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Autorenbuch Hannes Bajohr WEICHBILD – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Hannes Bajohr

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WEICHBILD


die Stadt, die Goldene Stadt, die Stadt auf dem Hügel, die Messingstadt, One Penny for the homeless! Just one penny, one penny, Sir, one penny, die Säulenstadt, die Frontstadt, die Gartenstadt, die Grenzstadt, die Schlafstadt, die Stadt schläft nicht, It doesn‘t take a Rockefeller, to help a fella, die Brandstatt, die Liegestatt, die Walstatt, die Marsch, die Brekzie, die Balme, ein Schwamm, ein Block Filz, ein diskreter topologischer Raum, ein ziemlich großes Loch

das Eis schmilzt auf der Fifth Avenue und löst den Gehweg auf in resttrockene Inselgruppen, der erste frühlingshafte Tag setzt die Stadt schon am Morgen unter Wasser, und all die Beschäftigten, denen am Überlebensunterhalt gelegen ist oder an der Durchführung ihres großen Plans, müssen ihre Schritte sorgsam wählen, manchmal springen, bisweilen in schweifenden Bögen die Hüften schieben, dabei stets ihre eigene Bewegung gegen die ihrer Mitbewerber abwägen, arrangieren, reagieren, neu tarieren, um nicht alles in einem unvermeidlichen Auflauf zerschellen zu lassen, dass die Membran jenes Behälters platzt, in dem die Stadt sich sammelt und geschieht, und alles ausläuft und Ruhe einkehrt und Stille und Atem

Halsfalten, Bartschatten und die ausrasierte Scholle Haut im Nacken gehen ineinander über, das Ohr umringend, die feuchte Nase umspielend, sich sammelnd in der Kuhle zwischen den Schlüsselbeinen, weiter weisend unters Hemd, die begrenzte, doch unendliche Fläche, sphärisch, das heißt bauchig, rund wie der Kopf, gedellt und vertieft wie die Wunden und Bissspuren der Zähne in der Mundschleimhaut, vom harten Schlaf des Anderen, da sitzt der Andere, die Beine übergeschlagen und zur Seite gebeugt, auf seinem weißen Plastikstuhl, der Ellbogen ist auf die Lehne gestützt und die Haut zwischen Knochen und Lehne, die schlüpfrige Schicht Grenzorgan, reicht dem Arm keinen Halt, immer rutscht das Gelenk nach links oder nach rechts, zittern der Arm und der Kopf, der keinen festen Grund finden kann

geht es hier um Einen, oder gerade um Nicht-Einen

der Regen legt sich auf der Fifth Avenue, schon ist Sommer, schon ist es heiß und stickig und schwül und die Pfützen auf dem Gehweg verdampfen in Sekunden, der Schuh, die Sandale, der bare Fuß senkt sich auf sandigen Beton, auf den Granit der Stufen, vorbei an den beiden die Freitreppe flankierenden Löwen, hinauf zu den Säulen, weiter in die Vorhalle, die ihre Gönner in Marmor verewigt hält und ihre Besucher durch Metalldetektoren schickt, entlang unter hohen Rundbögen, in deren Geranke neben Farn und Trauben auch Ananas sprießen, durch die Drechseleien des Catalog Room, dem Milton vorsteht, kurz vor den nördlichen Lesesaal, eine Minute Ruhe, eine zweite, in der gedämpft die brüllenden Scherze des Wachmanns im Hauptsaal heranschallen und vier große Gemälde dein Interesse finden

the catholic worker, aus Versalien gesetzt, haftet an der Backsteinfassade, darunter ein Fenster, dahinter eine Theke, eine Kelle, Suppe und Tische und Bänke, neben dem Fenster die Tür, vor der Tür zwei weiße Plastikstühle, drin sitzen welche, der eine, fett, die Nase schief, wie in den Kopf gefaltet, die Glatze schmierig von Trott und Unglück, hat einen Schlauch im Mund, atmet tief und schwer und langsam durch das eine Ende des Schlauchs, in dessen Innern der Kunststoff beschlägt, aus dessen anderem Ende weißer Dampf quillt, erst sich erhebt bis kurz über seinen Kopf, dann zu Boden sinkt, zu den Füßen des weißen Plastikstuhls des Anderen, zu den Füßen des Anderen, zum Anderen

wie die Gabel fällt, fällt auch das Messer, fällt auch die Hand zum Glas, umschließt das Glas mit vier Fingern und hebt es zum Mund, der verschmiert ist vom pochierten Ei, das einmal angestochen erst gelb blutete, dann gelb auseinander brach und gelb über den mesclun salad quoll, über die Streifen Rote Beete und das Platanenblatt, das der Baum hatte auf den Gehweg werfen wollen, das nun deine Mahlzeit würzt und Nahrhaftigkeit vorschützt, so wie du vorschützt, mit dem abgespreizten kleinen Finger am Glas, ein distinguierter Europäer zu sein, ein Repräsentant einer würdigeren Kultur, wie du vorschützt, den Mund mit der Serviette betupfend, es nicht auf Abgrenzung angelegt zu haben und du die Enttäuschung verbirgst, dass es niemanden interessiert, nicht den Kellner, der dich schnell an deinen Tisch geleitete, nicht den Nebenmann, der die Gabel in der Rechten haltend eine Gratiszeitung liest, nicht den Sozialarbeiter auf dem Gehweg, der hinter einem Tisch mit roter Decke steht und ruft One penny for the homeless

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