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Autorenbuch Dirk Werner Tiefkühlvogel – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Dirk Werner

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Tiefkühlvogel


Nehmen Sie doch die big boss II , springt ihm einer seiner Kollegen bei, der für einen Moment doch sein Verkäuferherz wieder findet. Im Nadelstreifendesign.
Wie bitte, frage ich.
Außen ist die Kühltruhe grau – mit Nadelstreifen.
Schon recht, sage ich. Hauptsache, es passt ein Pinguin hinein. – Aber nein, das sage ich natürlich nicht.
Die Sache ist nämlich die. Mein Bengel, der Schlingel, hat einen Pinguin geklaut. Einen richtigen, im Zoo. Ich hätte es ahnen müssen, dass er wieder irgendetwas anstellt, als er morgens statt der Schultasche meinen alten Armeerucksack nahm.
Heute Mittag wollte er nicht gleich heraus rücken, was drin ist. Bis er uns schließlich den Pinguin zeigte. Der war vor Schreck schon ziemlich hinüber, ließ den Kopf hängen und so. Zurück in den Zoo bringen? Ging nicht. Was hätte ich sagen sollen? Entschuldigen Sie, Herr Direktor, mein Sohn hat hier Ihren Pinguin geklaut, und ich glaube, der klappert nicht mehr lange mit dem Schnabel? Ging nicht. Wie gesagt, es stand schlimm um den Vogel. Ich weiß gar nicht, ob ein Pinguin ein Vogel ist. Noch weniger wusste ich, wie man bei so einem Tier erste Hilfe leistet. Oder wissen Sie das? Na, und dann starb er. Mein Sohn, Till, war sehr traurig, hatte das Tier fast schon ins Herz geschlossen. Sei nicht traurig, sagte ich zu ihm, ich kauf dir einen Wellensittich.
Was aber mit dem toten Pinguin anfangen? In die Mülltonne? In die Biotonne? Da hatte ich die rettende Idee.

Um meine Idee zu verstehen, muss ich Ihnen folgendes erklären. Meine Frau und ich, mein Sohn eigentlich weniger, wir haben einen kleinen Garten. Die Oma, die Mutter meiner Frau, die bei uns wohnt, nehmen wir mit in den Garten. Unser Garten zählt zu einer Kolonie, die alljährlich den schönsten Garten kürt. So weit so gut. Aber auf merkwürdige Art und Weise bestimmt der Vorsitzende von allen Kleingärtnern das Motto des alljährlichen Wettbewerbs. Im letzten Jahr lautete es zum Beispiel: „Deutschland – der echt größte Freizeitpark “.
Ich weiß nicht, was der immer mit seinem echt hat.
Eigentlich besteht unser Garten nur aus einem Flecken Rasen mit einem Zaun drumrum. Wenn der Zaun nicht wäre, würde ich ihn lieben. Aber Zaun ist Pflicht. – Wir wollten den Wettbewerb unbedingt gewinnen, wir brauchten das Geld, die Siegprämie. Mein Sohn, der Till, hatte irgendwo eine wunderschöne Palme geklaut, fragen Sie mich nicht, wo. Die haben wir dann in unserem Garten aufgestellt. Daneben, auf einem Sockel, eine Büste von Helmut Kohl. Nicht nur die Weste und das Hemd waren weiß, alles war weiß. Weißer Marmor. Beziehungsweise Gips, den ich so hergerichtet hatte. Wir haben den Wettbewerb gewonnen.
In diesem Jahr lautet das Motto des Wettbewerbs – Sie kommen garantiert nicht drauf: „Deutschland – ein echtes Einwanderungsland “. – Nicht: „Deutschland – ein echtes Einwanderungsland, echt “? fragte ich den Vorsitzenden. Er hat mich nur verständnislos angesehen. Zum Glück ist er nicht in der Jury. Er gehört dafür einer der beiden großen Volksparteien an. Manchmal habe ich sogar den Verdacht, er ist in beiden Volksparteien.
Also, die big boss II , sage ich, aber wie komme ich daran? – Gehen Sie um das Kaufhaus herum, kommen Sie durch den Hintereingang herein, sagt der etwa Vierzigjährige müde.
Und während ich also um das riesige, geisterhaft stille Kaufhaus laufe, denke ich noch einmal über die Idee nach, die mir gekommen ist.

(Aus: FAUNA FANS FANATIKER. Geschichten aus dem Hinterland des Fortschritts
Mit freundlicher Genehmigung der Almanach Edition München)

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