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Autorenbuch Dirk Werner Maskenball – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Dirk Werner

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Maskenball


I

Mein Gesicht bleibt im Spiegel hängen. Ich spüre deutlich, dass es dort bleibt, denn im Fortgehen fühle ich mich anders an.
Der Beweis: Ich kann es nur sehen, wenn ich wieder zurück kehre und in den Spiegel sehe.
Ja, da ist es. Es hat auf mich gewartet.


II

Sonntags verkaufte meine Großmutter  Kuchen bei Dellwal. Manchmal auch unter der Woche, aber meistens Sonntagnachmittag. Bei Dellwal floss honiggelbes Licht von der Decke und von den Wänden. Die Tischdecken waren weiß, die Stühle gepolstert. Das einzige Cafe in der Stadt.

Hinter den Kuchen und Torten schwebte das kleine Gesicht meiner Großmutter. Die Augen waren dunkelbraun, ihre Wangen stets gerötet. Über Dellwals Leckereien, den cremigen, nussigen, gestreuselten, gepuderten, glasierten boten ihre Bäckchen den vollkommensten Anblick. Wenn sie lächelte, ging jedem das Herz auf. Jedem, der gekommen war, Süßes zu suchen.

Wir trauten uns nur selten herein, nur kurz, um etwas zu fragen oder auszurichten. Schwupp, waren wir wieder draußen. Ein kalter Nordost fegte die Straße. Mein Bruder ging schon, ich wärmte mich durch die Scheibe an den roten Großmutterbäckchen.


III

Fotografiere mich nicht, sagte sie. Heute nicht.
Ich sah sie überrascht an. Sie sah verdammt gut aus, verdammt gut. Und heute besonders. Kein Gesicht für die Illustrierte.

Ihre Augen verdunkelten sich.
Wenn sie verliebt war, sagte sie, waren sie grün.
Sie sah aus dem Fenster.

Und sag das nicht. Nicht, dass ich schön aussehe.
Ich drehte die Tasse in meinen Händen und schwieg.

Das hat mein Vater auch immer gesagt. Wie schön er uns findet. Meine Schwester und mich.


IV

Als meine Mutter starb, sah ihr Gesicht noch kleiner aus als das meiner Großmutter. Ihr Kopf versank in einem viel zu großen Kissen, und sie schien sich nach innen zu wenden, nicht abzuwenden, nach innen, einem großen Schmerz nach. Ihr Gesicht veränderte sich nicht, als sie starb, nur der Brustkorb holte nach langen Sekunden nicht mehr aus.


V

Wann wächst aus unserem Gesicht die Maske, die wir tragen? Mit 13, 14 bei den Jungen? – Bei den Mädchen weiß ich es gar nicht zu sagen, wann das Wachstum der Maske einsetzt, und ob sie von außen nach innen wächst, oder von innen nach außen.

Manchen Menschen, denke ich, wächst die Maske ganz zu. Bei manchem sieht man nie wieder das Gesicht dahinter, nicht beim genauesten Hinsehen und nicht nach gespiegelten Sekundenminuten.


VI

Das wichtigste an meiner Maske scheinen mir die Sehschlitze.


VII

Die Welt, in der meine Großmutter lebte, muss eine andere gewesen sein als die meines Großvaters. Nicht nur, weil er nie zu Dellwal ging, sondern sonntags zum Frühschoppen, so dass er nachmittags schlief. Sie sahen in die Welt aus völlig verschiedenen Höhen, Perspektiven, er von zweieinhalb Köpfen höher als sie, und sie aus einer Höhe knapp über Dellwals Kuchenbuffet.

Wenn wir vom Bahnhof kommend über den Hügel stiegen, sahen uns beide aus dem Küchenfenster entgegen – er durch die Scheibe ganz oben rechts und sie durch die ganz unten links, und beide Gesichter waren mehrfach voneinander getrennt durch die Sprossen des Fensters.


VIII

Nein, sag das nicht, sag das nicht, sagte sie. Dass ich schön aussehe.
Weil es so wenig sagt?
Nicht deshalb. Sie zögerte. Mein Vater sagte es immer.

Er liebte sie mehr als ein Vater.

IX

Wenn ich sagen sollte, welches von den Dingen, die meine Muter zurück ließ, ich hätte haben wollen: ihre Brille. Die starke Brille war Teil ihres Gesichts, Teil meiner Mutter, so lange ich denken kann.

 
X

In anderen Zeiten trüge ich ein anderes Gesicht.


XI

Selbst in der Erinnerung verwirrt es mich noch, den dreiflügeligen Spiegel im Schlafzimmer meiner Großeltern aufzuklappen. Denn man klappte ja mit einem Flügel ein anderes Zimmer auf, und mit dem nächsten noch ein drittes, fremd-ähnlich den vorigen beiden.

Das Schwenken der Spiegelflügel schuf und verschob Räume.

Sogar meine Urgroßmutter bewegte sich, die doch lange vorher gestorben war. Ihr Foto, sonst fest an der Wand, huschte lächelnd über die Spiegelflächen, und ich sah ihr nach.

Grüß dich, Uroma.

Noch verwirrender aber waren die Ansichten des eigenen Kopfes. Ich, ich und ich. Plötzlich lebte ich mehrfach.
Deshalb das geheimnisvolle Lächeln meiner Urgroßmutter.

Später erfuhr ich beim Schreiben, dass es wie der Spiegel das eigene Leben multipliziert.

XII

Das Gesicht ist die Innenseite der Maske.


XIII

Du, kann ich dich fotografieren. Ich mache Fotos und Fotomontagen.
Sie musste lachen.
Ja.

So hatten wir uns kennen gelernt. Und später tat es mir Leid, dass immer dieses Ding zwischen uns war, dieser Apparat, der sein Objektiv vorschob wie eine dicke Nase, der allesalles sah, als hätte er Augen.
Der Geräusche machte wie aus einem geschlossenen Mund.

Ich hatte es von Anfang an gewusst: dass ich sie hatte kennen lernen wollen ohne ihn, ohne meine Maske.

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