Gewählter Autor: Marc Mrosk
Marc Mrosk
Bibliographie
2010
Los Perdidos
Ein heißer Sommer in L.A.
Los Perdidos ist die Geschichte von einem heißen Sommer in L.A. Los Perdidos ist außerdem die Geschichte von Henry. Henry ist siebzehn, schwarz (vermutlich - er weiß es selbst nicht genau) und er bringt sich mit kleineren Dealereien für den Zuhälter Pherol über die Runden. Ansonsten treibt er relativ ziel- und perspektivenlos durch die Tristesse und das soziale Elend Hollywoods, boykottiert die Schule und findet selber immer mehr Geschmack an den Drogen, die er eigentlich verkaufen sollte. Dann lernt er Curtiz kennen. Curtiz ist weiß, weiblich und sieht aus wie Sue Lyon in Stanley Kubricks Lolita. Peng, da ist sie – die Liebe.
Drogen, Gewalt, soziale Bodensätze, LA, Sommer, Sex und Sinnlosigkeit – das erinnert an Life is Hot in Cracktown von Buddy Giovinazzo. Nur dass die Stadt bei Giovinazzo New York ist und die Droge Crack. Außerdem an gefühlte vier Millionen Filme zum Thema. Was für Giovinazzos Buch gilt, gilt auch – mit Abstrichen - für den Roman des „El-Vau“-Herausgebers Marc Mrosk: „It's a world of drug addicts, pimps, prostitutes, transsexuals, low-life criminals and the homeless, all caught in the deadly orbit of crack“.
„Los Perdidos“, das sind „die Verlorenen“, der Abschaum, die soziale Schattenseite eines Hochglanzamerikas, wie es einem aus allen Medien unablässig entgegenplärrt. Allerdings ist diese sogenannte Schattenseite ja selbst schon längst zum Bild eben dieses Hochglanzamerikas geworden, das uns unablässig medial präsentiert wird. Wenn der Zeitgeist ein Pendel ist, dann, so könnte man argumentieren, wäre ein neuer Akt künstlerischer Revolte womöglich, die Gemälde von Norman Rockwell literarisch wiederauferstehen zu lassen. Wenn es schon Amerika sein muss. In der Politik versucht das Sarah Palin gerade mit löblicher Verbissenheit, die Kunst hinkt hier offensichtlich schmählich nach. Allerdings fragt sich 1. Wer das durchdrücken soll, 2. Wofür? und 3. Warum muss es eigentlich immer Amerika sein oder respektive der schreiend neonfarbenste Teil davon: Hollywood, L.A, der Sunset Strip? Warum nicht mal Schweinfurt, oder, sagen wir, Ried im Innkreis. Wem die sozialen Brennpunkte der US-Ghettos längst nicht mehr heavy genug sind, dem empfehle ich den Besuch eines Zeltfestes im inneren Salzkammergut. Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass, wer da wieder rauskommt ohne an Leib und Leben dauerhaft Schaden genommen zu haben, der ist bereit für so ziemlich alles. Aber das nur nebenbei.
Kurz: Wer sich dermaßen stark bearbeitete Themen zum Stoff für seinen Roman macht, der wandelt auf der berühmten Linie zwischen Eigenständigkeit und einer weiteren dürren Wurst, die in eine längst leere Turnhalle geworfen wird. Marc Mrosk tut dies. In seinen besten Stellen ist Los Perdidos schnell, roh, heftig, unverschnitten und drückt authentische Gefühle von Sinnlosigkeit, zwischenmenschlicher Brutalität, Gewalt und scheiternder Hoffnung aus. In seinen schlechtesten schafft der Roman es leider nicht ganz aus der Klischee- und Pathosfalle.
Wer mit dieser Mischung leben kann, der wird an Los Perdidos seine Freude haben.
- Johannes Witek

