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Autorenbuch David Frühauf Hänschn / Gretchn: – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: David Frühauf

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Hänschn / Gretchn:

(Bühne ist Raum, d.h. jeglicher, auch Körper, Gestik, Mimik und Sprache; ist also Text (folgender, der doch nur Anlass und Reizwörter bildet, demnach auch verworfen, gestrichen oder umgeschrieben werden kann), den es zu füllen gilt, zu erfüllen, in jeglicher Hinsicht (in Eurer, in keiner), von wem oder was oder wie vielen auch immer, während sich die Zeit auf die Dauer von etwa Jetzt bist Jetzt beläuft. Mehr sei dazu nicht gesagt.)

 

Hänschn / Gretchn: Ich bin neun Jahre alt, etwa 1,40 Meter groß, habe blondes, langes Haar und als ich zuletzt gesehen wurde, trug ich eine graue Jogginghose und ein gemustertes T-Shirt. Meine Augenfarbe ist braun, und die Zeit ist mir stehengeblieben. Ich habe eine Vergangenheit und ein unbestimmtes Jetzt. Jetzt, früher, später, ja, ganz bestimmt, irgendwie, irgendwann. Reihum dann, im Kreis, so spielt's sich, so spielt es sich von selbst. Die Abläufe, sie spielen auch mit. Oder spielen mich und verlaufen nebenher. Also verlaufen sich, und ich: Ich habe vieles vergessen und wenig erfahren. Dabei bleibt es, nicht nur Jetzt. Wenn Sie mich sehen, melden Sie sich umgehend. Ihr Umgang selbst kann gut oder schlecht sein, ist jedoch von größter Bedeutung. Umgehen Sie es daher nicht, denn jeder Hinweis kann Sekunden bedeuten, jede Angabe meines Aufenthalts vielleicht sogar mehr. Eine Stunde. Ein Morgen. Irgendwann wird es in mein Gesicht geschrieben sein und es wird an nichts mehr fehlen, weder Richtung noch Weg, weder vorwärts noch rückwärts, doch das sagt sich so leicht. Leichter wird es wohl nie. Nie mehr. Oder war es das jemals. Gab es das früher. Ein einfaches Sprechen. Ein Verlauten der Dinge. Ein Bewusstsein, in dem ich verlässlich die Routen erkannte, denen zu folgen war. Als gäbe es das, gäbe es das wirklich, denn wem wäre zu folgen. Und wem noch zu weisen. Ihnen nicht, mir nicht, ene, mene, muh, und kein Wort sagt mehr bleiben, keines zeigt heimwärts. Die Sehnsucht, dass es doch nicht so sei, sondern anders. Wohin also, und wie lange ist das noch möglich. Seit Tagen kein Licht mehr gesehen, und die beständige Frage, ob es noch langer andauern kann. Ich habe versucht, mich Punkten zu nähern, ein wenig zumindest, im Taumeln, in Sprüngen, ganz schwerelos. Sehen Sie, mal hierhin, mal dorthin, richtungs- und ziellos, wie nahezu träumend, fliehend und fliegend, ein Müller am Wandern – bis ich dann schwankte, stolperte, fiel. Wie lange das alles her ist. Wie lange das alles bereits her sein muss. Als ich wieder auf die Beine kam, Boden unter meinen Füßen hatte, sicheren oder auch nicht, war es Abend, für immer, am Stadtrand, am Waldrand, und sie liefen über Stock und über Stein, ja, liefen und liefen und brachten mich fort, ganz wie von selbst, wie von allein. Schürfwunden mit Moos bedecken, als hätte ich noch etwas zu verbergen. Ob ich das vermisse, fragen Sie (wenn Sie mich denn fragen würden), oder mir doch nur einbildete. Mich ins falsche Bild setzte, ins falsche Licht rückte. Noch einmal zurück- und ankommen, noch einmal umsehen, mich noch ein einziges Mal täuschen lassen. Ein einziges Mal nur mich enttäuschen, dafür jedoch ganz und gar. Vollkommen. Absolut. Etwas muss schließlich unternommen werden, irgendetwas muss doch getan werden, irgendwas muss doch getan werden können. Ich trug Ohrringe und einen schwarzen Rucksack, den man Tage danach in der Nähe eines Flusses fand. Weitere Spuren verliefen sich oder brachen bereits nach wenigen Metern wieder ab, trotzdem will man die Hoffnung nicht aufgeben. Man hebt sie besser noch auf, in Kisten, in Schränken, verwahrt sie, für härtere Zeiten, um sie aufs Neue zu sichten und verklären zu können. Dabei an Glücklicheres denken, um die Zeit zu überbrücken, und die wiederholte Frage, ob es so etwas je gab. Damals vielleicht, doch ich weiß nichts davon, weiß nichts mehr darüber, denn was heißt das, damals, dieses Wort einer Sprache, die mir fremd geblieben ist. Bleibendes Damals. Damalige Bleibe. Was von damals übrigblieb. Ich habe nie darüber sprechen gelernt, sagte nur Seife, Blase, Mutter, sagte Stein, Schlag, Vater, und keine anderen Wörter ließen von mir hören, hüteten mich wohler in ihrem Klang. Schall, Ton, Klang; Signale, in denen etwas anklingt, etwas Zeitliches, Vertrautes, etwas wie nichts. Nichts davon muss ewig halten. Nichts davon wird ewig währen. Nehmen Sie mit, was zu behalten ist. Teilen Sie mit, was sich vernehmen lässt. Alles kann bedeutend werden, jeder Hinweis wird sorgsam geprüft, denn zu verlieren gibt es wenig, schwindend gering, beinahe kaum Rede wert. Der Glaube an etwas, das noch Bestand haben könnte. An anderen Tagen wünscht man sich Gewissheit, auch wenn man immer schon zu wissen meinte. Ich hatte Augen, die am Boden entlang tasteten und kam doch nur Schritt für Schritt voran. Zwang mich dazu, ohne zu vertrauen, dass es so noch weitergehen konnte. Um nicht mehr daran zu denken, um nicht noch mehr sehen zu müssen, streute ich mir schließlich Sand in die Augen, und verrieb ihn darin, bis wirklich nichts mehr zu entdecken war. Kein Boden, kein Grund, kein Ziel und dennoch das Wissen von einem Ende der Nacht. Ich erinnere mich nicht, je eine Sehnsucht nach dieser Art von Aufregung verspürt zu haben. Warum hat man mich nicht ruhig schlafen lassen, bis alles wieder still gewesen wäre. Es wäre nie so weit gekommen, nur anders, ohne Tränen, ohne Enttäuschung, und meine lieben Eltern hätten hundert bessere Kinder haben können; doch so wurde und war ich, und war eines unter vielen; wir waren Vater, Mutter, Kinder, ein Rudel wilder Wölfe, doch ein sehr harter Winter ist, wenn ein Wolf, ein Wolf, ein Wolf, den andren frisst, ein Wolf, ein Wolf, ein Wolf, den andren frisst. Wie schwer es ist, nicht zu weinen, wenn ich singe, wenn ich bete, dass Gott mich behüten möge, während ich schlafe, und mich ewig Kind nenne. Ewig, ewig, ein fortlaufender Zustand. Eine Momentaufnahme, die sich verläuft, und mit der Zeit doch nur einem Abschluss entgegen hetzt. Pünktlich, auf die Minute genau und immer in der Zeit, denn sie läuft, sie drängt, sie vergeht, vergeht sich an mir. Was ein Kind sein hieße, wenn die Kindheit abgeschlossen und doch außen vor gelassen wurde. Wie viele Schnitte man ansetzen müsste, um die Fäden durchzuschneiden und endlich loszulassen. Ich könnte in eine unsichere Lebenssituation fallen, meinen Sie, doch weiß ich bereits, was es bedeutet, am Boden zu sein. Man gab mir Arme, um sie als Schaufel zu benützen, Beine, um zu wandern und einen Kopf, um damit gegen Wände zu laufen. Ich, ich habe mir ein Loch gegraben und einen Grund darin gesucht. Bin darin liegen geblieben, habe die Schuhe ausgezogen und mir ein Kissen aus Sand geformt. Es brauchte Jahre, um mir den Weg ans Licht zurück zu zeigen. Gerne hätte ich dort, genau dort, einen Punkt gesetzt, danach, der Stille wegen, und dies dann Abschied und Leb wohl genannt. Punkt, Punkt, Strich, Strich, ist erst einmal ein Schlussstrich gezogen, fertig, doch was kreuzt ihn, was streicht ihn immer noch aus. Gern hätte ich den Eindruck verstärkt, dass eine Erzählung erst dort beginnen kann, wo etwas endet: Es war einmal, es war einmal – es war und ist vielleicht dann doch noch nicht soweit. Es war und ist – was mag noch zwischen diesen Wörtern liegen. Und was danach. Was davor. Ich setzte wieder und wieder zum Sprechen an und bin ja doch bereits daran gescheitert. Wie viele Male das noch vorkommen wird. Wie viele Male das noch möglich ist und wie viele Zeitformen ich gebraucht haben werde, ehe dies vorbei gewesen sein wird. Eine Gewalttat kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, eine großräumige Fahndung wurde eingeleitet. Man sagte, ich sei ein glückliches Kind gewesen, und dass es an nichts fehlte, dass es mir an nichts fehlte, dass mir die nötige Liebe und Zuwendung gegeben, geschenkt wurde, in höchstem Maße, aus freien Stücken. Stück für Stück, Tag für Tag, Schlag um Schlag, ein Leben von der Hand im Mund, und in jedem Ohr ein Dutzend guter Ratschläge. Um Mithilfe wird weiterhin dringend gebeten. Ich kann Hilfe schreien, Hilfe holen, weglaufen. Ich soll mich immer in Gesellschaft befinden und über meine Umgebung wachen. Ich muss artig sein. Meine Angst kann Leben retten. Ich soll nicht mit Fremden sprechen. Fremd sind alle Menschen, die meine Eltern nicht kennen. Fremd sind alle Menschen, die nur den Namen meiner Eltern kennen. Ich kann erzählen, wenn mir etwas auffällt, ich etwas erlebe oder mich jemand anspricht. Ich muss still sein. Ich bestimme über mich. Ich darf keine Geschenke annehmen. Ich muss meine Wege bestimmt gehen und endlich lernen, eigene Entscheidungen zu treffen. Ich weiß, wo ich meine Freunde treffe. Ich kann jeden zulässigen Ort meiner Wahl betreten, wieder verlassen oder dort verbleiben. Ich darf mich frei entfalten, muss aber rechtzeitig wieder zuhause sein. Keine Ausflüchte oder Ablenkungen, keine Spielereien mehr. Ich soll nicht fluchen. Ich darf nicht quengeln. Ich muss ins Bett, und zwar sofort. Ich habe das Recht auf Unversehrtheit. Ich habe allen Grund dazu, dafür, darauf, dagegen. Ich habe meine Gründe. An mir besteht kein Eigentum. Ich kann mich willkürlich verfügen, benützen, vertilgen, ganz oder zum Teil auf andere übertragen, oder unbedingt mich derselben begeben, das heißt, mich verlassen. Ich muss mich auf mich selbst verlassen, auf mich acht geben, und ein Wort wie Ja, Nein, Vielleicht, Halt, Aus und Stop lernen oder nie wieder in den Mund nehmen. Ich darf nicht lügen, nicht stehlen, keine Schwäche zeigen. Meine Freiheit ist unverletzlich. In etwaigen Verdachtsfällen kontaktieren Sie die zuständigen Behörden. Ich soll mir keine Hoffnungen machen. Es ist alles in bester Ordnung. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Solange die Ermittlungen nichts anderes ergeben, wird vorsichtshalber von einer Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit ausgegangen. Aber bitte, seien Sie vorsichtig, niemand möchte, dass etwas zu Bruch geht, in die Bruche geht, Scherben gibt es genug und trotzdem noch kein Glück. Mit einem der Splitter ritzte ich in meine Unterarme, einen Schnitt pro Tag, und bereits nach wenigen Wochen, oder was dafür zu halten war, gab es keine Stelle mehr, die auf ein Morgen schließen ließ. Es ließ sich nur auf anderes schließen, immer und immer wieder, bis das, wohin man schlussendlich zu kommen glaubte, sich als Trugschluss zu erkennen gab. Wie vielen falschen Fährten ich dabei zu folgen versuchte. Wie viele Äste ich und andere zwischen meine Schritte warfen. Versuchen Sie bitte nicht einzugreifen, mich aufzuhalten, ich sehe keinen Sinn und keinen anderen Weg mehr, bin blind für weiteres geworden, nach und nach, ja, blind und taub und stumm. Man hatte es früher bemerken können. Man hatte präventive Maßnahmen ergreifen und ansetzen sollen, wollen, können, müssen, noch vor Auftreten einer Störung, so dass aus einer zeitweiligen Krise kein dauerhaftes Fehlverhalten entstünde. Man hatte jegliches Fehlen, jegliche Auffälligkeit, jegliches nicht in die erwartete Messreihe passende, frühzeitig erkennen und begreifen müssen. Ich, ich griff zurück, voraus, ins Volle, ins Leere; von langer Hand geplant wollte ich eigene Entscheidungen treffen, wollte Bruchlinien, Risse und keine Grenzen mehr, nicht meine und nicht eigene. Ich wollte alle Grenzen offen, öffnen, sprengen, mich darüber hinwegsetzen. Ich wollte die Unregelmäßigkeit in vollen Zügen ausschöpfen, wollte etwas bestimmen, etwas bestimmtes, wollte meiner Stimme Gehör verschaffen. Ich wollte meine Stimme hören, wenn sie sich absetzt oder entfernt von den Streuungsbereichen um Erwartungswerte, in denen meist alles zum erliegen kommt. Ich wollte, ja, will aber, will aber, will doch nur meine Arme, meine Beine strecken, meine Finger spreizen, um etwas mehr zu sehen, nicht nur durch sie hindurch. Ich will mich bloß bücken strecken, rundum drehn, viermal klatschen, stampfen, stehn. Nur das. Nicht sonst. Keine Tellerränder mehr und noch lange kein Blick in den Tunnel. Es gab Momente, in denen geglaubt werden konnte, was gesagt oder gedacht wurde. Es gab Stunden, in denen alles überworfen werden musste, man sich selbst überwarf, mit sich; sich selbst verwarf, weit weg, in hohen Bögen, über die Hauser, Berge, Taler; zu werfen und zu wandern, von der einen Hand zur andern. Tage und Nächte näherten sich, glichen sich an, wechselten die Plätze in unregelmäßigen, doch stetigen Abstanden und berührten sich in ihrer Gegensätzlichkeit. Ich erkannte die Gegensätze und ihre Verbindlichkeiten, erkannte die Verbindungen der Gegensätze, ihre Berührungspunkte, Näheverhältnisse und Distanzierungsmomente. Ich wollte mich im Gegensatz haben, und wollte den Gegensatz als Teil des Auswegs erkennen. Ich wollte mich darin erkennen. Im Öffnen meines Zimmerfensters verband sich ein Innen und Außen, in das ich stieg und auch passte; mich passend empfand, in dem ich mich ein- und zurechtfand, oder aber mich eigentlich erst zu finden versuchte. Es war, als erführe ich eine Natur außerhalb von mir, als spürte ich mich zwischen und im Unterschied zu den Dingen, zu den Orten, als würde ich mich vergegenständlichen, vergegenwärtigen, mich ganz selbstverständlich mit nur wenigen persönlichen Gegenständen aufmachen, hinaus, ins Freie, ins Aus. Ich setzte mich bedingungslos den gegebenen Normen und Gesetzen, den verschiedensten Faktoren aus. Ich wurde den charakteristischen Vorkommnissen und Bedingungen in bestimmten geographischen und klimatischen Regionen aus- und vorgesetzt. Das Land vor mir präsentierte und erstreckte sich; es streckte und weitete, ja, weidete sich aus, wurde größer und weiter, ein Strecken, ein Zerren der Ebenen und Flächen. Ich vernähte den Himmel mit dem Straßenstück vor dem Haus. Alles schien erreichbar. Alles schien ergriffen, vereinnahmt, zweckentfremdet, unter die Fittiche genommen, oder aber aus dem Gedächtnis gestrichen. Irgendwann musste man das Vergessen schließlich auch gelernt haben, irgendwann musste auch das Vergessen eingesetzt haben, denn ein andermal würde es zu spät dafür sein. Ein andermal würde es zu spät dafür gewesen sein. Bisher wurden 125 Zeugen einvernommen und 247 Hinweise aus der Bevölkerung bearbeitet. Ein Ende ist derzeit nicht in Sicht, auch wenn man vermeintlich darauf zusteuert, tastend näher zu kommen scheint, oder den Standpunkt wechselt. Irgendwie wird auch das Vorbei gehen, weitergereicht und zu den Akten gelegt werden. Irgendwie wird auch das überstanden werden können, irgendwie, irgendwo zwischen Fakt und Fiktion, alles andere ist nur Ornament, Anekdote, Lückenfüller. In dieses Dazwischen, diesen Graubereich einen Fuß stellen und Türen offenhalten. Es ist noch nichts gesagt, keine endgültige Aussage getroffen; es ist schließlich noch nichts entschieden, bevor nicht jede Meinung gehört, jede Perspektive für sich betrachtet wurde. Jede Aussage soll zuerst gewertet werden. Jede einzelne Position muss zuerst ausgewertet werden, ja, jeder einzelne Hinweis muss in die Bewertung mit einfließen, denn jede Stimme zählt, zählt sich aus, ene, mene, muh, und raus bin ich, raus bin ich noch lange nicht, muss erst sagen, was geschehen ist. Ein Geschehen und Erlebnis. Ein Ereignis und Abenteuer. Spiel und Spaß und Spannung. Alles in Einem. Fast alles auf einmal. Alles was interessiert, ja, faszinierend zu sein verspricht. Alles, bei dem der Ausgang noch zu überraschen, zu schockieren vermag. Alles, und noch so vieles mehr. Alles auf Anfang ohne Gang über Los. Alles zu Ende, worüber man dann besser doch nichts wissen möchte. Ach, wie gut dass niemand weiß. Ach, wie gut dass niemand wusste, von den paar Leerstellen, die vielleicht noch bleiben werden. Nur ich, ich weiß etwas. Ich weiß etwas, was ihr nicht wisst und das ist – dunkel, dunkler, ganz, ganz schwarz. Leerstellen, die noch übrigbleiben. Löcher, die noch zu stopfen sind. Geheimnisse, die noch übrigbleiben müssen. Zumindest jetzt. Ein letztes Geheimnis, das schlussendlich doch gewahrt werden muss, für alle Zeit verheimlicht. Zumindest für immer. Ein letztes Geheimnis, das noch über die Absicht zu verheimlichen, zu lügen oder zu verleugnen verheimlicht werden will, auch wenn das Land und Grab weit offen steht. Zumindest auf ewig. Ich habe nichts weiter dazu zu sagen. Kein Kommentar. Das Recht auf ein Geheimnis muss bewahrt werden, wiewohl ich vor Wissbegierde brenne, wiewohl ich vor Begierde darauf brenne, wissen zu lassen und das zu archivieren, was für alle Zeit verschwiegen werden muss. Mein Schweigen darüber aber wird trotzdem niemals gebrochen, werde ich niemals brechen. Bei womöglich auftretenden Fragen steht Ihnen die Notrufnummer Eins Eins Null ohnehin jederzeit kostenlos zur Verfügung. Bei etwaigen anderen Belangen wird man Ihnen sowieso mit Rat und Tat zur Seite stehen. In der Zwischenzeit werde ich meine Ausflüchte bereits erfunden, meinen Willen artikuliert und eine Erklärung abgeben haben, die mir Freiräume schafft. Ich werde mir ein bisschen Luft verschaffen. Ich werde es schaffen oder zumindest den Versuch gewagt haben. Einatmen. Ausatmen. Dosieren und abwägen. Auf die Waagschale legen. Ein paar Atemzüge oder doch noch viele mehr. So viele wie nötig. Einatmen. So viele wie möglich. Ausatmen. Ich werde alles daran setzen. Bisher sei man noch zu keinem Ergebnis gekommen, doch greift man mittlerweile nach jedem Strohhalm, um ein Zeichen auszumachen, das zu deuten wäre. Voreilige Schlüsse sollen dabei nicht gezogen werden, und man schrecke davor zurück, das Schlimmste beim Namen zu nennen, denn die Frage der Benennung ist keine Frage der Vergangenheit. Es ist die Frage von Zukunft, die Frage der Zukunft selbst, die Frage einer Antwort, eines Versprechens und des Vertrauens auf ein Morgen, das zu klären sein wird. Ein Morgen, das aufklären, das aufzuklären sein wird. Ein andermal vielleicht. Erst künftig wird man wissen können, was mein Name bedeutet haben wird. Erst in zukünftigen Zeiten wird jeder wissen können, wie mein Name gelautet haben wird. Nicht morgen, sondern irgendwann einmal, vor langer, langer Zeit, sogleich oder vielleicht doch niemals. Ganz bestimmt irgendwie, irgendwo, irgendwann. Ein Andermal. Ja, sicherlich dann, denn es ist ein großes Versprechen an eben diese Zukunft. Eine große Zukunft kann nur leider nicht mit Sicherheit versprochen oder gar vorausgesagt werden. Niemals, nie. Auf keinen und in jedem Fall. Bisherige Zeugenaussagen erbrachten indes noch nicht den entscheidenden Hinweis. Ein eindeutiger Tatbestand ist momentan noch nicht gegeben, aber das soll nichts heißen. Es soll vor allem nicht heißen, dass alle vorherigen Bemühungen vergebens waren, und auch nicht, das alles vergessen oder vergeben sei. Wirklich nicht, doch sollte man auf jeden Fall gespannt sein. Man sollte auf jeden möglichen Fall gefasst sein. Zuerst muss und mochte man auf alle Fälle auf Nummer sicher gehen, um jedweden Zweifeln auszuräumen. Dabei sind die ersten Stunden stets entscheidend. Zu aller erst sollte man sich jedoch auf das Wesentliche konzentrieren. Bei Vorliegen bestimmter Gegebenheiten ist schließlich auch immer vom Vorliegen weiterer Gegebenheiten auszugehen. Jede Vermutung führt zu mehr Vermutungen und diesen ist auch ohne dringenden Verdacht nachzugehen. Zuerst Handeln und erst dann Warten. Abwarten, auch wenn es für die Aufnahme der Anzeige keine Wartezeit gibt. Eine Anzeige muss erstattet werden, auch wenn die Rückerstattung nicht gewährleistet werden kann. Zuerst Taten und dann Hoffen. Lassen Sie sich helfen, auch wenn bereits zu diesem Zeitpunkt die bitterste Wahrheit eingestanden und das Offensichtlichste nur mit insgeheimen Zweifeln genährt werden kann. Sprechen Sie offen über die Dinge. Sprechen Sie über die Dinge wie sie sind und nennen Sie sie endlich bei ihrem eigentlichen Namen. Baum. Haus. Garten. Zaun. Lücke. Blut und Spur. Dann gibt es nichts mehr zu verlieren. Zumindest nicht mehr. Nicht mehr als das. Ich werde dann vielleicht auch endlich auffindbar, oder zumindest dorthin kommen, gänzlich verloren zu sein. Irgendwann werde auch ich mein Ziel erreicht haben. Endgültig. Bisher habe ich immer nur gegen irgendjemand anderen verlieren können, auch wenn dabei sein alles, die Teilnahme entscheidend und der Weg das Ziel ist. Bisher ließ sich doch nie wirklich über Gewinner und Verlierer entscheiden. Bis hierher konnte ich dies und mich selbst leider noch immer nicht verlieren, erreichen oder einholen. Nun oder noch kann ich es nicht. Noch nicht. Nicht jetzt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Womöglich würde es mich ja doch nur am Eigentlichen vorbeiführen, weit davon entfernt im entscheidenden Augenblick die nötigen Schritte eingeleitet zu haben, laut Nein zu sagen und nach Hause zu laufen. Einen sicheren Hafen anzusteuern. Heimzukehren. Mich einem Ort zu nähern, an den nicht mehr zu glauben, oder der längst nicht mehr zu erinnern sein wird. Als es ein Wort wie zuhause noch gab, versteckte ich mich manchmal unter meinem Bett, in der Hoffnung, die aufziehenden Wolken würden sich auch ohne mein Zutun lichten. Meist schlug die Hoffnung fehl und selbst das Dach über meinem Kopf hielt den Wolkenbruch nicht ab, sich über mir zu entladen. Donner, Wind, es war so finster, Frost und Blitz, und auch so bitter kalt. Und dann schließlich, Potzblitz, Sturm und Regen, Tropfen um Tropfen, bis selbst jemand wie ich begriffen haben musste, was es heißt, nass zu werden. Bis auch ich endlich gelernt haben würde, still zu sein, den Kopf einzuziehen und darauf zu warten, dass sich das Unwetter legte oder verzog. Wohin auch immer. Wie fern auch immer. Wie fern das nun schon bereits sein muss. Wie fern mir das schon alles ist. Alles, was dann und dann und dann geschah. Alles, was dann und dann und dann geschieht, geschehen musste. Zwangsläufig. In Abfolge der Zeitformen. In kontinuierlichem Verlauf einer Erzählung und in etlichen Fragmenten einer Chronologie der Ereignisse. Ich weiß nur nicht, wann sich zuletzt etwas ereignet haben soll. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt etwas erlebt haben werde. Ein Erleben unter anderem. Ein Leben unter anderen. Ich wurde geboren, ich lachte und weinte, ich wachte und träumte, ich ging, schlief und starb. So in etwa vielleicht, auch wenn ich mir noch nicht sicher bin, in welcher Reihenfolge diese Erfahrungen in der Wirklichkeit erscheinen werden. So oder so ähnlich vielleicht, auch wenn das Ende so nicht zu erfahren sein wird. Es ist anzunehmen, dass man das Geheimnis, das sich darum rankt, doch erfahren werden wird. Es wird schlussendlich doch erfahrbar sein werden. Schlussendlich wird es doch erfahrbar sein müssen. Aus empirischen Studien wusste man, dass die Zeit der eigentlich größte Feind sei. Trotzdem dieser Faktor in vielen Fällen als potenzieller Indikator für das Wohlergehen angeführt wird, tauchen manche dennoch nicht wieder auf. Während sich einige Fälle bereits innerhalb der ersten Woche erledigen, belegen Statistiken den Verdacht, dass es bei mehrmaliger Wiederholung zum endgültigen Untertauchen kommen kann. Offizielle Zahlen gibt es dafür nicht, doch geht man davon aus, dass eine Rückkehr bereits ab einer bestimmten Tiefe immer schwieriger wird. Soviel steht fest. Ab einer gewissen Tiefe wird beim statuierenden Eintreten des Körpers in diesen Zustand Luftholen bereits vollkommen unmöglich. Das ist bewiesen. Lassen Sie Ihre Kinder deshalb unter keinen Umständen unbeaufsichtigt. Interessieren Sie sich dafür, was diese tun, wo sie sind, wie es ihnen geht. Fühlen Sie sich zuständig. Machen Sie sie mit der Umgebung vertraut. Lernen Sie zu vertrauen. Grenzen Sie Ihr Vertrauen jedoch auf ein Mindestmaß ein. Zeigen Sie die Grenzen klar auf und erklären Sie den Unterschied zwischen Gut und Böse. Ziehen Sie klare Linien. Geben Sie Orientierung. Lassen Sie ihre Kinder nur mit Nichtfarben malen. Alles weitere auf eigene Gefahr. Bereiten Sie sie auf die grausame doch banale Realität vor, wenn nötig auch mit tatsächlichen Grausamkeiten. Untermauern Sie ihre Worte stets mit handhabbaren Taten. Zögern Sie nicht. Heißen Sie es still. Lassen Sie den Taten weitere Taten folgen. Heißen Sie es artig sein. Um nicht zum Stillstand zu gelangen, rufen Sie, wenn möglich, durch jede Aktion eine aktive Folge hervor. Heißen Sie es Maul-Korb-Kind. Alles Andere ohne Gewähr. Jede Handlung muss eine Folgehandlung auslösen, bis selbst Handgreiflichkeiten notwendig erscheinen. Alles Folgende wird sich später dann von selbst weisen und zu entdecken sein. Es kann aber nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob wirklich etwas zu entdecken sein wird. Gehen Sie daher bitte kein unnötiges Risiko ein, auch wenn sich wirklich etwas aufdeckt oder Ungewöhnliches zu sehen sein wird. Die Vermeidung eines Ereignisses mit der Möglichkeit negativer Auswirkung ist stets vorrangig. Das höchste Ziel ist es, von der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und dessen Konsequenz, bezogen auf die Abweichung von gesteckten Zielen, abzusehen. Des weiteren ist jedwede Situation, in der bei ungehindertem, nicht beeinflussbarem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem erwarteten Schaden führt, zu unterlassen. Spielen Sie also nicht den Helden. Gehen Sie nicht über Los. Bewahren Sie Ihre Kinder stets bei sich, um nicht das Risiko zu laufen, sie zu vergessen oder irgendwo liegenzulassen. Bei Risiken und unerwünschten Nebenwirkungen hinterlassen Sie bitte eine Nachricht am Ausgang. Lehnen Sie sich dabei jedoch nicht zu weit raus. Greifen Sie noch nicht zu weit vor. Sofern bisher keine Nachrichten darüber vorliegen, was eigentlich geschehen ist, können auch bloße Vermutungen geäußert werden. Setzen Sie dabei stets alles auf eine Karte. Setzen Sie alle möglichen Kräfte in Bewegung. Den Versuch ist es wert. Gehen Sie immer aufs Ganze. Keine halben Sachen. Ihre Äußerung über das, was möglicherweise geschehen ist, könnte den Verlauf der Geschichte drastisch beeinflussen, wenn nicht gar verändern. Ihre Äußerung über das, was möglicherweise passiert ist, könnte die Tendenz zur Emanzipierung und Verselbstständigung eventuell sogar bezeugen. Werden Sie Zeuge. Bezeugen Sie mit Auge und Ohr und entscheiden Sie sich noch heute für oder wider Leben und Leib. Nutzen Sie diese einmalige Gelegenheit. Ein einzelner Tropfen kann den meist schon lange schwelende Konflikt zum Überlaufen bringen. Die Hemmschwelle, eine Entscheidung zu treffen, und der damit einhergehende innere Konflikt werden dann auch überwunden werden können. Machen Sie sich gefasst. Überwinden Sie sich. Ich werde nicht anders können, als mich ebenso darauf vorzubereiten. Ich werde bereit sein und es am Ende darauf ankommen lassen. Ich werde meine Zeit davon abhängig und mir ein eigenes Bild gemacht haben. Haben müssen. Zuerst will ich jedoch noch jeden Tropfen gezählt haben, um es dann zu einem großen Ganzen fügen zu können. Wenn es überstanden sein wird, werde ich mich zwangsweise auch den Anordnungen fügen. Unter Drohung und Zwang werde ich mich dazu bekennen. Ansonsten verbiete ich mir jedoch jedwede fremdbestimmte, wie auch jede Fügung und jeden weiteren Eingriff seitens des Schicksals. Halten Sie sich erst einmal raus. Geben Sie noch nicht zu viel preis. Mehrere Zeugen gaben an, in dem Gebiet einen Schrei gehört zu haben, woraufhin die Fahndung intensiviert und das Gelände mit einem Großaufgebot durchsucht wurde. Wem das noch wirklich nutzen mag. Spürhunde, Hubschrauber mit Wärmebildkameras und weiterem technischem Gerät kamen wahrend der Nacht bereits zum Einsatz. Ich glaube kaum, dass das noch etwas bringen soll. Der Mitteilungsdrang von Hellsehern und sogenannten Pendlern hält unterdessen unvermindert an, und eine Beamtengruppe erklärte sich bereit, parapsychologischen Spuren zu folgen und an den Zufall zu glauben. Wem das überhaupt jemals helfen können wird. Bisher setzte weder eine Erleichterung ein, noch naive Gewissheit oder blindes Vertrauen. Einst, an einem fröhlicheren Tag hatte auch ich mich blind meinen Instinkten anvertraut. In leichteren Stunden oder ein andermal hatte ich mich mit geschlossenen Augen stets der Nase nach geheißen, bis selbst das mit Nachsicht zu genießen war. Seitdem weiß ich, dass Vorsicht gewaltet lassen werden muss, um nicht an Grenzen zu stoßen. Sowohl an die eigenen als auch an fremde. Um nicht vollends gegen Mauern zu laufen, müssen eins, zwei, drei im Sauseschritt, stets alle, alle Schranken eingehalten werden. Sowohl die vorgegebenen und starren, als auch die erforderten und zeitlich begrenzten. Die erforderlichen Ortskenntnisse, so hieß es, seien bei schlecht zugänglichem Terrain jedoch weiterhin keineswegs verzichtbar. Mangelnde Details und das Fehlen einer genauen Lageberichterstattung würden die Unterscheidung zwischen Hell- und Dunkelfeld zusätzlich erschweren. Das Verhältnis zwischen der Zahl der statistisch ausgewiesenen und der wirklichen Handlungen würde die Ungenauigkeiten einzig weiterhin vermehren. Basierend auf der Erhebung empirischer Daten durch repräsentative Befragungen sieht man sich deshalb zum gegebenen Zeitpunkt nur in der Lage, in gewissem Rahmen die variable Relation von Hell zu Dunkel unter der Hand abzuschätzen. Aus diesem Grund wage man sich kaum aus der Dunkelziffer zu treten, geschweige denn über so etwas wie Licht zu sprechen. Viel eher halte ich mich da noch an meine Instinkte. Viele eher hält man sich dann an intuitive Angaben oder Bewertungen von messbaren und zählbaren Großen. Eine exakte Aufzählung, -klärung und Erhellung ist somit leider nicht möglich. Derzeitige Chancen könne man sich aber wohl ohnehin bereits an fünf Fingern abzählen, und unterdessen wolle man sich lieber besinnen und an das Gute im Menschen appellieren. Solange kein Ende abzusehen ist, ruft man dann lieber nachdrücklich die Vernunft und das wachsame Auge der Bevölkerung an. Ansonsten will man bisherige Erfolge in Erinnerung rufen, wenn schon nicht daran angeknüpft werden kann. Anknüpfungs- und Bezugspunkte würden einerseits zwar das Interesse erhalten, aber man müsse zuallererst das mediale Gedächtnis aufrechterhalten, ja, die kollektive Erinnerung muss möglichst lange und mit Nachdruck wach gehalten werden. Man müsse wachgerüttelt werden. Man muss aus der eigenen Ruhelage gelenkt werden und auf Dauer hin und her schwingen. Vor und zurück. Ohne Unterlass. Das ist die oberste Maxime.

 

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