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Autorenbuch Hartmuth Malorny Roter September 2001 – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Hartmuth Malorny

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Roter September 2001


Immer cool bleiben, immer das Gesicht wahren,
grenzenlose Freiheit für die Globalisierung,
und ich mixe mir den nächsten Drink,
während draußen (oder auch drinnen?)
die Ratten in ihre Löcher kriechen.
„Ich liebe meinen Mann”, heißt das Thema
der Talkshow in der morgendlichen
Wiederholung, kurz vor dem Morgenmagazin.
Noch ein Drink bevor es hell wird,
und noch einen Drink auf die gestrige Schlagzeile
der BILD-Zeitung: „Wir alle müssen im Sinne
der Gemeinschaft Opfer bringen”, doch
dazu gehören immer zwei:
Einer, der das Opfer bringt,
einer, der es annimmt.
Immer cool bleiben, darin kenne ich
mich aus, einen weiteren Drink.
Ich weiß noch nicht, dass 24 Stunden später
die BILD-Zeitung eine viel bessere
Schlagzeile geliefert bekommen wird.
Ich weiß auch nicht, dass 3 Stunden
später (Ortszeit New York) ein Typ sagen wird:
„Ich war gerade im 73. Stock und wollte
mit dem Aufzug in die Cafeteria im 40. Stock,
da hörte ich eine Explosion, aber die Leute
um mich waren alle ruhig als sei nichts
geschehen, sie lächelten und gingen
in ihre Büros, und ich bin bis zum
Erdgeschoss gefahren und rausgegangen,
ich sah, wie der andere Turm brannte, und
plötzlich kam so ein verdammtes Flugzeug und
bohrte sich in den B-Tower , gerade da,
wo ich mein Büro habe.”
Immer cool bleiben, immer das Gesicht wahren,
nichts als ein Akt degenerierter Gehirne,
die Globalisierung hört spätestens hinter
Castrop-Rauxel auf -zumindest in Richtung
Osten.
Ich mixe die Drinks, ein paar Banker wissen
sich nicht anders zu helfen, als
aus dem 90. Stockwerk zu springen, ich öffne
die letzte Flasche Wein, während die beiden Türme
des World-Trade-Center nach und nach in
sich zusammenstürzen, es sieht aus wie eine
perfekt inszenierte Sprengung.
Immer cool bleiben.
Und WIR bleiben cool:
Der Literaturpapst meint, das Leben gehe weiter,
und der SPIEGEL druckt in seiner vorgezogenen
Ausgabe eine Anzeige der Lufthansa  ab:
„Zugegeben, auch wir überlassen schon mal
anderen die Führung.”

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