiert, die sie hatten mitnehmen wollen, aber es blieben noch jede Menge Aufnahmen übrig. Ein Archiv bestehend aus zwei Kartons. Das fotografische Gedächtnis des deutschen Theaters in Temirtau.
Und er, letzten Monat war er gerade vierzehn geworden, hatte den Auftrag, es zu vernichten, niederzubrennen bis auf die letzten Papierfetzen. Sie selbst hatten es nicht übers Herz gebracht, sie zu verbrennen. Verständlicherweise, haben alle gesagt. Überließen es dem Sohn, die Erinnerung an die Arbeit der letzten Jahre zu zerstören. Er sollte die Beweise an all die Tage im Konservatorium vernichten, die Proben im neuerrichteten Theater mitten in der kasachischen Steppe, an all die Aufführungen und Liederabende. Emilia Galotti brannte lichterloh ebenso wie Kai und seine Schneekönigin.
Die Fotos schmorten zusammen, große und kleine. Sie bogen sich an den Ecken und bildeten zerfallende Knäuel aus Asche. Schwarze Flocken wurden von der abendlichen Brise erfasst und tänzelten über dem Feuer. Es knisterte, eine leichte Hitze ging davon aus. Mit einem Metallstab musste er in den beiden Haufen umher stochern, damit auch die Bilder, die unten zusammenpappten vom Feuer erfasst wurden. Es wäre besser gewesen, von mehreren Stellen aus die Flammen schüren. Aber so ging es auch.
In zwei Tagen werden sie in die Hauptstadt fahren, mit ihren Koffern. Danach würde es in den Westen gehen. In die BRD. Viel konnten sie eh nicht mitnehmen, 12 Kilo pro Person.
Er hatte vorher nicht gewusst, dass Fotografien mit blauen Flammen brennen. Bestimmt war es die Beschichtung der Fotos, die diese besondere Färbung verursachte. Das Bild würde in seinem Gedächtnis haften bleiben. Der Hof, das Feuer, die tanzenden Flocken. Seine Hände und sein Gesicht waren jetzt vom Ruß verschmiert. Er würde sich waschen müssen, bevor er zum Abendessen hineinging.
Wenn seine Familie, er selbst, seine kleine Schwester und die beiden Eltern, zum letzten Mal dieses schwere Eisentor durchschreiten, wird keiner von ihnen auf die beiden Flecken in der Hofmitte blicken. Auf die Asche, die zurückbleibt. Nur nach vorne schauen. In die helle Zukunft. Sie wird doch hell, oder? Die Zukunft?