FIXPOETRY weiterempfehlen

 


Link: http://www.fixpoetry.com

Autorenbuch Carsten Klook Liebeswahn – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Carsten Klook

Sollte Ihr Browser kein Flash unterstützen:

Liebeswahn


Er hasste sie dafür, dass sie ihn liebte. Sie hasste es, ihn zu lieben, weil er sie hasste. Sie liebten einander sehr. Sie liebten einander zu sehr. Und sie hassten sehr: sich und einander. Und wenn er sie liebte, hasste er sich. Weil es zu einfach war. So einfach konnte es nicht sein, durfte es nicht sein. Noch nicht. Vielleicht irgendwann.
Manchmal liebte er sie dafür, dass er sie hassen konnte. Ein Moment größter Nähe. Das war eine günstige Gelegenheit, die er ergreifen musste. Das war ein cooler Abstand. Da ging was, dachte er. Aber er hasste sich dafür, dass er dann tat, was er tat, sodass er sich dafür noch mehr hasste und sich in einem regelrechten Hasskrampf sehr nahe kam, traurig wurde und sich dafür beinahe liebte. In diesem weichen Zustand gefiel er ihr. Was ihn wunderte. Sie fand das dann „gut“, wie sie sagte. „Gut“ – wenn sie das sagte, gab es diverse Möglichkeiten. Er bevorzugte das stumme Hassen und ging.
Sie wollte ihn davor retten, dass er sich vor lauter Liebe hasste. Und sie. Sie kannte das. Von früher. Sie wollte dann einschreiten, irgendwie. Mit einem Arm, einer Hand, einem Geschlecht. Das ging oft nicht. Dann wollte sie ihn hassen, konnte aber nicht. Weil sie ihn mehr liebte als sich selbst. Sie liebte ihn auch mehr, als sie sich selbst hasste. Das war so uncool. Dafür hasste sie sich, aber nicht so viel, wie er sie dafür hasste. Sie tat lauter Sachen, die ihm peinlich waren. Die ihr selbst peinlich waren. Aber nicht mal hassen konnte sie sich dafür richtig. Weder sich noch ihn. Das erinnerte ihn wiederum, wenn sie davon sprach, an seine Familie. Da hatte er gelernt, lieber zu hassen, die er liebte. Weil sie selbst zu all dem Hass nicht fähig waren, den es brauchte, einen beruhigenden Ausgleich zu all der Liebe herzustellen, die ihm gelogen vorkam. Unecht, irgendwie. Das kannte sie. Das hatte sie schon an ihrem Vater beinahe gehasst. Dass der das dachte.
Eines Tages, nach vielen Jahren, lernte er eine Frau lieben, die ihn hasste. Sie wollte ihn nicht und sie wollte ihn auch nicht verlieren. Das war praktisch. Und sie, die von früher, lernte einen Mann kennen, der sie liebte. Da ihr das nicht geheuer war, hasste sie den Mann erst einmal. Ein probates Mittel, wie sie dachte.
Die neue Frau, die er liebte, hasste sich nicht. Jedenfalls sagte sie das. Eigentlich hasste sie sich nur, weil er sie zu viel liebte. Dafür gab es nach ihrer Ansicht keinen Grund. Sie bat ihn, dies zu unterlassen, andernfalls ginge sie. Es kam ihr lächerlich vor, dass er sie liebte, weil sie das an etwas erinnerte, woran sie nicht erinnert werden wollte – worauf sie ihn verließ. Er kannte das und hatte Verständnis dafür, wofür er sich aber sehr hasste. Immer dieses Verständnis, dachte er und wartete. Warum konnte er nicht einfach geradeaus hassen und lieben, wie andere auch? Er wusste es, wollte es aber nicht verstehen. Als sie wiederkam, konnte sie es sich leisten, ihn zu lieben, weil: Sie hatte noch einen, den sie nicht liebte. Das machte die Sache einfacher.   

Die von früher war inzwischen auch wieder unglücklich, weil der neue Mann sie zwar liebte, aber sie nicht ihn. Es war einfach zu einfach. Sie hatte um ihn nicht kämpfen müssen. Er war da, als wäre er schon immer da gewesen und als wollte er nicht mehr gehen. Das war einfach unerträglich für sie, diese Vorstellung, er sei da für immer, ein Leben lang. So wollte sie es nun auch nicht. Er streichelte ihren Handrücken mit seinem kleinen Finger, als sei sie ein fipsiges Tier. Leidenschaftslos, dachte sie und zog die Hand weg. Zog sie in den Hemdärmel hinein, sodass er nun ins Leere griff.
Ein anderer Mann war sehr und eine andere Frau war auch sehr: untreu, unentschlossen und darin verlässlich. Das ergänzte sich sehr gut. Man liebte einander mit Haut und Haaren halbherzig und zog übereinander her, wenn der andere gerade nicht im Raum, nicht im Bild war, nicht bei sich oder bei ihm oder ihr war. Man lebte. Und das aneinander vorbei. Gerade, wie es passte.
Es gab die Wirklichkeit und es gab die Wahrheit. Das eine wirkte und das andere störte.

weiterempfehlen

zurück

Autorenarchiv

  1. A
  2. B
  3. C
  4. D
  5. E
  6. F
  7. G
  8. H
  9. I
  10. J
  11. K
  12. L
  13. M
  14. N
  15. O
  16. P
  17. Q
  18. R
  19. S
  20. T
  21. U
  22. V
  23. W
  24. X
  25. Y
  26. Z