FIXPOETRY weiterempfehlen

 


Link: http://www.fixpoetry.com

Autorenbuch Jan Decker Leseprobe Der Abdecker Vorwort – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Jan Decker

Sollte Ihr Browser kein Flash unterstützen:

Vorwort

Die Deckung des AbdeckersDer inzwischen vergessene Beruf des Abdeckers war schändlich, unehrenhaft, mit dem eines Scharfrichters vergleichbar, und seine Behausung lag abseits der anderen Häuser, am Rande des Dorfes, geradezu umwölkt von Anrüchigkeit. Wir würden heute sagen: ein Außenseiter, ein Verlierer der Ge-sellschaft, dessen Arbeit dennoch wichtig war. Machte man nicht duftende, reinigende Seife aus den Knochen? Der Abdecker also: einer, der dem Tier die Decke abnahm, das heißt die Haut, das Fell. Einer demnach, dessen Blick sezierte, weil er tiefer schaute, schauen mußte. Ins Eingeweide, das die Welt im Innersten zusammenhält.In Jan Deckers gleichnamigem Prosastück ist der Abdecker einer, der schreibt, das ganze Haus voller Manuskriptseiten, ein Haus aus Blättern, Laub, aus Gefallenem, schon beinahe in einem natürlichen Prozess und Kreislauf, nahe bei den Tieren, dem Kreatürlichen. Das Schreiben und das Ausweiden, es hätten, so erfahren wir, „doch diese Dinge ihre natürliche Entsprechung in seinem täglichen Tun, dem Schächten und Verwerten von Kadavern. Es seien schließlich beide nur Ausfällungen der geistigen wie körperlichen Verwe-sung, und von daher nichts als nichtig.“Das trifft auf Deckers Prosa wohl kaum zu, aber tatsächlich: Sie geht unter die Haut. Reißt dem Schriftsteller das Fell ab, die Panzerung, und untersucht, woher sein nagendes Schreibbedürfnis kommt. Der Schriftsteller benötige nämlich (buchstäblich und metaphorisch) die richtige Haltung, er müsse als Mensch und als Autor funktionieren. Alles drehe sich um ein Defizit,das überwunden, aber auch erhalten werden müsse, alles drehe sich um das Erlernen der Lust (und ihrer Umsetzung in Ästhetik) und nicht um das Erler-nen irgendwelcher raffinieten Verstellungstechniken.Der Welt schreibend die Decke abziehen: Beobachten und sondieren. Eine fremde Welt enthüllt sich in Deckers japanischen Erinnerungen, schön, beunruhigend, grausam, ins Groteske und Nachtmarhafte dann in der Erzähung geschraubt, hingegen in Gedicht („Japanische Miniaturen“) und lyri-scher Prosa („Tang“) sehr still und meditativ, weil auch dies eine Seite der japanischen Kultur ist, uns gegenwärtig fast ebenso fremd. Ob nun im Essay oder im Gedicht, Decker oszilliert zwischen den Polen des Realen und des Hyperrealen, zwischen grimmiger Satire und messerschar-fer Betrachtung, und es sind seltsame Partys, zu denen man geladen wird: fleishlich, brutal, irgendwie einen Tick aus der Wirklichkeit verschoben, was man durch das Loch sieht, das man in die Erde bohren soll, durch die Erde, bis man wieder den Himmel sieht. Der Abdecker hat's nicht leicht. Eine Marionette der Verleger. Ein Sklave des Marktes. Ein Hampelmann der Reklame. Und auf der anderen Seite immer-zu in Gefahr, von den eigenen philosophischen Ansprüchen aufgefressen zu werden. Das „neurotische Bedürfnis“ zu schreiben bietet da nicht viel Deckung. Aber es verspricht zumindest einen echten Lust- und Erkenntnisgewinn.

Jürgen Brôcan

weiterempfehlen

zurück

Autorenarchiv

  1. A
  2. B
  3. C
  4. D
  5. E
  6. F
  7. G
  8. H
  9. I
  10. J
  11. K
  12. L
  13. M
  14. N
  15. O
  16. P
  17. Q
  18. R
  19. S
  20. T
  21. U
  22. V
  23. W
  24. X
  25. Y
  26. Z