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ICH BIN EINE ZIKADE

Ich bin eine Zikade,
der Held von Troja,
ein lasterhaftes, verwöhntes Kind,
der sprichwörtliche Sohn aus gutem Haus
Ein geprügelter Hund bin ich,
geprügelt von denen,
die mich zu lieben vorgaben
Ich bin ein enttäuschter Mann,
ein Trinker, Müssiggänger, kinderlieber
Nichtsnutz,
Schläfer auf Parkbänken,
erfolgreich im Aktiengeschäft,
erfahren, sehr geduldig,
zu Tode krank

Ich bin eine zänkische Deutsche,
das schlechte Gewissen einer Nation,
die sich fleissig ihrer
Schandtaten erinnert
Ein ungehobelter Berliner Taxifahrer bin ich,
Anwalt einer unglücklichen Frau,
Vater und Bruder zugleich,
Mitglied der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ in Schlesien
(ein heimischer Dichter also),
traurig, mittellos, reich an Geschmack,
ein Bombenbastler,
ein Kinderschänder,
ein geängstigter Mensch,
erregt von Grossstadtbahnhöfen und
Platinschmuck

Ich bin das leere Nest eines Vogels,
die Wildtaube im Baum, deren Laute
schnell ermüden
Ich bin Same und Stroh
im glühenden Himmelbett

Ich bin die Monotonie
des Lebens

(aus: „Rauch aus meinem Mund“, Tortuga Presse Berlin, 1999)