Gewählter Autor: Annette Hagemann
Annette Hagemann
Bibliographie
2009
Streit mit dem Sonnengott
In wohltuend unbefangener Lyrik stellt Annette Hagemann gelebtes Leben auf den Prüfstand. Ein überraschendes Debut, das durch originären Stil überzeugt.
»Trotz aller Bildmächtigkeit doch immer punktgenau – dieses Debüt ist tatsächlich ein lyrischer ›Sommertag mit Sonnenritterschlag‹.« (Matthias Politycki)
»Mir gefällt das Übermütige daran, die unverhofften Verbindungen, die Risikobereitschaft.« (Michael Krüger)
Hannoversche Allgemeine Zeitung, 16. Dezember 2008
MÄUSE KNOTEN
VON BERT STREBE
Lyrik ist die geschlossenste und zugleich die offenste Form von Literatur. Geschlossen, weil der Leser viel weniger als etwa in einem Roman mitgeteilt bekommt, was der Autor einem erzählen will. Und offen aus genau dem gleichen Grund: Das Gedicht überlässt sich der Phantasie des Lesers und entsteht bei jedem, der es zur Hand nimmt, neu und eigen. Die Voraussetzung dafür ist, dass der Autor sein Handwerk beherrscht. Dass seine Sprache so genau ist, dass die Form der Texte und die gewählten Wörter den Leser bei der Hand nehmen wie jemanden, der durch die (eigene) Dunkelheit geführt wird. Es ist sehr selten, dass das von Anfang an klappt. Bei Annette Hagemann klappt es. Die hannoversche Autorin, vor 41 Jahren in Münster geboren, hat ihren ersten Lyrikband vorgelegt: „streit mit dem sonnengott“ heißt er in konsequenter Kleinschreibung und versammelt 44 Gedichte. Annette Hagemann, die im Literaturbüro Hannover arbeitet, schreibt überhaupt erst seit fünf Jahren. Umso erstaunlicher sind ihre Texte. Man stolpert an ein, zwei Stellen über eine Wortwahl, die eigenständiger hätte ausfallen können: „die seen spiegeln klar die welt“, heißt es in dem Gedicht „mai zug“ – das tun sie bei jedem dritten Lyrikverfasser. Aber ansonsten hat Hagemann in diesen kurzen fünf Jahren offenbar bereits ihre eigene Sprache gefunden und entwickelt. Sie ist schlicht, offen, alltagszugewandt (was nicht viele Lyriker hinbekommen, wegen der Schwere ihrer Texte) und sogar witzig. Vor allem lebt sie von einer Fülle eigener Bilder. „in der jugend / fuhr ich oft per anhalter durchs alphabet“, beginnt das Gedicht „reisen und leben wie björk“, bei einem anderen ist schon der Titel fulminant: „und sein leben ist als wenn ein zebra ein zerbrochener rappe wäre“. Das gedicht „selbstdefinition“ startet so: „eine katze knotet mäuse aneinander / die schleifen tanzen sollen: pirouetten / reisen nach sardinien zu musik von / bach bei brot und wasser / lachen sollen sie“. Einer der schönsten Texte heißt schlicht „baumarkt“ und berichtet von einem Handygespräch mit einem Er, der einen Bohrer sucht, wa?hrend ein Herr Meiner zu Kasse 6 gerufen wird: „und sein telefon knistert / und mein stuhl der wippt und ich / warte auf etwas“. Illustriert ist der Band mit Collagen des in Hamburg lebenden Künstlers Ricardo Cortez, die anfangs wie aus einer Zeit von vor 30 Jahren wirken und die Gedichte manchmal nur zu bebildern scheinen. Aber je länger man sich mit diesem Büchlein befasst, umso mehr wachsen die Texte und die Illustrationen zusammen.

