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Autorenbuch Fiston Mwanza Mujila Die Nacht … – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Fiston Mwanza Mujila

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Die Nacht …


1.
Herrjemine! Sarkastische Bemerkungen, dazwischen
Reifenquietschen, dazwischen Gewehrsalven, dazwischen
Trommelwirbel, dazwischen Jubelrufe zeugten vom Ausmaß des
Freudenfestes. Der Marktflecken glich Rimbauds „Trunkenem
Schiff“, fanden einige. Auf der großen Place Flambeau
durchschnitten die schiefen Klänge eines Saxophons die Nacht.
Merkwürdige Nacht! Voll bis zur Hutkrempe torkelte ein Mann um
die Sechzig in eine Pfütze. Eine Horde Jugendlicher balgte
sich um die sterbliche Hülle einer Fledermaus. Ein Schwächling
verspeiste zum Abend eine Portion Hanf mit Wodka. Ein Pudel,
dünn wie ein Samenfaden, bellte, dass ihm die Stimmbänder zu
reißen drohten. Eine Soldateska raubte, Maschinenpistolen im
Anschlag, eine arme Frau aus. Mit verdecktem Phallus war ein
Alter drauf und dran, sein Verlangen über ein Mädchen
auszugießen. Ein Betrunkener mit dem Gesicht eines
Pithecanthropus erectus lag ausgestreckt auf der nackten Erde.
Entsetzensschreie, der Grund: ein Paar Brüste, ein beglichener
Streit zwischen der achten und der zwölften Straße. Zwei
Straßenjungen aßen gierig einen Teller gerösteten Mais mit
Wildpilzen. Daneben hielt ein Bettler mit knurrendem Magen
seine Siesta. Ein Geistesgestörter rezitierte mit der Stimme
eines Psittacus erithacus Vergil. Das Stöhnen einer liegenden
Frau. Eine andere warf die Überreste eines verpfuschten Fötus
von oben auf die Straße. Das Tanzlokal „Verpiss dich ….!“ mit
seinen siebenundsiebzig Nutten, seinen akkreditierten
Betrunkenen, seinen schwarzen Zigaretten, seinen
Spielautomaten … Herrjemine!

2
19 Uhr 43 … 20 Uhr 10 … 20 Uhr 22 … 21 Uhr 18 … 22 Uhr 36,
nichts, bis auf das groteske Gebell eines jener Propheten, die
einem mit der Kunde in den Ohren liegen, dass Christus, eben
jener Jesus Christus, den wir nunmehr seit wer weiß wie vielen
Jahren erwarten, in Harare lebte, und dass Josef, sein Vater,
aus Mbanza Ngungu oder Rio de Janeiro stammte …

3
Im Schweiße deiner Brüste sollst du dich ernähren, lautete das
elfte Gebot … „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns
armen Sünder, jetzt und in der Stunde unserer …“ Seit sie
erfahren hatte, dass ihr Trambahn-Körper energetisch genauso
produktiv war wie ein Atomkraftwerk, ließ sie sich nicht mehr
auf amouröse Verabredungen ein, diese scheinheiligen
Scheißverabredungen, wo es ums Blaue vom Himmel ging, reine
Äußerungen eines Skrupels …





4
… In der Nähe der Pfarrei zur Heiligen Maria drückte sich ein
Geschöpf herum. Die bauschige Haartracht, der
Schlafzimmerblick, die halbnackten Brüste, die Pumps und der
Ausschnitt mit den verheißungsvollen Rundungen verliehen dem
geschmeidigen Katzengang etwas Göttliches. Keine Ahnung, wie
lange sie schon da war und sich langweilte, auf wer weiß
welchen Helden wartete. Sie führte Selbstgespräche. Rief
sämtliche Gottheiten an. Summte eine alte Melodie. Und zog ab
und zu einen kleinen Spiegel aus der Handtasche, um mit allem
Zeremoniell Gesicht und Haare zu kontrollieren …
… Sie beschloss, zur Tat zu schreiten. Mit einem Lächeln auf
den Lippen begann sie, sich an die Passanten heranzumachen.
Doch, oh weh! die waren entweder betrunken oder gingen mit
leeren Händen nach Hause oder wurden von anderen Brüsten
begleitet oder waren von den Unbilden des Lebens überrollt
worden oder hatten es eilig, zurückzukehren an den heimischen
Herd, und gafften sie nur an, musterten sie voller Verachtung


5
… Plötzlich steuerte ein Mann von stattlicher Größe, wie sie
ihn vermutlich erwartete, direkt auf sie zu und blieb vor ihr
stehen. Er war kaum zu erkennen, denn sein Aufzug und die
Nacht lagen Ton in Ton. 23 Uhr 2 … Er trug eine Lederjacke und
eine dunkle Hose. An den Händen Handschuhe … Aus seinem
mürrischen, runden Gesicht stiegen die Voluten einer offenbar
ziemlich langen Zigarette auf. Vielleicht ein Militär,
vielleicht ein Bandit mit einer Waffe im Schritt, vielleicht
ein Totengräber, vielleicht ein …
… Minuten lang standen sie einander gegenüber und starrten
sich an wie zwei Porzellanhunde. Der Mann rauche Kette. Und
sie wiegte sich in den Hüften. … Er brach als erster die
Stille und sagte mit poetischer Stimme:
- Mein Verlangen ist so weit wie das Rote Meer. Ich
habe verdammte Lust mit dir zu schlafen, auf
deinen Auberginebrüsten Gitarre zu spielen …
- Ich stehe dir ganz zur Verfügung, wenn dein
Geldbeutel voll ist, erwiderte sie.





6
Automatisch ließ er ein paar Scheine in die Hand der jungen
Frau gleiten – um sie billig abzuspeisen. Sie wollte den
Betrag zurückweisen, doch der Mann, inzwischen bei seiner
sechzehnten Zigarette, tat gleichgültig. Sie wusste genau,
dass sie mehr wert war als … Strahlend, schön, attraktiv, sexy
wie sie war … Aber zu allem Unglück peinigte sie das Bild
ihres Vaters auf dem nackten Fußboden eines Krankenhauses am
Platz. Unschlüssig gab sie ihm dennoch ein Zeichen mit dem
Kopf.

7
Augenblicklich packte er sie und riss sie in seinem Tempo mit.
Er ging sehr schnell. Sie stöckelte in einigem Abstand
hinterher. Die Pumps hinderten sie am Gehen. Die Handtasche
tanzte wild geworden an ihrer linken Seite … Doch der Mann,
verdoppelte seine Schritte, vielleicht nur, um sie noch mehr
lächerlich zu machen. Sie staksten über die Betrunkenen …
vorbei an den Anzüglichkeiten der Jungen … Sie … Als sie an
eine große Straßenkreuzung kamen … rannten sie um ein Haar vor
einen Käfer. Sie entließ einen Stoßseufzer … Er knirschte
einen Fluch … und steckte die Zigarette in den Mund zurück …
23 Uhr 28 …

8
… An einem kleinen Hotel mit schmutzigen Mauern blieben sie
stehen. Zig Mädchen mit Brüsten wie Fleischtomaten, Haaren wie
Steppenwald und Schenkeln wie Würsten watschelten dort auf
und ab, gingen rein und raus, tauschten Bettgeschichten aus,
lauerten den Männern auf, tranken, probierten Tanzschritte,
schminkten sich, stritten um einen potenziellen Kunden und
machten sich halb zerzaust davon … Unangenehme Gerüche lagen
dort in der Luft, Schreie, Flüche, Schüsse, das Geklimper
eines verstimmten Klaviers, Schluchzer und Lacher, das Ganze
unter der größten Gleichgültigkeit der Polizisten, die von
sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends dort aus und ein gingen
und mit den Banditen, die nach dem Überfall einer Herberge,
einer Bank, einer Kirche oder gar eine bescheidene Behausung
zum Ausspannen kamen, eine Partie Bridge spielten, anstießen,
das Tanzbein schwangen und Feuerwaffen tauschten, wohlgemerkt
mit den unbequemen Gesetzeshüter, die im Namen der Freiheit
oder der weltweiten Anerkennung der Rechte des Kindes in jenem
Hotel andockten, um sich mit Geschöpfen im Alter ihrer
Schwestern, ihrer Mütter und Großmütter ersten, zweiten und
dritten Grades zu verlustieren …


9
Er rauchte immer noch … Was für ein Mann! Oh Gott, oh Gott!
Ein echter Schlot …

10
… Sie stürmten wie die Husaren ins Haus, stiegen dann vier
Stufen auf einmal nehmend nach oben … schlüpften in einen
Flur, stießen dort mit Leuten zusammen, die wie sie … blieben
vor einer Tür stehen … Er rauchte … gingen hinein … 23 Uhr
Spermien …

11
… In der Mitte der Absteige … ein Eisenbett … Auf einem
Tischchen in einer Ecke thronte ein Kofferradio. Das Zimmer
ohne Schimmer. Keine Kerze. Kein Rollo. Kein Schein wie ein
Totenschrein. Beim Huschen einer Maus stieß sie einen Schrei
aus. Er machte seine x-te Zigarette an und sein Kofferradio
ebenso. Sie begann sich zu entblößen …
Als wenn nichts wäre, inhalierte er weiter … ausgepaffte
Voluten füllten das Zimmer. Sie hustete. Er lachte. Da raste
dem jungen Mädchens das Herz davon. Vor Angst? Vor Lust? Vor
Unruhe? 23 Uhr fünfzig vielleicht …

12
Er warf die Kippe auf den Boden und trat sie aus … das Radio
grummelte … Sie entblößte sich … Er entblößte sich … Ehe sie
noch damit fertig war, zog er sie heftig an sich – ihren Leib
- und warf sie mit einem rauen Schrei auf das ärmliche Lager.
Sie flehte, er möge respektvoll mit ihr umgehen. Doch er,
taubstumm für ihre Moralpredigten, rauchte lässig …
… spürte den Schmutz, die Droge, den Alkohohl und gar den
Hass. Fiel über die Ärmste her. Sie schlug um sich wie ein
Teufel im Weihwasser … Doch der Mann war kräftig … Und, er
hatte bezahlt. Welch ein Gewaltausbruch! Er brachte sie in
eine merkwürdige Stellung, so dass sie sich nicht mehr rühren
konnte … Er lachte höhnisch … Sie heulte …

13
Draußen, ein Zwiegespräch von Gewehren, bestimmt ging’s um
Geld … und ein Knabe hässlich wie die Nacht mit aufgedunsenem
Leib, weil angewiesen auf die Abfälle aus den städtischen
Mülltonnen, stammelte ein Gebet wie dies:
Herr, Es ist kein Fest mehr dieses Festival
Ich kann nicht mehr
Ein heilloses Unheil hämmert auf die Erde ein
Hoch zu Ross
Schaut! Schaut doch selbst
Das Antlitz der Erde, wie fahl
Ein ganzes Mittelmeer aus Blut
Von Hunderten Unschuldiger.
Pah! Dies ist ein Ball geballter Ballerei
Gestern konnte ich nicht einschlafen
Die Mauern maulen, die Panzer haben unsere
Mauern massakriert
Die ganze Nacht sangen die Erdnüsse aus den
Gewehrkolben …

14
24 Uhr Scheiße … Das Stöhnen des Mannes sprach vom Glück … Er
hob und senkte sich, hob und senkte sich … Sie schrie aus
Leibeskräften … Oh weh! Vertaner Atem … Ihr Jaulen ging im
gemeinen Gegrummel des Kofferradios unter … Welch ein
Verbrechen! Wie ein wildes Tier … biss er … ihre … Die Beißwut
… Die Laken blutbeschmiert. Er küsste sie gierig … Er spielte
Gitarre auf ihren Auberginenbrüsten … Saxophon auf ihren
Lippen … spießte ihren Unterleib auf … spielte Akkordeon mit
ihren Pobacken …

15
Er erhob sich, setzte die Wodkaflasche an und trank sie zur
Hälfte leer, rauchte vier Zigaretten aufeinander und machte
sich wieder an die Arbeit. Sie … wand sich vor Schmerz … er
setzte sich, drehte sie um wie man die Zeitung umschlägt und
grub sich in die Hügel, die Papierlosen verwehrt sind …
Stunden des Leidens … Die Passion eines Mädchens in Geldnot …
Das Elend eines Kontinents … Das Leiden eines Landes, vom
Krieg entblößt, vergewaltigt, geplündert, verstümmelt,
verprügelt, gefesselt und nach Golgatha verpflanzt und das
heute, wenn es das Drecksmiauen hört …

16
Die Minuten verstrichen … Überbordend gingen ihm vor lauter
Wollust auch die Lippen über und er redete Lateinisch,
Jiddisch, Etruskisch, Englisch, Rumänisch, Polnisch …
… Nackt wie ein Wurm zog er sich zurück aus ihrem … zündete
seine vielleicht achtzigste Zigarette an … die Voluten … zog
sich hastig an, schaltete das Kofferradio aus, warf eine
Flasche um und die Tür ins Schloss …

17
… Sie dämmerte vor sich hin, dachte an das gestrige Rendezvous
… Er musste wohl ein Professor für Scheißliteratur
gewesen sein, jener andere Kerl … Als er sie nahm, stammelte
er unentwegt Verse von André Breton … Die Literatur scheint
wie ein Aphrodisiakum zu wirken … Fliegen werden zu Bananen,
Rosinen Geschichten vom dreizehnten Monat.

18
Eineinviertel Stunden später erhob sich die junge Frau in
ihrer Zelle, aufgelöst in Tränen, Schweiß, Blut und … beep …
und Erbrochenem … versuchte sie torkelnd das Zimmer zu
verlassen … brach zusammen … Stille…
19
Draußen die letzten Raufereien … Draußen diese beschissenen,
auf eine Vergewaltigung scharfen Militärs … Draußen, die
Dummheit … Draußen … das Gesetz … Draußen lädt uns das Läuten
der Retter-Jesus-Kapelle zu Läuterung ein … Draußen die
Schweine, die nassen Hühner, die Warzenschweine, die weißen
Nashörner, die Zombies … Draußen die Götter, die uns schwer
verdauliche Spermien und die Fetzen unseres kalandrierten
Schicksals streitig machen …


Übersetzung: Elisabeth Müller, Mainz.
 

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